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Viele offene Rechnungen bei den Krankenkassen

Die Krankenkassenprämien steigen, die Zahlungsmoral sinkt. Der Versicherungsschutz bleibt dennoch bestehen. Bei den Kassen sind Betreibungen von rund 300 Mio. Franken offen. Ein vereinfachtes Mahnsystem soll Abhilfe schaffen.

Seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) 1996 haben die Schulden der Versicherten bei den Krankenkassen stark zugenommen. Das Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer (KSK) geht von Betreibungen im Wert von 300 Mio. Franken wegen offener Krankenkassenrechnungen aus. «Tendenz steigend», wie KSK- Sprecher Peter Marbet sagte.

Genauere Zahlen gibt es bei der Helsana, der mit 1,2 Mio. Grundversicherten grössten Krankenkasse. Rund 80’000 Betreibungen gegen 25’000 Versicherte laufen derzeit. Die offenen Rechnungen summieren sich auf rund 50 Mio. Franken. Vor 1996 zählten die Helsana-Vorgänger Helvetia und Artisana zusammen durchschnittlich rund 25’000 Betreibungen pro Jahr.

Ähnlich tönt es bei der CSS, bei der 1,11 Mio. Personen versichert sind. Die Zahl der Betreibungen habe «eindeutig zugenommen», sagte Andreas Anderegg von der CSS-Kommunikationsabteilung. Ende Juni waren 75 Mio. Franken Prämien und Kostenbeteiligungen bei rund 37’000 Versicherten ausstehend.

Hohe Prämien, schlechte Zahlungsmoral

Je nach Kanton ist die Zahlungsmoral verschieden. Eine Rolle spielt die Prämienhöhe. So seien CSS-Versicherte in den Hochprämien-Kantonen Genf überdurchschnittlich häufig von Betreibungen betroffen. Im Aargau, wo die Prämien tiefer sind, sind es laut Anderegg etwa drei Mal weniger.

Wer die Strom- oder Telefonrechnung nicht begleicht, riskiert, dass der Strom oder das Telefon abgestellt wird. Anders bei der obligatorischen Krankenversicherung: Zahlt jemand seine Prämie nicht, bleibt der Versicherungsschutz trotzdem erhalten.

Die Sanktionsmöglichkeiten der Kassen sind gering. Erst wenn das Betreibungsverfahren durchlaufen ist und ein Verlustschein vorliegt, kann die Kasse bei säumigen Versicherten die Leistungen einstellen und das Geld bei der zuständigen Fürsorgebehörde einfordern.

Steigende Prämien als Grund

Das ganze Prozedere ist kosten- und zeitintensiv, wird zudem je nach Kanton unterschiedlich gehandhabt. Das KSK schätzt Kosten in zweistelliger Millionenhöhe. Hinzu kommt, dass gemäss einem Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts ein Wechsel zu einer anderen Kasse möglich ist, auch wenn offene Prämienrechnungen bestehen.

«Wenn alle ihre Krankenkassenprämien pünktlich zahlen würden, könnten die Prämien um 1 bis 2 Prozentpunkte tiefer sein», fasst KSK-Sprecher Peter Marbet die Situation zusammen. Verantwortlich für die zunehmend schlechtere Zahlungsmoral sind laut KSK neben dem Obligatorium die steigenden Prämien.

Die Schmerzgrenze sei überschritten, findet die Schweizerische Patientenorganisation (SPO). Vor allem in Westschweizer Kantonen zahle eine Familie mehr Krankenkassenprämien als Steuern, sagte SPO-Präsidentin Margrit Kessler.

Mahnen statt betreiben

In der laufenden KVG-Revision soll nun das Mahnverfahren geändert werden. Anstelle des Betreibungsverfahrens sollen neu die Kassen nach einer erfolglosen Mahnung bereits die Leistungen sistieren können.

Gleichzeitig muss der Versicherer die zuständige Sozialhilfebehörde am Wohnort darüber informieren. KSK und Versicherer befürworten die Neuregelung, die bis Ende Juli in der Vernehmlassung war.

Für die SPO ist klar, dass säumige Versicherte zur Kasse gebeten werden müssen. Kessler wehrt sich jedoch dagegen, dass Drogensüchtige, Alte, Arme, Alleinerziehende und kinderreiche Familien, die in Zahlungsrückstand geraten, sich keine medizinische Betreuung mehr leisten könnten.

swissinfo und Agenturen

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