Weltbank: Schweiz wird ernst genommen
Die Schweiz vertritt in Weltbank und internationalem Währungsfonds eine heterogene Länder-Gruppe, die Helvetistan genannt wird.
Shigeo Katsu, Vizepräsident der Region Europa und Zentralasien der Weltbank, sprach mit swissinfo über den Einfluss der Schweiz und ihr Engagement in Transitions-Ländern.
Seit 2002 ist die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen (UNO). Zehn Jahre zuvor war sie den internationalen Finanz-Institutionen von Bretton-Woods (BWI)(Weltbank und internationaler Währungsfonds) beigetreten.
Im Gegensatz zur UNO, wo jedes Land eine Stimme hat, müssen Staaten in den BWI ihr Stimmrecht als Anteil am Kapital erkaufen. Grosse Länder kaufen den Sitz in eigenem Namen, andere tun sich zu einer so genannten Stimmrechtsgruppe zusammen.
Schweiz vertritt Helvetistan
Die Schweiz packte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Chance und übernahm den Vorsitz einer neu geschaffenen Gruppe, die 2,88% Prozent des Kapitals vertritt. Die Schweiz ist seither auch ständig im 24-köpfigen Exekutivrat der Weltbank (WB) vertreten.
Alle diese Länder liegen in der WB-Region Europa und Zentralasien (ECA). Für diese Region verantwortlich ist seit August 2003 Shigeo Katsu. swissinfo hat ihn bei einem Besuch in der Schweiz getroffen.
swissinfo: Wofür steht die Schweiz in den BWI?
Shigeo Katsu: Die Schweiz ist relativ spät Mitglied geworden, hat sich aber sehr schnell den Respekt aller erworben. Auch weil die Schweiz als neutrales Land andere Mitglieder überzeugen konnte, dass sie keine eigene Agenda verfolgt.
Als kleines, offenes Land denkt die Schweiz mit, was die besten Entwicklungs-Wege wären, ohne zu versuchen, ein Schweizer Modell vorzuschreiben.
swissinfo: Hat die Schweiz überhaupt Einfluss, oder wird sie von den Grossen an den Rand gedrängt?
S. K.: Das glaube ich nicht. An den Sitzungen im Exekutivrat spielt es weniger eine Rolle, wer wie viele Prozent vertritt. Wichtig ist, dass man dabei ist. Aus meiner Warte werden die operationellen Meinungen der Schweiz sehr ernst genommen.
Im Organigramm der ECA-Division finden sich keine Schweizer in wichtigen Positionen. Gibt es keine fähigen Schweizer, oder werden sie schlecht positioniert für solche Posten?
S. K.: Ich bin mir sicher, dass es viele fähige Schweizer gibt. Wir versuchen natürlich bei den Einstellungen, nicht auf die Nationalität oder die Herkunft zu achten.
Ich kann aber verstehen, dass ein Interesse besteht, Manager mit Schweizer Nationalität in der Bank zu platzieren. Die Schweiz ist aber sicher nicht allein mit der Ansicht, sie sei untervertreten.
swissinfo: Die Schweizer Stimmrechtsgruppe ist sehr divers zusammengesetzt. Kann die Schweiz diese Gruppe überhaupt strategisch nutzen und die Interessen all dieser Länder vertreten?
S. K.: Man sollte die Vorteile dieser Gruppe sehen. Sie eröffnet ideale Möglichkeiten für Kooperationen zwischen den fortgeschrittenen und den weniger fortgeschrittenen Ländern.
Es gibt viele gemeinsame Nenner zwischen den Ländern. Man darf nicht vergessen, dass die Planwirtschaft in all diesen Ländern gleiche Erbschaften hinterlassen hat, beispielsweise Industrie-Städte [die nicht überlebensfähig sind in der Marktwirtschaft]. Auch die Reform der Landwirtschaft müssen alle bewältigen.
swissinfo: Wo stehen die Länder heute in der Transition von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft?
S. K.: Wir mussten lernen, dass die Transition sehr viel mehr Zeit brauchte als wir angenommen hatten. In vielen der 28 Länder der ECA-Region ist die pure Transitionsphase unterdessen abgeschlossen. Die Unterschiede sind dadurch noch grösser geworden.
In Ländern, in denen die Planwirtschaft nur eine kurze Episode darstellte, hat die Transition relativ kurz gedauert. Das sieht man an den acht neuen EU-Staaten. In Zentralasien hingegen ist unsere Herausforderung fast mit «Nation building» zu vergleichen.
Die Schweiz hat eine lange Tradition der Entwicklungs-Zusammenarbeit. Konnte die Weltbank etwas von der Schweiz lernen?
S. K.: Das Thema Entwicklungs-Zusammenarbeit ist so komplex, dass alle bereit sein müssen, von allen zu lernen.
Noch bevor die Schweiz den BWI beitrat, hatte ich in Afrika in den 80er-Jahren mit der Schweiz Erfahrungen gesammelt, beispielsweise in Mali. Da habe ich im Bereich Wasserbau viel von [der Schweizer Nichtregierungs-Organisation] Helvetas gelernt. Viele dieser Elemente sind später in Projekte der Weltbank eingeflossen.
In den Ländern Zentralasiens, die die Schweiz in den BWI vertritt, herrscht Korruption und wenig Demokratie, warum betätigt sich die Schweiz ausgerechnet dort?
S. K.: Der Beginn der Zusammenarbeit fand in kleinen, gebirgigen Ländern statt, wo die Bedingungen relativ ähnlich sein könnten. Ob die politische Entwicklung seitdem den Visionen der Schweiz gefolgt ist, ist eine andere Frage.
Auch wir bedauern, dass nicht mehr Fortschritt statt gefunden hat. Umgekehrt bedeutet das, dass man sich auf lange Sicht engagieren muss. Man hat sich für die kleinen, vielleicht die winzigen Schritte entschieden.
swissinfo: Müsste man nicht mehr Druck machen, zum Beispiel die Entwicklungs-Zusammenarbeit von Standards bei der Regierungsführung abhängig machen?
K. S.: Wir stellen uns diese Frage auch die ganze Zeit. Letzten Endes muss man abwägen, ob es besser ist, dass man mit den kleinen Schritten engagiert bleibt, oder riskiert, dass man gar nichts mehr machen kann. Dieses Risiko ist wahrscheinlich zu gross.
swissinfo-Interview, Philippe Kropf
Simmrechtsgruppe Helvetistan:
Schweiz
Usbekistan
Kirgisistan
Tadschikistan
Turkmenistan
Aserbaidschan
Polen
Jugoslawien-Montenegro
Die Bretton Woods-Institutionen (BWI) wurden 1944 gegründet.
Sie bestehen aus der Weltbank (WB) und dem internationalen Währungsfonds (IWF).
Die WB unterstützt den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau von Entwicklungs- und Transitionsländern.
Die Schweiz trat den BWI nach einem Volksentscheid 1992 bei.
Sie vertritt eine Stimmrechtsgruppe von insgesamt acht Ländern, die Helvetistan genannt wird.
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