Von Hochgeschwindigkeit umzingelt
In Europa breitet sich ein Netz von superschnellen Eisenbahnen aus. Die Schweiz - im Zentrum des Kontinents - will den Anschluss nicht verlieren.
Kein einfaches Unterfangen, denn eigentlich verfolgt die Bahn in der Schweiz andere Ziele.
Europa baut das Netz für Hochgeschwindigkeits-Verbindungen (HGV) aus. Das war die Bilanz eines Treffens von über 1000 Vertretern aus Politik, Industrie und Wissenschaft kürzlich im Madrid. Sinnigerweise trug der dreitätige Kongress auch den Namen «Eurailspeed 2002».
So ist es für den Bahnfan immer wieder ein Genuss: Im Zürcher Hauptbahnhof kann er zur gleichen Zeit den TGV, den ICE und den Pendolino bestaunen. Die ausländischen Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnen geben sich auf etlichen Schweizer Bahnhöfen die «Weichen in die Hand».
Schweiz setzt nicht auf HGV
Was auf den ersten Blick toll ausschaut, bereitet den Schweizer Bundesbahnen (SBB) allerdings auch (finanzielle) Kopfschmerzen. Die Schweiz ist gezwungen, den Anschluss an die europäischen Hochgeschwindigkeits-Netze auszubauen. Man kann sich fragen wozu, denn in der engen und zersiedelten Schweiz wird man nie ein solches Netz für Hochgeschwindigkeit bauen.
Wird die Schweiz damit zum Eisenbahn-Sonderfall in Europa? «Nein», sagt SBB-Chef Benedikt Weibel in der VCS-Zeitung «Leonardo», denn in der Schweiz mache HGV keinen Sinn.
Die hohen Geschwindigkeiten brauchen Kurven mit grossen Radien, eigens abgesicherte Strecken ohne Bahnübergänge und spezielle Sicherheits-Einrichtungen. Denn mit Tempo 300 kmh kann kein Lokomotivführer mehr all die Signale mit blossem Auge sehen.
Die Schweiz ist ein kleinräumige Land und setzt deshalb nicht auf HGV, sondern auf S-Bahn. Das heisst auf eine Bahn, die dicht vernetzt ist und schlanke Fahrpläne bietet. Zwischen den grossen Schweizer Zentren werden die Linien ausgebaut. Tempo 160 ist angesagt. Auf ganz speziellen Strecken wird man maximal 200 km/h schnell fahren. Die Strecke Zürich – Bern wird künftig keine Stunde Fahrzeit mehr benötigen.
«Sowohl-als-auch»-Strategie
«Der Reisende möchte eine gute Anbindung an die europäischen Zentren «, sagt Roland Binz, Sprecher der SBB gegenüber swissinfo. Das sei auch für das Ausland attraktiv.
Deshalb investiert die Schweiz in den kommenden Jahren rund 1,2 Mrd. Franken für den Anschluss an das Hochgeschwindigkeits-Netz der Nachbarbahnen.
Jeder sein eigenes HGV-Züglein
Dabei verfolgt die Schweizer Bundesbahn eine «sowohl-als auch»-Strategie. Sie lässt die ausländischen Hochgeschwindigkeits-Züge auf dem Schweizer Netz fahren. Der TGV fährt zum Beispiel nach Genf, Lausanne, Bern oder Zürich, der ICE nach Bern und weiter nach Interlaken und der Pendolino macht auch in Zürich halt.
Andererseits fahren keine TGV’s auf deutschen ICE-Geleisen etc. Die Systeme sind nicht kompatibel untereinander – die Schweiz jedoch will sich anpassen, weil sie zentral liegt.
Geld lieber in eigene Infrastruktur stecken
Auf die Frage, ob es denn nicht sinnvoller wäre, gute Umsteigemöglichkeiten an den Grenzbahnhöfen zu schaffen, als viel Geld in ausländische Bahnen zu stecken oder gar Rollmaterial zu kaufen (die SBB haben zum Beispiel eine TGV-Komposition gekauft), äussert sich Roland Binz nicht eindeutig. Beides sei geplant.
Felix Adank, der Sprecher beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS) wird da deutlicher. Für den VCS ist klar, dass Hochgeschwindigkeit für die SBB nicht im Vordergrund steht.
«Es fragt sich eben, wie viel ist es den SBB wert, Prestigeverbindungen in die Schweiz zu holen?» sagt Adank zu swissinfo und gibt die Antwort gleich selber: «Die wollen das Geld lieber in die eigene Infrastruktur stecken.»
Man wolle so vermeiden, dass – wie im Ausland – die Zentren mit HGV verbunden werden und den Agglomerationen wird die Eisenbahn weggenommen. «Die sagen sich doch dort: nehmt für Paris – Marseille den TGV, und sonst das Auto», illustriert Adank das Gesagte.
Politische Interessen
Edwin Dutler, Vizepräsident von «Pro Bahn Schweiz» sieht in der Frage rund um die Anbindung der Schweiz ans europäische HGV noch eine politische Komponente.
«Im Ausland wechseln ständig die Verkehrsminister, die dann immer wieder ihre politischen Interessen verfolgen.» So wäre aus der Sicht der Schweiz die Elektrifizierung der Eisenbahnstrecke Zürich – Lindau – München prioritär. «Doch die Deutschen wollen das gar nicht, denn sonst würde der Flughafen Zürich-Kloten plötzlich für viele Deutsche attraktiv.» Doch Bayern will München zum Flughafen Nummer drei in Deutschland ausbauen, sagt Dutler.
Geld wird knapp
In einem sind sich die Bahnexperten einig: Das Geld reicht nicht für alle Wünsche, und da muss HGV zurückstehen. Deshalb gab die SBB kürzlich bekannt, dass man auf die Eurocity-Version der Intercity-Neigezüge (ICN) verzichte. Für die Neue Zürcher Zeitung sind die SBB dabei, sich mit dieser Entwicklung «im europäischen Hochgeschwindigkeits-Verkehr fast überall ins Abseits zu manövrieren.»
Die Schweiz wolle das eigene Netz aus- und fertig bauen, sagen dagegen die Experten bei VCS und Pro Bahn Schweiz. Das heisst: Bahn 2000 und die NEAT verschlingen so viel Geld, dass sich sogar die angekündigte Modernisierung der Regionalbahnhöfe verzögert. Auch die Beschaffung von Rollmaterial in der Schweiz kommt nicht wie geplant voran.
Güterverkehr nicht vergessen
«Und vergessen wir nicht», sagt VCS-Sprecher Adank, «auch der Ausbau der Güterverkehr-Infrastruktur kostet viel Geld.» Bekanntlich wolle die Schweiz die Güter auf die Bahn bringen. Zu diesem Thema höre man auch wenig von den ausländischen Bahnen, sagt Adank.
swissinfo, Urs Maurer
Am 29. November 1998 nahm das Schweizer Volk die Vorlage zur Finanzierung der Eisenbahn-Grossprojekte (Finöv) mit 63,5% Ja-Stimmen an.
Der Finöv-Kredit in der Höhe von 30,5 Mrd. Franken ist für die NEAT, die Bahn 2000, die Anschlüsse an das HGV und die Lärmsanierung bestimmt.
Die Investitionen sind langfristig (ca 20 Jahre) durch Einnahmen aus der Schwerverkehrsabgabe, den Treibstoff-Zöllen und der Mehrwertsteuer gedeckt.
In den ersten Jahren sind die Ausgaben höher als die Einnahmen.
Die Differenz schiesst der Bund vor.
Die Berechnungen beruhen auf Angaben aus dem Jahr 1995
Zur Vermeidung einer Überschuldung wurde im Reglement zum Finöv-Fonds eine indexierte Bevorschussungslimite von 4,2 Mrd. Franken (Stand 1995) festgelegt.
Probleme können sich durch starke Veränderung des wirtschaftlichen Umfeldes ergeben, schreibt die Bundesverwaltung.
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