Umstrittener Agrar-Freihandel mit der EU
Die Mehrheit der Schweizer Landwirte reagiert skeptisch auf das vom Bundesrat angestrebte Agrar-Freihandelsabkommen mit der EU. Laut der Regierung würden davon alle profitieren.
Seit 15 Jahren ist die Schweizer Landwirtschaft in kleinen Schritten daran, «die Logik der Kriegswirtschaft» zu verlassen. – Der Ausdruck stammt von Hans Burger, dem ehemaligen Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft.
Burger ist Mitglied der «Gruppe für eine offensive Agrarpolitik». Diese setzt sich für eine Marktöffnung und damit auch für ein Freihandelsabkommen mit der EU ein.
«Wir sind heute soweit, dass der Landwirtschaft nur noch die Wahl bleibt zwischen der Teilnahme am europäischen Markt oder dem langsamen Niedergang», schreibt die Gruppe auf ihrer Website.
Bereits heute stammen 40% der in der Schweiz konsumierten Nahrungsmittel aus dem Ausland, der Grossteil davon aus der EU. Ein Feihandelsabkommen öffne der Schweizer Landwirtschaft neue Perspektiven im Hinblick auf die «durch die Doha-Runde der WTO so oder so zu erwartenden Preissenkungen.»
Bei den Landwirten stösst diese Haltung auf relativ wenig Verständnis. «Das sehen wir bei den Versammlungen in den Regionen», sagt Christophe Eggenschwiler, Leiter Wirtschaft und Politik beim Schweizerischen Bauernverband (SBV). Der SBV geht davon aus, dass 80% der Landwirte gegen das geplante Freihandelsabkommen sind.
Erfolge dank Käse-Liberalisierung
Die Bauern fürchten in erster Linie einen Einkommensausfall. Wegen den hohen Produktionskosten in der Schweiz sei die Landwirtschaft im internationalen Umfeld nicht konkurrenzfähig. «Die Hälfte der Betriebe wäre gefährdet», fürchtet der SBV.
«Diese Zahl ist völlig theoretisch», entgegnet Hans Burger. «Sie berücksichtigt weder die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft noch die Entwicklung der Märkte bis zum Inkrafttreten des Abkommens im Jahr 2016.»
Auch Landwirtschaftsministerin Doris Leuthard glaubt an die positiven Auswirkungen eines Freihandelsabkommens mit der EU. Mehr als 500 Millionen potentielle Konsumentinnen und Konsumenten würden sich von der Qualität der Schweizer Produkte überzeugen lassen, argumentiert Leuthard.
Sie verweist auf die Erfolge im Käsemarkt, der seit 2007 liberalisiert ist. 2007 haben die Käseexporte um 5,8% zugenommen.
Polen ist nicht München
«Das Problem ist, dass wir die Mittel nicht haben, um die europäischen Konsumenten zu erreichen», relativiert Christophe Eggenschwiler. «Wir können zwar die Kunden in den nahen Grosstädten München, Mailand oder Paris von unseren qualitativ hoch stehenden Produkten überzeugen, doch wir werden in Polen kein Birchermüesli verkaufen.»
Bleibt das Argument der Konsumentenpreise in der Schweiz. Das Volkswirtschaftsdepartement geht von einer Preissenkung um 25% für Landwirtschaftsprodukte aus, räumt aber gleichzeitig ein, dass dies nicht für alle Produkte zutreffe.
Zudem besteht die Gefahr, dass sich einkommensschwächere Schichten den günstigeren Produkten aus dem Ausland zuwenden werden.
Kartoffeln aus Bulgarien
Hans Burger glaubt nicht an ein solches Szenario. «Nach dem EU-Beitritt Österreichs hat die einheimische Landwirtschaft nicht an Marktanteil verloren – trotz den billigeren Produkten aus dem Ausland. Ich glaube nicht, dass die Schweizer Kartoffeln aus Bulgarien kaufen werden, nur weil sie ein paar Rappen billiger sind.»
Ein Freihandelsabkommen hätte auch sinkende Preise für Samen, Dünger und Landwirtschaftsmaschinen zur Folge, argumentieren die Befürworter.
Christophe Eggenschwiler ist skeptisch: «Sinkende Produktionskosten hatten noch nie sinkende Konsumentenpreise zur Folge. Seit 1990 sind die Lebensmittelpreise um 15% gestiegen. In der gleichen Zeit ist das Landwirtschaftseinkommen um 25% gesunken.»
swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
1972 hat die Schweiz mit der EU ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Landwirtschafts-Produkte sind davon ausgeschlossen.
Mit Teilabkommen ist der Landwirtschafts-Sektor trotzdem teilweise liberalisiert worden. So ist der Käsemarkt seit 2007 vollkommen liberalisiert.
Nun strebt die Landesregierung eine vollständige Liberalisierung des Agrarmarktes an. Das Abkommen würde 2016 in Kraft treten.
Das Volkswirtschafts-Departement geht von Zollausfällen in der Höhe von 450 Mio. Franken und einem zusätzlichen Bruttoinlandprodukts-Wachstums von 0,5% aus.
Der Bauernverband prognostiziert ein Rückgang der Landwirtschafts-Betriebe um 50%.
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