Vom Zugpferd zum Showstar
Der 100. Marché-Concours bekräftigt die neue Aufgabe des Freiberger Pferdes.
Das Pferd, Symbol der jurassischen Landschaft, steigt in Saignelégier ins Showgeschäft ein. Und es will der beste Freund von Städterinnen und Städtern werden.
An diesem Wochenende verwandelt sich Saignelégier noch mehr als sonst in ein veritables Mekka der Pferde.
Seit vielen Jahren schon pilgern zwischen 40’000 und 50’000 Schaulustige an den traditionellen Marché-Concours.
Für dieses Jahr wurden keine Prognosen gemacht. Aber alle sind sich einig, dass der Marché-Concours, einst ein bescheidener Landwirtschaftsmarkt, in diesem Jubiläumsjahr alle Rekorde schlagen dürfte.
«Vaillant» spielt die Hauptrolle
Zur Würdigung der Hundertjahrfeier haben sich die Organisatoren ganz besonders Mühe gegeben.
Natürlich finden Pferdevorführungen und Rennen statt wie üblich. Ebenso die Quadrillen mit Mädchen in jurassischen Trachten, die ihre Pferde ohne Sattel reiten.
«Aber am Schlussumzug am Sonntag“, erklärt Jean-Pierre Beuret, der Präsident des Marché-Concours, «gibt es eine grosse Show mit ‹Vaillant’ im Zentrum, dem Hengst, der als Urvater der Freiberger Rasse gilt.“
Das Schauspiel, das extra für diesen 100. Marché-Concours ersonnen wurde, ist eine eigentliche Hymne an das Pferd und vermischt fröhlich Theater, Musik und Feuerwerk. Gezeigt wird es seit Ende Juli, und alle Vorstellungen sind ausverkauft.
«Es ist sehr emotional», verrät Beuret. «Regisseur Gérard Demierre gelang es, dem Freiberger Pferd ein sehr zeitgenössisches Image zu verleihen.»
Und fügt bei: «Es wird nicht mehr als einfaches Arbeitspferd dargestellt, sondern als Partner des Menschen und als treuer Freund der Kinder.»
Suche nach einer neuen Aufgabe
Der diesjährige, aussergewöhnliche Marché-Concours begnügt sich also nicht mehr damit, ‹Vaillant’ als Urvater der einzigartigen Pferderasse «made in Switzerland“ vorzustellen. Er zeigt vielmehr eine Rasse im Wandel.
Ein neuer Status, der umso wichtiger ist, als eine neue Aufgabe für die Pferde gesucht wird. Noch vor kurzem dienten die Rösser als Trainpferde in der Armee, jetzt möchte man sie als vielseitige und fügsame Freizeitpferde anerkannt haben.
Dies sieht stark nach einem letzten Rettungsversuch für die Rasse aus. Denn ihre Symbolkraft ist umgekehrt proportional zu ihrer wirtschaftlichen Bedeutung.
Roger Biedermann vom Service de l’Economie rurale des Kantons Jura betont: «Der Freiberger macht heute nur noch 1,2% der Bruttorendite der jurassischen Wirtschaft aus.“
Zur Zukunftssicherung muss das bäuerliche Arbeitstier also die Liebhaberinnen und Liebhaber des Reitsports für sich gewinnen. Als Vorbereitung auf diesen neuen Markt hat man ihm übrigens einen neuen Look verpasst.
Durch die Wahl bei der Zucht wurden die Pferde bereits leichter. Heute bestätigen Profis, dass der Freiberger die Eigenschaften eines Reit- mit jenen eines Zugpferdes sehr gut verbindet.
Touristischer Trumpf
Der Marché-Concours gibt sich grosse Mühe, diese neuen Qualitäten mit viel Show und Werbung zu fördern.
Besser noch, statt einfach die Verdienste dieser einheimischen Kreatur zu rühmen, hat der Anlass das Pferd zum besten touristischen Trumpf der Region erhoben.
Im Verlauf der Jahre hat der Grossanlass von Saignelégier das Freiberger Pferd allmählich in ein richtiges Showtier verwandelt, das Einnahmen in Millionenhöhe erzeugt.
«Das Budget des Anlasses selbst liegt im Allgemeinen um eine Million Franken. Aber“, so Beuret,»dieses Jahr lag es ausnahmsweise bei 1,5 Millionen.“
«Man geht davon aus, dass drei Viertel der Einkünfte aus dem Marché in der Tasche der regionalen Händler landet“, präzisiert er. «Laut unseren Schätzungen sind das rund 3 bis 4 Millionen Franken.“
Ausflugsziel für Leute aus der Stadt
In den 60er-Jahren ging das Fest zu Ehren des Pferdes durch eine Talsohle, heute ist es zu einem wichtigen Ausflugsziel geworden.
«Der Marché-Concours zieht heute viel mehr Leute aus der Stadt als Pferdezüchter an. Aber“, verteidigt sich sein Präsident, «der Anlass ist trotzdem sehr urtümlich geblieben.“
In den 80er-Jahren“, erinnert sich Beuret, «brauchten wir Sponsoren, damit das Fest nicht einging. Dadurch aber wurde es immer bekannter.“
«Die Organisation des Markts wurde modernisiert, um eine neue Kundschaft anzuziehen“, fasst er zusammen. «Er hat sich an die Entwicklung einer Gesellschaft angepasst, die in den letzten Jahrzehnten immer städtischer wurde.“
Wobei das Fest zu Ehren des Pferdes lange nicht der einzige ländliche Anlass ist, der grosse Mengen von Schaulustigen anzieht.
Tradition verkauft sich gut
«Der Brunch auf dem Bauernhof und die Kuhkämpfe im Wallis haben ebenso grossen Erfolg“, bestätigt die Ethnologin Valérie Miéville-Ott.
Im Klartext heisst das, dass sich die Welt der Bauern gut verkauft, denn sie vermittelt ein Bild der Echtheit. Die Tradition ist zu einem Konsumgut mit hoher Wertschöpfung geworden.
Nach Ansicht von Miéville-Ott ist diese neue Tendenz eine Chance für eine Bauernschaft, von der verlangt wird, ihre Aktivitäten zu diversifizieren.
Nur: Dazu müssten die Bauern selber von diesen Anlässen profitieren können. Die Einkünfte dieses neuen Sympathiekapitals landen aber vor allem beim Handel in der Region.
Im Übrigen erschöpft sich die Neugierde des naturfremden Städters nur allzu oft in einigen folkloristischen Klischees.
«Den Leuten genügt es, ein idyllisches Bild der Landschaft zu sehen“, bestätigt die Kennerin des Landlebens. «Die wirklichen Herausforderungen und der Alltag der Menschen auf dem Land interessiert sie nicht.“
Dieser Analyse stimmen auch die jurassischen Pferdezüchter zu. «Zwar ist es dem Marché-Concours gelungen, das Freiberger Pferd zu einem touristischen Symbol hochzustilisieren. Wirtschaftlich aber ist seine Zukunft nicht gesichert“.
swissinfo, Vanda Janka
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Der erste Marché-Concours fand 1897 statt. Damals war es ein Landwirtschafts-Markt.
Spezialisiert hat sich der Anlass an der Pferdeausstellung 1901.
Ab 1923 galt der Marché offiziell als nationaler Anlass.
Heute beträgt sein Budget nahezu eine Million Franken. Und er zieht jährlich 40 – bis 50’000 Fans an.
Die Pferdezucht stellt 1,2% des Bruttoertrags der jurassischen Wirtschaft dar.
Ein Freiberger von 3 bis 4 Jahren erzielt einen Preis von 6 – 7000 Franken.
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