Vollprogramm für Schnellbahn-Anschlüsse
Ost- und Westschweiz sollen für 1,3 Mrd. Franken ans europäische Eisenbahn-Hochleistungsnetz angeschlossen werden.
Dies hat der Nationalrat, die Grosse Kammer, am Donnerstag mit 92 zu 91 Stimmen äusserst knapp entschieden.
Bis ins Jahr 2020 soll Europa mit einem relativ dichten Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz überzogen sein. Die Schweiz mit ihrer zentralen Position in Europa will sich in dieses Netz einbinden.
Dazu müssen hauptsächlich grenzüberschreitende Linien in der Ost- und der Westschweiz angepasst werden, um den Anschluss an das europäische Hochleistungsnetz (HGV) zu gewährleisten. Hinzu kommen Zubringerstrecken, um die Passagiere an das Netz heran zu bringen.
Stimmvolk sprach Kredit
1998 hatte das Stimmvolk maximal 1,2 Mrd. Franken für die Finanzierung der HGV-Anschlüsse bewilligt. Dies mit einem Ja-Anteil von 63,5%. Teuerungsbereinigt liegt dieser Betrag heute bei 1,3 Mrd. Franken.
Der Bundesrat hatte mit Verweis auf die finanzielle Schieflage des Bundes eine Etappierung der Anschlüsse vorgeschlagen. Mit 665 Mio. Fr. hatte er die verfügbaren Mittel in seiner Botschaft ans Parlament halbiert, um in einer ersten Phase die sieben dringendsten Vorhaben zu realisieren.
Doch bereits die Finanzkommission des Nationalrats hatte im letzten August die Zahl nach oben auf 990 Mio. Franken korrigiert.
Der Nationalrat hat sich nun am Donnerstag mit 92 zu 91 Stimmen äusserst knapp für das gesamte HGV-Vollprogramm im Umfang von 1,3 Mrd. Franken ausgesprochen.
Kommissionssprecher Hans-Jürg Fehr, Parteipräsident der Sozialdemokraten (SP), hatte darauf verwiesen, dass die Finanzierung über einen Spezialfonds laufe und nichts mit der Situation der Bundesfinanzen zu tun habe.
Kantone machen Druck
Dieser Entscheid wird von 18 Kantonen und dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) unterstützt. Eine Kürzung des Kredits sei undemokratisch, hiess es. Vor allem die Ostschweiz befürchtet wirtschaftliche Nachteile, falls einige Projekte nicht ausgeführt würden. Der Bundesrats-Entwurf sei zu westlastig, so die Kritik.
Bereits in der vorberatenden Verkehrskommission hatte sich der Entscheid abgezeichnet. Mit 19 zu 4 Stimmen hatte sich sich klar für ds Vollprogramm ausgesprochen.
«Es spielten erhebliche regionale Interessen eine Rolle», bestätigte Kommissionspräsident Otto Laubacher von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegenüber swissinfo.
«Der ganze Entscheid ist nicht parteipolitisch begründet; durch die Intervention von 18 Kantonsregierungen haben sich Allianzen gebildet.»
Die Grenze verlief denn auch quer durch die Parteien: Während Laubacher sogar für weniger Ausgaben war, wollten andere Kommissionsmitglieder aus seiner Partei das volle Programm.
«Die Tatsache, dass einige Parlamentarierinnen und Parlamentarier an diesen Strecken wohnen, hatte ein nicht zu unterschätzendes Gewicht», vermutete Kommissionsmitglied Pia Hollenstein von der Grünen Partei (GPS).
Behörden sind skeptisch
Deutliche Kritik am Vollprogramm kam bereits vor der Session von Max Friedli, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV): «Wir wollen keine Kathedralen in der Wüste», sagte er in einem Interview mit dem Zürcher «Tages-Anzeiger».
Sukkurs erhielt er dabei von Kommissionspräsident Laubacher, der einige Projekte anzweifelte: «Es braucht zwei Anschlüsse ans Hochgeschwindigkeitsnetz Richtung Westen, einen in Genf und einen in Basel. Den Rest sollte man innerschweizerisch über die Bahn 2000 erschliessen.»
Er erwähnte dabei verschiedene Eisenbahn-Projekte, die unter diesen Voraussetzungen «nicht mehr realisierbar und finanzierbar» sein würden.
Verständnis für die Befürchtungen hatte auch Hollenstein. Vermutlich habe Friedli «auf Grund der Zusammensetzung dieses Parlaments Bedenken, dass andere, ihm auch wichtige Projekte, nicht realisiert werden können», falls das Vollprogramm durchkomme. Trotzdem betonte sie: «Es ist ein Volksentscheid.»
Gute Chancen im Nationalrat
Die Anbindung der Schweiz sei unbestritten und wichtig für das Land, auch für die Wirtschaft, so Hollenstein. «Und wenn man die grossen Anschlüsse macht, braucht es auch die nötigen Zubringer.»
Das Parlament habe «jetzt umzusetzen, was das Stimmvolk beschlossen hat». Die Kantone hätten hier sehr gute Lobby-Arbeit geleistet, betonte Hollenstein.
Otto Laubacher spürte vor der Debatte zwar einen aufkeimenden Widerstand, doch auch er rechnete eher mit einem positiven Bescheid für das 1,3-Milliarden-Vollprogramm: «Wenn 18 Kantonsregierungen Druck machen, dann haben sie die Mehrheit des Parlaments natürlich im Sack.»
Das Geschäft geht nun in den Ständerat.
swissinfo, Christian Raaflaub
Der Nationalrats will für HGV-Anschlüsse 1,3 Mrd. Franken einsetzen.
Der Bundesrat hatte für die dringendsten Projekte 665 Mio. Franken vorgeschlagen.
18 Kantone unterstützen das Vollprogramm des Nationalrats.
Bis ins Jahr 2020 wird in Europa ein dichtes Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz gebaut. Die Schweiz will sich in dieses Netz einbinden.
Die Frage, welche Regionen Anschlüsse erhalten sollen, spaltet die Parteien. Der Vorschlag des Bundesrats wurde von den vorberatenden Kommissionen nach oben korrigiert.
Am Donnerstag hat sich der Nationalrat als Erstrat mit 92 zu 91 Stimmen für das Vollprogramm von 1,3 Mrd. Fr. ausgesprochen.
Das Geschäft geht nun in den Ständerat.
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