Währungskrise: Die Lehren aus den 1970er-Jahren
1978 war der Franken gegenüber der D-Mark auf einem Rekordhoch. Dank einem Wechselkursziel konnte die Krise überwunden werden. Kurt Schiltknecht, damals Chefökonom der Schweizerischen Nationalbank, erinnert sich – und vergleicht mit heute.
swissinfo.ch: Weltweit sind die Börsen auf Berg- und Talfahrt, die Verunsicherung an den Märkten und bei Regierungen ist gross. Haben Sie derzeit ein Déjà-vu?
Kurt Schiltknecht: Ich habe ähnliche Situationen an den Börsen auch schon erlebt, ebenso beim Wechselkurs. Aber in Kombination ist das eher eine neuere Entwicklung.
swissinfo.ch: Was geht gegenwärtig an den Märkten vor?
K.S.: Die Leute sind ausserordentlich verunsichert, weil es den Regierungen nicht mehr gelingt, zu erklären, in welche Richtung sich Wirtschaft und Wirtschaftspolitik entwickeln werden.
swissinfo.ch: Besteht ein Zusammenhang zwischen der Eurokrise und der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA?
K.S.: Da gibt es keinen Zusammenhang. Die Krise in Euroraum hängt primär damit zusammen, dass einige Länder extrem überschuldet und nicht mehr zahlungsfähig sind. Deshalb müssen die anderen Länder einspringen, was diesen schadet. Ein spezifisch europäisches Problem.
In den USA hat die Regierung in den letzten Monaten und Jahren immer mehr Schulden gemacht. Das Schuldenproblem beginnt nun auch in Amerika ein gravierendes Ausmass einzunehmen.
swissinfo.ch: Der gemeinsame Nenner ist also die Verschuldung der Länder?
K.S.: Jawohl. Das ist natürlich nicht ein neues Problem. Wir hatten bereits solche Schuldenprobleme in den 1970er- und 80er-Jahren. Aber sie haben jetzt eine noch schlimmere Dimension angenommen. Und die Märkte sind nicht überzeugt davon, dass man einfach alle diese Staatsschulden zurückzahlen kann.
swissinfo.ch: Die Schweizer Regierung sagt, jetzt sei eine «energische Intervention im Rahmen der Geldmarktpolitik nötig». Einen Entscheid hat sie aber nicht getroffen. Was halten Sie davon, und was sollte der Bundesrat tun?
K.S.: Der Bundesrat kann in Bezug auf die Wechselkurs-Problematik kurzfristig relativ wenig tun. Das Beste, was er tun könnte, wäre, eine Steuersenkung für die Wirtschaft und die Bürger in die Wege zu leiten.
Oder beispielsweise eine Rückzahlung eines Prozentsatzes der Bundessteuer vorzunehmen. Dann könnten die Konsumenten mehr konsumieren, und die Unternehmen hätten wieder etwas mehr Geld zum Investieren.
swissinfo.ch: Ist die Währungskrise vergleichbar mit anderen Krisen des letzten Jahrhunderts?
K.S.: Wir hatten eine relativ ähnliche Situation 1978. Damals hat sich der Schweizer Franken innerhalb von neun Monaten real um 30% aufgewertet. Das sind ungefähr die Dimensionen, mit denen wir heute konfrontiert sind.
swissinfo.ch: 1978 haben Sie als Chefökonom der Nationalbank massgeblich zur Stabilisierung der damaligen Frankenkrise beigetragen. Wie gingen Sie vor?
K.S.: Wir haben relativ viele Massnahmen ausprobiert, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Die SNB hat damals am Devisenmarkt Fremdwährungen gekauft und eine expansivere Geldpolitik in die Wege geleitet.
Dann gab es noch so einige historische Restanzen: Man versuchte, mit Negativzinsen, mit Anlageverboten und mit solchen Dingen, den Kapitalverkehr zu beeinflussen. Aber diese Massnahmen haben überhaupt nie gewirkt.
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Schweizerische Nationalbank
swissinfo.ch: Welche Massnahme hat schliesslich gegriffen?
K.S.: Als man merkte, dass der Devisenmarkt nicht in der Lage ist, selber klare Erwartungen zu bilden, in welche Richtung der Wechselkurs sich entwickelt, hat sich die Nationalbank entschieden, ein Wechselkursziel bekanntzugeben.
Die SNB hat gesagt, sie werde so lange Dollar kaufen, bis der Kurs der deutschen Mark deutlich über 80 sei. Als man das bekanntgegeben hat, war der Kurs etwa bei 76. Also hat man einen Kurs gewählt, der nicht ganz 10% über dem aktuellen Kurs lag.
Das hat sehr gut funktioniert: Der Markt war nach einigem Zögern überzeugt, dass sich die Situation verbessern würde. Und dann begann der Kapitalverkehr wieder zu funktionieren.
swissinfo.ch: Damals ging es um die Deutsche Mark, die Währung eines stabilen Landes. Jetzt geht es primär um den Euro. Der Euroraum ist weit weniger stabil. Was ist heute anders?
K.S.: Heute ist es schwieriger, zu prognostizieren, in welche Richtung sich Euro oder Dollar entwickeln, weil diese beiden Währungsräume mit sehr schwierigen Problemen konfrontiert sind.
Aber es ist immer so: Man muss unter Unsicherheit entscheiden und die verschiedenen Risiken abwägen.
Daher war es sicher richtig, dass die Schweizerische Nationalbank letzte Woche ein erstes Signal ausgesendet hat. Damit tat sie ihre Meinung kund, der Franken habe nun ein Niveau erreicht, das nicht mehr weiter überschritten werden sollte.
swissinfo.ch: Wie agierte und reagierte man in noch früheren Krisen wie etwa 1929 nach dem Börsencrash?
K.S.: Damals wurde relativ schlecht reagiert. Statt einer expansiven verfolgte man in den USA eine restriktive Geldpolitik, was natürlich die Krise noch zusätzlich verstärkte.
In der Schweiz war das umgekehrt, weil wir damals sehr viele Kapitalzuflüsse und eine expansive Geldpolitik hatten. Deshalb war die Schweiz am Anfang der Weltwirtschaftskrise weniger betroffen. Erst später machten sich die Auswirkungen dann auch hier bemerkbar.
swissinfo.ch: Gibt es heute in der Ökonomie Lehren, die man aus Währungskrisen gezogen hat, Modelle, an die man sich halten könnte? Oder ist jede Krise anders?
K.S.: Man versucht immer, aus der Vergangenheit zu lernen. Aber jede Krise hat gewisse Eigenheiten. Man sollte relativ vorsichtig sein, auf jede kleine Krise mit grossen Massnahmen zu reagieren.
Was heute Not täte, wäre, dass die Politiker, also Regierungen und Parlamente, sich zu Entscheidungen durchringen, um die Probleme zu lösen. Aber statt dass man diese Probleme anpackt, wird dauernd geredet, telefoniert. Und das trägt natürlich nicht zur Stabilisierung der Märkte bei.
swissinfo.ch: Was könnte man heute tun, um die Währungskrise zu beenden?
K.S.: Viel mehr Möglichkeiten als ein Wechselkursziel zu formulieren, gibt es im Moment nicht. Das wäre sicher die letzte Variante, zu der man greifen würde.
swissinfo.ch: Droht der Welt, oder zumindest den USA, eine Rezession?
K.S.: Eine Rezession ist in den westlichen Industrieländern nicht auszuschliessen. Aber ich glaube, es kommt zu keiner Krise, sondern eher zu einer Abschwächung des Wachstums.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am Mittwoch zusätzliche Massnahmen gegen den starken Franken ergriffen.
So soll die Liquidität am Schweizer-Franken-Geldmarkt weiter «signifikant» ausgeweitet werden, teilte die SNB mit. Die Sichtguthaben der Banken der SNB werden von derzeit 80 auf 120 Mrd. Fr. steigen.
«Die deutlich gestiegene Risiko-Aversion an den internationalen Finanzmärkten hat die Überbewertung des Schweizer Frankens in den letzten Tagen nochmals verschärft», begründete die SNB ihren Entscheid. Die SNB will, falls notwendig, weitere Massnahmen gegen die Frankenstärke ergreifen.
Bereits letzte Woche hatte die Nationalbank den Leitzins gesenkt und die Geldmenge (Geld, das in Umlauf ist) erhöht.
Der Girobestand der Banken war von rund 30 auf 80 Mrd. Fr. ausgedehnt worden.
Kurt Schiltknecht, 1941 geboren, studierte in Zürich Volkswirtschaft.
Danach arbeitete er in diversen Forschungsgruppen in Zürich, Paris und den USA.
Von 1974 bis 1996 war er bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) unter anderem als Chefökonom und Mitglied des Bankrates tätig.
Ab 1984 lehrte er als ausserordentlicher Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel.
Gegenwärtig ist Schiltknecht Beirat der BZ-Bankengruppe.
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