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Überraschungen, Sieg und Enttäuschungen in Brüssel

Aussenminister Didier Burkhalter (links), Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vor dem EU-Spitzentreffen am 20. März 2012 in Brüssel. Keystone

Bern und London haben mit der Unterzeichnung eines Änderungsprotokolls zum bilateralen Steuerabkommen für Überraschung gesorgt. Es soll das Bankgeheimnis, so gut es geht, bewahren, aber gleichzeitig den Ländern zu Steuergeldern verhelfen.

Welchen anderen Ländern als der Schweiz, die nicht Mitglied der EU ist, und Grossbritannien, das zwar EU-Mitglied ist, aber nicht gerade eines der loyalsten, hätte dieser Taschenspielertrick überhaupt gelingen können, die EU-Kommission zu umgehen, welche doch die Gesamtinteressen der Union verteidigt? Denn um einen solchen Trick handelt es sich.

Sowohl im Grundsatz wie auch in der Form überrascht das Abkommen. Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf, die zusammen mit Aussenminister Didier Burkhalter die europäischen Institutionen in Brüssel besuchte, informierte den EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso persönlich, dass ein Abkommen unter Dach gebracht worden sei. «Man hat das heute erfahren. Es war nicht gerade die feine Art von unseren Schweizer Freunden. Es war sogar ein bisschen Provokation dabei», kommentierte eine EU-Quelle.

Alles weist darauf hin, dass Bern und London die Vorbehalte der EU-Kommission parieren konnten. Nach langer Prüfung eines ersten Aufgusses des Steuerabkommens, das die Schweiz mit Deutschland und Grossbritannien ausgehandelt hatte, kamen die Rechtsberater von EU-Steuerkommissar Semeta zum Schluss, dass EU-Mitgliedstaaten keine bilateralen Vereinbarungen treffen dürfen, die in die Kompetenz der Gesamt-EU fallen.

Der Kunde wird nichts merken

«Wir haben jedes Detail angeschaut, und London und Berlin haben versprochen, entscheidende Punkte zu streichen», sagte der EU-Steuerkommissar. Bisher wurde auf Kommissionsseite darauf bestanden, dass die Abgeltungswirkung, womit alle Steuerpflichten erfüllt wären, nicht Bestandteil des Abkommens sein dürfe. Die Besteuerung künftiger Zinserträge muss nach Ansicht der Kommission aus dem Abkommen genommen werden.

Schliesslich haben Bern und London zwei Änderungen vorgenommen: Zinszahlungen werden vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass britische Steuerpflichtige ihre Steuern auf Zinszahlungen abgeltend leisten können. Der Kerngehalt des Abkommens bleibe jedoch bestehen, freut man sich auf Schweizer Seite. «Für den Kunden ändert sich nichts. Die EU-Kommission wird die rechtlichen Mittel nicht haben, sich diesen Änderungen zu widersetzen.»

Für die Kommission wird es tatsächlich schwierig sein, denn der Entscheid, ob man einen Steuerbetrüger verfolgen soll oder nicht, liegt im Bereich der nationalen Souveränität eines Landes. Die EU-Juristen werden jetzt versuchen müssen, dieses Element auszuhebeln. Derweil scheint Bern einen Punktesieg erlangt zu haben.

Barroso enttäuscht

Die Schweiz wird der EU-Kommission «in den nächsten Wochen» Vorschläge zu den institutionellen Fragen unterbreiten, wie Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf in Brüssel sagte. «Wir haben viel Arbeit vor uns», erklärte seinerseits Aussenminister Burkhalter.

Für die Bundesratsmitglieder ging es am Dienstag darum, wieder etwas Schwung in die bilateralen Beziehungen zu bringen. EU-Kommissionspräsident Barroso hatte seiner Frustration Ausdruck gegeben, dass es in den letzten Jahren bei den Dossiers, welche den Binnenmarkt betreffen, kaum Fortschritte gegeben habe. Dabei profitiere die Schweiz vom EU-Binnenmarkt.

Widmer-Schlumpf entgegnete vor den Medien, es stimme, dass es im Bezug auf den Marktzugang «nicht grosse Fortschritte» gegeben habe. Viele Dossiers seien blockiert. Die Schweiz und die EU seien sich aber einig, die Beziehungen weiterzuentwickeln.

Vorschläge zu vier Eckpunkten

Die Schweiz sei auch der Auffassung, dass es einen umfassenden, institutionellen Rahmen brauche. Da seien verschiedene Wege möglich, sagte Widmer-Schlumpf. In einigen Wochen würden konkrete Vorschläge zu den vier Eckpunkten in Absprache mit den Kantonen erarbeitet.

Die Eckpunkte betreffen die von der EU geforderte «dynamische Anpassung» der «massgeblichen» bilateralen Abkommen an das sich weiterentwickelnde EU-Recht. Weiter geht es um die einheitlichere Anwendung der Abkommen sowie die Schaffung eines unabhängigen Kontroll- und Gerichtsbarkeitsmechanismus.

«Wir erwarten ein klares Signal der Schweiz», sagte Barroso vor den Medien. Die vier Eckpunkte müssten als Basis für künftige Gespräche dienen. Er zeigte sich zufrieden, dass die Bundespräsidentin ihm versichert habe, diese Fragen anzugehen.

Auch der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wünschte sich «substantielle Fortschritte zu den institutionellen Fragen in den nächsten Monaten». Damit könnten dann die verschiedenen laufenden Verhandlungen abgeschlossen werden.

Schweizer Lösungen

Für Burkhalter ging es am Dienstag darum, der EU die Sicht des Bundesrates über die weitere Entwicklung der bilateralen Beziehungen aufzuzeigen. «Wir sind nicht nach Brüssel gekommen, um etwas zu versprechen», sagte Burkhalter vor den Medien.

Es sei aber nötig, Lösungen zu finden, wenn «wir die bilateralen Beziehungen renovieren wollen». Fänden sich keine gemeinsamen Lösungen, «stellt das die Renovation in Frage». Im Februar hatte Burkhalter von einer Art «Roadmap» gesprochen, auf deren Basis künftige Gespräche mit der EU stattfinden sollten.

Die mit Deutschland und Grossbritannien unterzeichneten «Rubik»-Abkommen zielen auf eine Regularisierung der nicht-deklarierten, unversteuerten Guthaben ab, die Staatsangehörige dieser beiden Länder in der Schweiz deponiert haben.
 
Zur Bereinigung der «Altlasten» soll eine Pauschalsteuer erhoben und das Geld unter Wahrung der Anonymität des Kontohalters an die Steuerbehörden in Deutschland und in Grossbritannien überwiesen werden. Die Rate für die Abgeltungssteuer soll dabei zwischen 19 und 34% liegen.
 
Für künftige Kapitalerträge soll dann eine Quellensteuer auf Zinsen und Dividenden erhoben werden. Für Deutschland wurde die Rate bei 26,375% festgelegt, gleich hoch wie die derzeitig geltende Steuerrate in Deutschland. Für Grossbritannien schwankt die Rate zwischen 27 und 48%, je nach Kategorie der Rendite auf dem Kapital.

In Deutschland hat das Parlament das mit der Schweiz unterzeichnete Steuerabkommen noch nicht ratifiziert. Opposition dagegen kommt namentlich von Seiten der Sozialdemokratischen Partei (SPD) und den Grünen, für die das Abkommen zu vorteilhaft für Steuerbetrüger ist.

Zum Steuerabkommen mit Grossbritannien haben die Schweiz und London ein Änderungsprotokoll unterzeichnet, um die Vorbehalte der EU-Kommission bezüglich der Vereinbarkeit mit EU-Recht auszuräumen. Lediglich die Rechtsstruktur wurde verändert. Das Abkommen muss noch von den Parlamenten beider Staaten genehmigt werden und soll Anfang 2013 in Kraft treten.

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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