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Vom fairen Handel zum fairen Lifestyle

Der Marktanteil fair gehandelter Agrargüter wächst in der Schweiz. Im Bild: Messestand vor dem Bundeshaus. swissinfo.ch

Die Schweiz kann für sich in Anspruch nehmen, einen rekordhohen Anteil fair gehandelter Agrarprodukte aus der Dritten Welt aufzuweisen.

Am Mittwoch fand in Bern die zweite Messe für fairen Handel, «Fair Trade Fair», statt. Dabei gab es neue Denkanstösse in Richtung fairem Lifestyle.

Dem bekanntesten Schweizer Fair-Trade-Unternehmen, der Stiftung Max Havelaar, ist es in den letzten Jahren gelungen, sich mit Produkten wie Bananen und Ananas in die Distributionsschienen der Grossverteiler einzureihen.

Damit dürfte der Fair Trade mit seinem Anliegen des gerechten Welthandels langsam aus seinem Marktnischen-Dasein den Weg zum breiten konventionellen Publikum gefunden haben. Der Fair Trade setzte im Jahr 2004 hierzulande Produkte für 210 Mio. Franken um.

Anschliessend an die «Jute statt Plastik»-Aera der 70er-Jahre hatte seit den 80er-Jahren mit fair gehandelten Bananen, Ananas und Kaffee erste Beiträge zum gerechten Welthandel begonnen, die jetzt Früchte tragen.

Auch ein Service kann fair sein

Solche Produkte dominierten denn auch dieses Jahr den Fair-Trade-Markt auf dem Berner Bundesplatz. Doch es soll nicht dabei bleiben: Immer neue Produkte wie Kautschuk, Reis oder Baumwolle, respektive Textilien, kommen dazu.

Und das Konzept lässt sich auf Dienstleistungen übertragen. «Fair unterwegs» und faire Ferien gibt es schon, faires Banking bei Mikrokrediten ebenfalls.

Diese Art von sauberem Kommerz wird auch von den Behörden unterstützt. Von Anfang an hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) entscheidend zum Fair Trade beigetragen. Das seco gehört, neben Coop, Migros, Max Havelaar, claro und gebana zu den Organisatoren der Fair Trade Fair.

Fairer Handel noch vor humanitärer Hilfe

seco-Chef Jean-Daniel Gerber sagte am Symposium: «Fair Trade wird von der Schweizer Bevölkerung noch vor der humanitären Hilfe akzeptiert.»

«Die Frage lautet nicht, Handel ja oder nein», so Gerber zu swissinfo, «sondern Handel wie? Er muss so ausgestaltet sein, dass auch Entwicklungsländer daraus Nutzen ziehen.»

Auf neue Käuferschichten aus

«Der Messetag vor dem Bundeshaus dient dazu, allen neuen Käuferschichten zu zeigen, dass es neue Produkte aus dem Süden gibt, die fair hergestellt sind», sagt Hans-Peter Egler, Leiter des Ressorts Handels- und Umwelttechnologie-Kooperation, seco.

«Es muss nicht immer öffentliche Entwicklungshilfe sein», betont Egler gegenüber swissinfo. «Noch wissen viele Leute nicht, dass es in vielen neuen Konsumbereichen ebenfalls faire Produkte gibt.»

Um den Fair Trade bekannter zu machen, wurde neben der Messe ein Guiness-Weltrekord aufgestellt: Mit einem riesigen Ananas-Mosaik machte man Schlagzeilen.

Von Ananas zu Lifestyle

Die Fair-Trade-Branche zielt auf weitere Expansion, über Agroprodukte hinaus. Dazu brauchte es Marketing. Allein im konventionellen Textilbereich gebe es schweizweit 500 Marken (Labels), sagte der Marketing-Spezialist Lorenz Furrer am Fair-Trade-Workshop: Wie sollen sich da die ‹fairen Brands› ihren Marktanteil holen?»

Als Güter, die nicht einfach über den Preis definiert seien, so Furrer, gehorchten die Fair-Trade-Produkte anderen Kaufmechanismen wie Wertevorstellungen, Qualität oder Kultstatus.

Vielleicht nicht unter Zustimmung aller Fair-Trade-Engagierten fokussiert der Marken-Spezialist deshalb den künftigen Käufer von Fair-Trade-Produkten als «weiblich, urban, 25-50-jährig, mit einer gewissen Bildung und einem gewissen Wohlstand».

«Faire Unterlinie», hohes Potenzial

Damit wäre auch der Sprung der Fair-Trade-Nische aus der begrenzten Konsum-Sphäre der alternativen Szene in Richtung bürgerlich-materialistischem «Yuppyland» geschafft, so Furrer.

Am besten wäre es, so der Profi schonungslos, wenn ein so genannter Power-Brand, also eine allen bekannte Produktemarke, eine «faire Unterlinie» eröffnen würde.

«Nespresso» könnte dann eine «faire Linie» mit einem kolumbianischen Kaffee lancieren, der von ehemaligen Narco-Bauern produziert wird, «Lacoste» ein «faires Krokodil» für korrekt hergestellte T-Shirts. Denn das Fair-Trade-Potenzial sei laut der Marktforschung «erstaunlich hoch».

Swissness bei fairen Ferien in Südafrika

Südafrika gilt als Vorzeigebeispiel, wie fairer Handel auf eine Dienstleistung übertragen wird. Die Regierung des erstmals demokratisch gewählten Landes stand 1994 vor der Frage, wie sich die Bevölkerungsmehrheit wirtschaftlich neu einbeziehen liess. Die neuen Behörden setzten auf Tourismus, konventionell und fair.

Neun Jahre später schon hat der Tourismus Südafrikas traditionell dominierendes Exportgut, das Gold, eingeholt und entthront. Einen wichtigen Teil der Überzeugungs- und Beratungsarbeit, in Südafrika den fairen Tourismus auszubauen, lieferte der Basler Verein «Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung» (akte).

Hinter dem 1977 gegründeten akte stehen NGOs und Stiftungen. Aus dem Anti-Apartheid-Aktivismus der 70er- und 80er-Jahre entstand Mitte der 90er-Jahre eine Aufbauarbeit, da viele ehemals politisch verfolgte Südafrikaner plötzlich Schlüsselpositionen einnahmen.

Heute dürfte Südafrika weltweit einzig dastehen, was den Effekt des fairen Tourismus auf die Bevölkerung betrifft: Kleinunternehmen und Arbeitsplätze wurden geschaffen, Kapital akkumuliert, Infrastrukturen entwickelt, Umsiedlungen vermieden.

swissinfo, Alexander Künzle

Fair-Trade-Beispiel Ananas: 2002 von Max Havelaar in der Schweiz lanciert, 2004 bereits ein Marktanteil von 15%.

Im konventionellen Handel:
Ladenpreis 5,88 Fr. pro Stück, davon Kosten im Herkunftsland 0,95 Fr. (16% des Ladenpreises).

Im fairen Handel pro Stück:
Ladenpreis 6.90 Fr., davon Kosten im Herkunftsland (Plantage, Mehrpreis Max Havelaar etc.): 1.25 Fr. (18% des Ladenpreises).

Fair-Trade-Formel:
16% oder 18% Verkaufsmarge in der Schweiz ist ein kleiner Unterschied. Aber ob das Herkunftsland 0.95 Fr. oder 1.25 Fr. erhält, entspricht einer satten Differenz von 30%.

In der Schweiz ist der Marktanteil fair gehandelter Produkte höher als in jedem anderen Land der Welt.
Fast jede 2. Banane und jede 3. Rose ist fair gehandelt.
Der Markt für Fair-Trade-Produkte wächst und liegt heute bei jährlich rund 210 Mio. Franken.
Kämen gewisse Dienstleistungen wie Ferien und Luxusgüter dazu, könnte der Fair Trade zum Lifestyle werden.
Fair Trade, Öko oder Bio beruhen auf einer freiwilligen Zahlungsbereitschaft. Fair Trade will die Lebensumstände der Prozenten verbessern.

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