Verkehrsprobleme technisch lösen
An Ostern wälzen sich jeweils kilometerlange Blechlawinen in den Süden. Stundenlang im Stau stehen ist angesagt. Doch das eigentliche Problem herrscht beim Agglomerations-Verkehr.
Verkehrs-Telematik soll vermehrt Verkehrsengpässe verhindern helfen.
Alle Jahre wieder vergällen die Osterstaus so manchem Reisenden gründlich die Ferienlaune. Doch viel schlimmer ist der tägliche Agglomerationsverkehr. 70% der Bevölkerung sind davon betroffen. Und alle sind sich einig: Der Strassenverkehr wird immer mehr zunehmen.
Dank Verkehrs-Telematik (VT) könnten künftig Engpässe auf Strasse und Schiene wirkungsvoller bewältigt und die Zahl der Verkehrstoten gesenkt werden. Dies allerdings nur, wenn die Öffentlichkeit den breiten Einsatz von VT bejaht und die Verkehrspolitik passende Rahmenbedingungen vorgibt.
Dies ist das Fazit der Studie «Vernetztes Fahrzeug – Verkehrstelematik für Strassen und Schiene». Dazu Projektleiterin Katrin Schneeberger von der Bundesstelle Technologiefolgen-Abschätzung (TA-SWISS): «Das Thema wird künftig auch auf politischer Ebene ein grosses Thema sein.» Für viel wichtiger hält sie jedoch die frühzeitige Lancierung einer öffentlichen Diskussion.
Road Pricing System kein Thema
Telematik ist die Verschmelzung von Telekommunikation und Informatik. Im Zusammenhang mit der VT besonders interessant – und heftig umstritten – ist das Road Pricing System, ein Gebührensystem im Strassenverkehr. Ein solches wurde kürzlich in London eingeführt.
Laut Andreas Gantenbein, Chef Abteilung Strategie und Forschung beim Bundesamt für Strassen (ASTRA), ist das Road Pricing in den nächsten zehn Jahren in der Schweiz kein Thema: Es wurde nämlich bereits in einer der internen verkehrspolitischen Vernehmlassungen verworfen.
Ausserdem wäre laut Schneeberger zur Einführung eines Road Pricing Systems eine Verfassungsänderung und damit eine Volksabstimmung nötig. Für den Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) ist das Road Pricing System trotzdem keine Utopie, denn laut Adrian Schmid, Leiter Verkehrspolitik beim VCS «wird der Leidensdruck zunehmen – vor allem in den Agglomerationen».
Andere Anwendungsmöglichkeiten
Schneeberger sieht genug andere, weniger umstrittene Möglichkeiten für VT-Anwendungen. Bereits im Einsatz stehen zum Beispiel Park-Leitsysteme, Flottenmanagement-Systeme, die Leerfahrten auf Strasse und Schiene vermeiden helfen oder Navigationsgeräte, die vielleicht schon bald Standardausrüstung jedes Personenwagens sein werden.
Ein kleines Pilot-Projekt läuft im bernischen Burgdorf: An videoüberwachten Säulen mit «Touch Screens» kann man sein Interesse an Mitfahr-Gelegenheiten eingeben. Die Idee dahinter: Weniger, dafür mit mehr Personen besetzte Autos.
Ein sehr umstrittenes Beispiel ist das Tropfenzähler-System am Gotthard: Ein Computersystem reguliert den Fluss der Fahrzeuge, die den Tunnel benützen wollen.
Beim Schienenverkehr soll ein europäisches Leit- und Sicherungssystem durch die Automatisierung des Zugfolgeabstands für mehr Sicherheit und für eine Kapazitätssteigerung von bis zu 30% sorgen.
Aus Datenschutzgründen fraglich, aber technisch machbar sind elektronische Fahrkarten.
Hauptproblem: Agglomerationsverkehr
Der österliche Stau wird bald wieder vorbei sein, es bleiben aber die täglichen Staus in den Agglomerationen.
Genau in diesem Bereich sind die Möglichkeiten für den Einsatz von VT laut Schneeberger sehr interessant. So etwa das elektronische Routing: Der Auto-Computer informiert den Fahrer im Voraus über mögliche Staus und schlägt alternative Routen vor.
Der Agglomerationsverkehr ist auch beim Touringclub Schweiz (TCS) ein Thema. Pressesprecher Stephan Müller: «Wir diskutieren darüber im Zusammenhang mit dem Gegenvorschlag der Avanti-Initiative.» Vorstellbar sei etwa ein «Agglo-Fonds». Die Probleme beim Agglomerationsverkehr sollen laut dem TCS durch die Kombination von Öffentlichem Verkehr (ÖV) und privatem Strassenverkehr gelöst werden.
Der VCS setzt andere Prioritäten: Er verlangt massive Investitionen in den ÖV, eine Optimierung des bestehenden Angebots und eine Attraktivierung des ÖV über Qualität, Preis und Vernetzung.
Auch umstritten
Ein weiterer Einsatz der VT zielt auf Verkehrssicherheit durch Unterstützung und Entlastung der Fahrzeuglenker. So könnten die heute noch mit Schildern am Strassenrand angezeigten Geschwindigkeits-Limiten bald technischen Lösungen im Fahrzeug Platz machen, bei denen dem Lenkenden optisch und akustisch signalisiert wird, wenn er zu schnell unterwegs ist.
Denkbar und technisch lösbar wären auch Systeme, die gar aktiv in den Fahrvorgang eingreifen und die Verfügungsgewalt des Lenkers beschneiden.
An diesem Punkt setzt die Studie an. Ihr Ziel war, den Boden für eine öffentliche Diskussion über das «intelligente Fahren» zu bereiten.
swissinfo, Elvira Wiegers
In den letzten 30 Jahren hat keine nennenswerte Verlagerung von der Strasse auf die Schiene stattgefunden. Die Folge: Verkehrskollapse und zunehmende Staus.
VT steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen: Eine fundierte Einschätzung ihrer Bedeutung fehlt weitgehend.
Bisher wurde VT als Ansammlung unterschiedlicher Systeme, Techniken und Anwendungen wahrgenommen. Das eigentliche Potenzial ergibt sich aber erst aus der Synergie verschiedener Anwendungen.
VT könnte einen wichtigen Beitrag zur Verkehrspolitik leisten. Voraussetzung wäre ein breiter öffentlicher Konsens und eine politische Einbettung.
Verkehrspolitische Abstimmungen
18. Mai: Sonntagsinitiative
2004: Avanti-Initiative und Gegenvorschlag
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