Versicherungen wehren sich
Die Diskussion um die Senkung des BVG-Mindestzinssatzes hält an. Die Versicherer sagen, BVG-Kunden-Gelder seien keine vorenthalten worden.
Es könne keine Rede sein von Rentenklau, sagte Joachim Oechslin von der Versicherungs-Gesellschaft Winterthur am Freitag an einer Medienkonferenz des Schweizerischen Versicherungs-Verbandes SVV in Zürich zu der von der Schweizer Regierung vorgeschlagenen Senkung des Mindestsatzes für die berufliche Vorsorge von vier auf drei Prozent.
Die Lebensversicherer hätten Kunden in guten Börsenjahren keine Milliarden vorenthalten. In den ersten Jahren nach Einführung des Berufs-Vorsorge-Gesetzes (BVG) seien an der Börse zwar hohe Renditen erzielt worden, dies jedoch auf einem relativ kleinen Portfolio von rund 30 Mrd. Franken und bei einem Aktienanteil von zehn Prozent, hiess es.
Die Situation sehe aber seit dem Jahr 2000 umgekehrt aus: Auf einem riesigen Anlagevolumen von über 120 Mrd. Franken und einem Aktienanteil von 20 Prozent seien nur noch geringe oder negative Renditen erwirtschaftet worden.
Gewerkschaft ist anderer Ansicht
Die Gewerkschaften und auch die Konsumentenvertreter sagen, dass der Bundesrat, wenn er den Mindestsatz senke, eine Rentensenkung beschliesse.
Coletta Nova, Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) sprach von einem «Skandal» und einem «Kniefall» der Regierung vor den Versicherern. In den vergangenen Boomjahren der Börse hätten die Versicherer den Versicherten rund 20 Mrd. Franken vorenthalten.
Schwankungsreserven aufgebraucht
«Die Schwankungs-Reserven der Versicherer sind wegen der schlechten Börsenentwicklung von 15 Mrd. Franken im Jahr 1999 auf aktuell null Franken geschrumpft», sagt der Versicherungs-Vertreter Joachim Oechslin. Darum bestehe dringender Handlungsbedarf.
Ein garantierter Mindestsatz von vier Prozent sei unrealistisch und zwinge die Versicherer zu risikoreicheren Anlagen, hielt Roland Chlapowski, SVV-Vorstandsmitglied und Konzernchef der Rentenanstalt/Swiss Life, fest.
Eine Rentenkürzung aufgrund der Senkung des Mindestsatzes auf drei Prozent bedeutet gemäss Chlapowski keinen sozialen Abbau. Die Einbussen für die Versicherten seien nur dann gross, wenn der Mindestsatz tief bleibe und keine Überschüsse gutgeschrieben werden könnten.
Die Hälfte in Sammelstiftungen
Bezüglich Transparenz ihrer Sammelstiftungen wollten die Versicherer einen Schritt vorwärts machen, wurde an der Medienkonferenz weiter ausgeführt. So sollen die Versicherten in Zukunft ihrem persönlichen Versicherungsausweis detaillierte Informationen entnehmen können.
Bei den Sammel- und Gemeinschafts-Einrichtungen handelt es sich um Institutionen, die sich in der Praxis entwickelt haben, um die Durchführung der Vorsorge für Arbeitgebende mit wenigen Arbeitnehmenden zu vereinfachen.
Laut Pensionskassen-Statistik 1996 sind rund 267’000 Unternehmen in der Schweiz Sammel- oder Gemeinschaftsstiftungen angeschlossen. Diese Einrichtungen versichern knapp die Hälfte aller Versicherten in der Schweiz.
Flexibler Zinssatz
Das Zusammenspiel mit den Sammelstiftungen sei derzeit ungenügend, sagte Bundesrätin Ruth Dreifuss in einem Interview im «Tages-Anzeiger» vom Freitag. Um für mehr Transparenz zu sorgen, wolle der Bundesrat deshalb das Gesetz ändern.
Von der Forderung der Sozialdemokraten, die Sammelstiftungen zu verbieten, distanziert sich die Bundesrätin. Kleine und mittlere Betriebe, die keine eigene Pensionskasse hätten, müssten sich weiterhin einer solchen Stiftung anschliessen können.
Sie habe nichts gegen einen flexiblen Mindestzinssatz, sagte Dreifuss weiter. Es sei aber überstürzt, bereits Zahlen zu nennen.
SGK verlangt Konsultation
Bevor der Bundesrat über den Mindestzinssatz für die Guthaben der Zweiten Säule entscheidet, will die Sozialkommission des Nationalrates (SGK) angehört werden.
Im Geschäftsverkehrs-Gesetz ist festgehalten, dass bei einer Verordnung, die in erheblichem Ausmass ausserhalb der Bundesverwaltung vollzogen wird, die zuständige Kommission verlangen kann, angehört zu werden.
swissinfo und Agenturen
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