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Vom Häuschen in Amerika zum Börseneinbruch weltweit

70% der Amerikaner leben im eigenen Familienhaus. Viele sind aber stark verschuldet. Keystone

Eine nationale, aber überhitzte Branche, der US-Immobilienmarkt, hat in den letzten Tagen weltweite Krisen in Finanzmärkten und Börsen ausgelöst. Weshalb war das möglich?

Um die Befürchtungen der Anleger zu entkräften, führen die Zentralbanken weltweit und der Schweiz mit ihrer Liquiditätspolitik der Finanzwelt wieder Sauerstoff und der Volkswirtschaft wieder Schmiermittel zu.

Seit bald einem Jahr befinde sich der US-Immobilienmarkt in einer Krise, ohne dass sich die Börsen gross darum kümmerten, sagt Hans-Peter Hausheer, Ökonom bei der Schweizer Grossbank UBS.

Zu sehr hätten alle am beispiellosen Boom verdient: Die US-Bürger, weil sie zu billigen Hauskrediten kamen, die Hausbauer, weil sie immer teurer bauen konnten, die Banken, weil sie lukrative Kreditgeschäfte machten, und die Anleger, weil sie sich mit hypothekargestützten Wertpapieren sicher fühlten.

Die seit Monaten wieder steigenden Dollarzinsen führten nun während der Sommermitte zu einem Stillstand: Vermehrt wurden Hausbesitzer zahlungsunfähig. Das war der Tropfen, der das Hypotheken-Fass zum Überlaufen brachte:

Herdentrieb statt Schweinezyklus

Die vielen nun als faul erachteten Kredite weckten bei den Anlegern Befürchtungen, dass die Kreditblase platzen und Banken und Finanzgesellschaften in eine Krise geraten könnten. Deren Aktienpreise sanken deshalb letzte Woche stark. Zuerst kamen sie in den USA, später weltweit unter Druck.

«Als klassisches Lehrstück dieser Verhaltensweise gilt der sogenannte Schweinezyklus», sagt Hans Geiger, Professor am Zürcher Swiss Banking Institut gegenüber swissinfo: «Der Schweinezyklus besagt, dass es periodisch in der Schweineaufzucht zu Preiseinbrüchen kommt, weil die Tierproduzenten aus Unwissen alle gleichzeitig und ähnlich reagieren, anstatt sich ausgleichend zu verhalten.»

Auf dem Peak die Panik

Heute wüssten zwar die Investoren um diesen Effekt, so Geiger. Dennoch würden sie weiterhin einem Herdentrieb folgen und hoffen, noch das Maximum an Kurssteigerungen herausdrücken zu können. So breite sich auf dem Peak sehr schnell Panik aus.

In ähnlicher Weise breiteten sich in den vergangenen Tagen die Anleger-Befürchtungen weltweit aus, und griffen auf andere Branchen über. Der in den letzten Jahren zunehmende Trend, auf die vielen Wertpapiere auch noch Optionen und weitere Derivate auszustellen, verstärkte die Abwärtsbewegung ebenso wie der Umstand, dass zahlreiche Käufe und Verkäufe an der Börse heute Computer gesteuert ablaufen.

Liquiditätszufuhr wird von Notenbanken reguliert

«Werden die Risiken auf den Hypothekarmärkten höher eingeschätzt als früher», so Geiger gegenüber swissinfo, «dann werden die Banken weniger Kredite geben, die Belehnungsgrenzen und Zinsen erhöhen und die Bedingungen verschärfen.» Und wenn das alle Banken gleichzeitig machen, fehle in einem System plötzlich die Liquidität. Das verfügbare Geld werde in einem Masse beansprucht, das zu Problemen führen könne.

In solchen Situationen sind die Zentralbanken gefragt. Es gehört zu deren Hauptaufgaben, die Liquidität in einer Volkswirtschaft zu regulieren. Die Geschäftsbanken holen sich ihre Liquidität täglich an Auktionen, die von der Zentralbank organisiert werden – zu einem Zinssatz, der zwar garantieren soll, dass genügend Geld vorhanden ist, aber nur soviel, dass keine Inflation entstehen kann.

Liquidität wirkt in Krisenzeiten beruhigend

In Krisenzeiten, wenn die Zinsen schnell steigen, weichen die Zentralbanken von ihrer Vorsicht ab. Sie verbilligen ihre Geldzufuhr für die Geschäftsbanken «künstlich», zu einem tiefen Zinssatz. Scheint die Krise einigermassen überstanden, erhöhen die Zentralbanken ihre Zinsen wieder, und schöpfen damit überflüssige Liquidität wieder ab. So wird die Inflationsgefahr eingedämmt, die immer dort auftaucht, wo zuviel Geld im Umlauf ist.

Gerade in Krisenzeiten, in denen der Puls schneller schlägt, wirke zusätzliche Liquidität auf die Finanzbranche «wie Sauerstoffzufuhr auf den Körper». Auf die Realwirtschaft, also auf Industrieproduktion und Dienstleistungen, wirke die Liquidität «wie ein Schmiermittel», so Geiger.

Schweizerische Nationalbank mit rund 3 Mrd. Franken

Die Schweizerische Nationalbank (SNB), die ja einen möglichst unabhängigen Kurs von der Europäischen Zentralbank (EZB) und der US-Notenbank (FED) fährt, hat sich an dieser Liquiditäspolitik auch beteiligt.

Gemäss SNB-Ausweis schoss die SNB am Donnerstag rund 1,44 und am Freitag 1,7 Mrd. Franken Tagesgeld zu unter dem Marktniveau angebotenen Zinsen ein. Am Montag entzog sie das Geld teilweise bereits wieder.

Die EZB hatte letzte Woche 95 Mrd. Euro für 1 Tag eingespiesen, wobei 61 Mrd. davon bis am Montag zurückzuzahlen waren.

Turbulenzen und Krisen in der Finanzbranche greifen auf diese Weise weniger auf die anderen Wirtschaftsbranchen über.

Ein Beispiel: Eine Bank, die selber keine Liquidität mehr hat, wird einem Unternehmen eher den Betriebskredit kündigen und damit Produktions- und Verkaufsausfälle verursachen, obwohl der Betrieb eigentlich gut läuft.

«Auf diese Weise überträgt sich eine Finanzmarktkrise auf den realen Wirtschafts- sprich Konjunkturverlauf», so Geiger. Das sei auf jeden Fall zu vermeiden, besonders wenn die Weltwirtschaft an sich gut laufe und auch die Aktienpreise nicht übermässig hoch bewertet seien.

swissinfo, Alexander Künzle

Die vergangene Woche war geprägt von einem weltweiten Preissturz an den internationalen Börsen.

Vorausgegangen waren Insolvenzen in der amerikanischen, später auch internationalen Hypothekarbanken-Branche.

Ende der Woche griffen die Zentralbanken ein und verabreichten den Finanzmärkten teils sehr grosszügige Liquiditätsspritzen.

Diese haben offenbar über das Wochenende und zu Wochenbeginn gewirkt.

Zumindest in der Schweiz haben sich die Kursverläufe der Aktienmärkte wieder etwas stabilisiert.

Die USA zählen rund 300 Mio. Einwohner.
Davon haben bis 70% Einfamilienhäuser, die sie mit Hypotheken (Mortgages) finanzieren.
Diese Mortgage-Kredite wurden wegen dem Immobilienboom mit immer weniger Restriktionen vergeben.
Das gestiegene Risiko wurde über leicht höhere Zinssätze auszugleichen versucht.
Diese Mehrbelastung stand jedoch in keiner Relation mit der Zunahme des Risikos.
Über Hedgefonds und «Stückelungen» (Verbriefung, Securitisation) als Risikoverteilung beteiligten sich auch internationale Institute und Anleger am US-Markt, indem sie den US-Banken Kreditrisiken abkauften.

Der «Herdentrieb», dem die Anleger ohnehin unterworfen sind, soll laut Händlern durch die computergestützten Investitionsmodelle noch verstärkt werden.

Diese Händler sind der Meinung, dass Kaufs- und Verkaufsaufträge am Ende von Handelstagen auf automatisiertes Verhalten schliessen lassen lässt.

Computergestützte Anlagemodelle gehen demnach oft von Trends oder Verhaltensmustern aus, die eine Fortschreibung der jüngsten Vergangenheit sind.

Auch sie erkennen unerwartete Einbrüche nur schlecht.

Auf- und Abwärtsbewegungen an Aktienmärkten werden ausserdem durch Anlagekonstrukte verstärkt, die sogenannte Derivate sind. Dabei werden zum Beispiel blosse Anrechte auf Aktienkäufe zu einem bestimmten Preis separat gehandelt (Optionen).

Diese kosten weniger als die Aktie, sind aber um das Mehrfache volatiler als der Aktienpreis selbst: Verliert zum Beispiel eine Aktie «nur» einen Fünftel ihres Werts, kann der Wert der Option auf diese Aktie auf Null fallen.

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