Vier Jahrhunderte Auf und Ab an der Börse
Während die aktuelle Finanzkrise die Welt erschüttert, bietet das Wertpapier-Museum in Olten eine spannende Zeitreise durch 400 Jahre Aktienhandel. Die Ausstellung zeigt, wie die Instrumente von Investition und Spekulation in der Geschichte funktionierten.
«Manchmal erfüllt sich ein Traum, manchmal platzt er…», sagt Jonathan Chance, eine der beiden Personen, welche den Besucher auf den Plakaten durch die Ausstellung führt. Denn die Geschichte der Börse ist eine Geschichte ihrer Wellenbewegung. Auf und Ab. Hausse und Baisse. Booms und Cracks.
«Im Jahr 1602 hat in Holland die ‹Vereinigte Ostindische Compagnie› als erstes Unternehmen Aktien emittiert», sagt Dagmar Schönig, Kuratorin des Museums Wertpapierwelt. Sie zeigt eines der ersten Exemplare dieses revolutionären Wertpapiers. «Dahinter stand die Idee, die Risiken, aber natürlich auch die Gewinne zu verteilen», ergänzt Schönig. Das Aktiensystem habe sich schnell bewährt und ausgebreitet, vor allem in Grossbritannien.
Tulpenwahn als erster Crack
Doch auch die erste Krise kam schnell und ging unter dem Stichwort «Tulpenwahn» in die Geschichte ein. In Holland war die Tulpe so beliebt, dass sie an der Börse zu Höchstpreisen gehandelt wurden. Einige Händler verkauften sogar Knollen, die sie erst später pflanzen wollten. Heute würde man solche Titel «Futures» nennen. 1637 platzte die Börsenblase und Hunderte von Personen verloren ihr Vermögen.
«Als die Aktie noch in den Kinderschuhen steckte, das heisst zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert, wurden viele solide Firmen gegründet, die sich über die Emission von Aktien finanzierten. Doch es gab auch betrügerische Unternehmen wie etwa die Gesellschaft zur Wandlung von Blei in Silber», erzählt Schönig.
«In der Pubertät»
Im 19. Jahrhundert erreicht das Börsensystem das Pubertätsalter. Die industrielle Revolution, die Kolonialisierung, die grossen Infrastrukturen, insbesondere die Eisenbahnen, weisen einen grossen Kapitalbedarf auf. Und dieser kann nur an der Börse gestillt werden.
Dabei generiert das kapitalistische System auch einige Exzesse. Beispielhaft ist der Fall der Bank Overend, Gurney und Company. 1865 wird diese britische Privatbank in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Da die Bank nicht mehr von einer Besitzerfamilie kontrolliert wird, die eine vorsichtige Anlagepolitik betrieb, kommt es zu Spekulationen, die ein Jahr später den Konkurs der Bank zur Folge haben. Die Börse von London erlebt ihren ersten «Schwarzen Freitag».
Doch das 19. Jahrhundert ist vor allem durch eindrucksvolle Erfolgsgeschichten aus der Industrie gekennzeichnet. Man denke an die Wertpapiere von Siemens oder der Standard Oil Company, welche John Davison Rockfeller zeichnete.
Traum und Alptraum in Übersee
«Ein wichtiger Aspekt der Wertpapiergeschichte betrifft die Finanzierung der Kolonialisierung», sagt Dagmar Schönig. Im 19. Jahrhundert wurden etliche Gesellschaften gegründet, um die Emigration und Aktivitäten in Übersee zu finanzieren.
Neben seriösen Unternehmen wie der Compagnie de colonisation américaine oder der New Zealand Company traten auch Scharlatane auf. Die Ausstellung zeigt Wertpapiere für Eigentum im Staat Poyais von Honduras. Dieser Staat existierte gar nicht, doch der Schotte Gregor McGregor hatte ihn als Paradies verkauft und 200 Personen verführt.
Der Traum verwandelte sich in einen Alptraum, denn etliche Auswanderer starben auf der Suche nach ihrem Land im mittelamerikanischen Dschungel.
Ein unverzichtbares Instrument
Im 20. Jahrhundert trat die Börse in eine Reifephase ein. «Die Wertpapiere – und damit die Börse – wird zu einem unverzichtbaren Finanzinstrument für den Fortschritt», unterstreicht die Kuratorin des Museums.
Zu diesem Fortschritt gehört auch die Unterhaltungsindustrie. In der Ausstellung ist die erste Aktie der Chaplin Studios zu sehen, versehen mit der Unterschrift des grossen Schauspielers.
Auch wenn Gesetzgebung und Kontrollen zunehmen, kommt es immer wieder zu Krisen. Legendär ist der weltweite Börsencrash von 1929. Doch in jeder Krise gibt es nicht nur Verlierer, sondern auch Krisengewinner. «John Paul Getty kaufte während der Weltwirtschaftskrise für wenig Geld Erdölgesellschaften, die später enorme Gewinne abwarfen», weiss Dagmar Schönig.
Traummärke
Das 20. Jahrhundert begann auf dem Wertpapiermarkt mit neuen Gesellschaften in neuartigen Branchen (Telefon, Telegraph, Elektrizität…). Zu Ende ging es mit einer virtuellen Revolution.
Das Geschrei im Ring an der Börse gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Die Transaktionen werden am Computer erledigt. Diese Entwicklung bewahrt nicht vor verheerenden Crashes, wie die jüngsten und turbulenten Geschehnisse an den Finanzmärkten zeigen.
Doch auf jeden Zusammenbruch folgt ein Boom. Und Genies wie Thomas Edison werden auch in Zukunft ihre Erfindungen dank Aktien finanzieren und umsetzen können.
Genauso wird es auch in Zukunft weiterhin möglich sein, Anteile an Traumfabriken zu verkaufen, so wie ein deutsches Unternehmen, das Mitte des 20. Jahrhunderts Hunderte von Personen überzeugen konnte, in ein Perpetuum Mobile zu investieren.
swissinfo, Daniele Mariani, Olten
(Aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Wertpapierwelt in Olten ist ein Museum der gemeinnützigen Stiftung Sammlung historischer Wertpapiere. Die Stiftung wurde von der SIX Securities Group AG gegründet. Beteiligt ist auch die Aktiengesellschaft, welche die Schweizer Börse betreibt.
Die Sammlung umfasst über 7000 Wertpapiere aus mehr als 130 Ländern.
Wertpapierwelt zeigt mit wechselnden Themen-Ausstellungen die Vielfalt historischer Wertpapiere und will die Öffentlichkeit auf die wirtschaftliche Bedeutung der Aktiengesellschaft von ihren Anfängen bis heute aufmerksam machen.
Am 8. Oktober wurde die Ausstellung «Hausse & Baisse: Börsengeschichte(n) auf Wertpapieren» eröffnet. Sie ist voraussichtlich bis August 2009 zu sehen.
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