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Welthandel: Schweizer Konzessionen im Agrarbereich?

Die schweizerische Landwirtschaft gehört weltweit zu den am höchsten abgeschotteten. Pratt-Pries, Schapowalow

Die in Genf niedergelassene Welthandelsorganisation (WTO) schöpft neue Hoffnungen: Die Verhandlungsführer geben dem lang erwarteten globalen Handels-Übereinkommen neue Chancen.

Laut dem Schweizer Unterhändler Remigi Winzap bedeuten die neuen Vorschläge der Welthandelsorganisation (WTO) einen «positiven Schritt nach vorn». Gleichzeitig warnt der Chef der WTO-Abteilung im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), dass das Gesamtbild für die Schweiz nicht sehr rosig aussieht.

Denn unser Land könnte sich zu weitgehenden Konzessionen in der Landwirtschaft gezwungen sehen. Die Schweiz und die von ihr angeführte sogenannte G-10 sowie die EU-Länder gehören innerhalb dem Lager der Industriestaaten zu den Agrarprotektionisten.

Letzte Woche publizierte die WTO neue Vorschläge im Agrar- und Industriegüter-Handelsbereich, die zu einem neuen multilateralen (Frei-)Handelsabkommen führen könnten. Sie stehen somit am nächsten Treffen der Handelsminister auf der Traktandenliste.

Die Unterhändler hoffen, bis Ende Jahr ein Abkommen auf die Beine stellen zu können.

Revidierte Vorschläge

Die revidierten Vorschläge stellen die jüngste Version der Unterredungen innerhalb der Doha-Welthandelsgespräche dar. Diese waren 2001 lanciert worden. Aber seither streiten sich Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer, da sich das Machtgefüge stark in Richtung der Schwellenländer als Newcomer verlagert hat. Dies erschwert die Bildung eines Konsens.

«Diese Vorschläge zeigen klar, wo sich die Annäherungspunkte innerhalb der WTO-Mitglieder befinden», sagt WTO-Generaldirektor Pascal Lamy. «Wir nähern uns damit der Endrunde.»

Im Agrarbereich sollen Fortschritte erreicht worden sein. Doch im Industriebereich präsentiere sich die Lage als problematischer, so dass die Terminierung der Meetings der Handelsminister vorläufig noch offen sei.

Winzap, der selbst auch Chefunterhändler der Schweiz für den Industriebereich ist, sagt gegenüber swissinfo: «Im Landwirtschaftsbereich konnten die ungelösten Kapitel ziemlich reduziert werden, und die Positionen kommen sich näher, aber es bleibt dennoch viel zu tun.»

Im Industriebereich hingegen sei es etwas schwieriger. «Zwar zeichnet sich eine Struktur ab, aber die Verhandlungspositionen liegen noch weit auseinander.» Und kurzfristig würden sie wohl kaum überbrückt werden können.

Grosse Bedenken

Die jüngsten Vorschläge beinhalten einen durchschnittlichen Abbau der Importzölle für Agrarprodukte um 54% für Industrieländer und um 36% für Entwicklungsländer. Gleichzeitig müssten die Agrarsubventionen in der EU um 75 bis 85%, und in Japan und den USA um 66 bis 73% gesenkt werden.

In den Agrarvorschlägen werden gewisse «sensitive» Produkte etwas von der Liberalisierung ausgenommen. Industrieländer dürften 4 bis 6% ihrer Agrarimporte als «sensitiv» bezeichnen, wenn sie sich andererseits zu entsprechenden generellen Quoten bekennen.

Im Industriebereich würden sich rund 30 Schwellenländer verpflichten, ihre Zölle auf maximal 19 bis 26% zu reduzieren. Je tiefer die Zölle fallen, umso mehr Rechte hätten die Regierungen, gewisse Produkte als «sensitiv» zu definieren.

Trotz des Optimismus seitens der WTO haben etliche Länder und Wirtschaftsbranchen die revidierten Vorschläge abgelehnt. So befindet Indien die Empfehlungen als «völlig inakzeptabel» und wirft den Industrieländern vor, sie versuchten, die Entwicklungsländer «zu beherrschen, indem sie sie gegeneinander ausspielen».

Auch Kanada bringt «seriöse Vorbehalte» an, aber im Agrarbereich, besonders im Bereich der «sensitiven» Produkte. Brasilien schliesslich findet, die WTO-Vorschläge müssten noch stark bearbeitet werden, bevor sie als Verhandlungsbasis auf ministerieller Ebene dienen.

Die USA und die EU haben sich noch nicht verlauten lassen.

Geben und nehmen

Der Schweizer Handelsdelegierte bezeichnet die Verhandlungen als «sehr schwierig».

«Die Schweiz wird ihre Agrarzölle massiv senken müssen – bis zu 70% ihres jetzigen Standes. Deshalb ist es wichtig, dass wir im Gegenzug Konzessionen im Bereich der Industriegüter und anderer Produkte erhalten», sagt Winzap.

«In der Landwirtschaft werden wir nicht viel zu gewinnen, sondern zu bezahlen haben. Bei den Industriegütern und Dienstleistungen wissen wir nicht, was wir erhalten werden. Und in den anderen Bereichen gibt es nicht viel zu verhandeln – das ist unser Problem.»

Und Winzap weiter: «Wahrscheinlich werden wir das Ganze der Schweizer Bevölkerung in einem Referendum verkaufen müssen – gar keine rosige Aussicht.»

Diese Woche beginnen die Delegierten eine mühevolle Verhandlungsphase aufgrund der neuen Unterlagen. Die 152 WTO-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, die Runde bis Ende Jahr abzuschliessen, noch vor dem Wechsel der US-Administration 2009.

«Optimisten sagen, es könnte möglich sein, die Doha-Runde noch vor Ende Jahr abzuschliessen. Ich tendiere eher auf das Jahr 2009», so Winzap.

swissinfo, Simon Bradley, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle und Jean-Michel Berthoud)

Die 150 Mitglieder der WTO verhandeln über eine grössere Liberalisierung des Welthandels im Rahmen der 2001 lancierten Runde in Doha, der Hauptstadt von Katar.

Die Länder sind sich nicht einig über das genaue Niveau der Zollsenkungen, über die internen Reduktionen der Agrarsubventionen und über den Grad der Flexibilität für die Entwicklungsländer bei der Öffnung ihrer Märkte.

Im Juli 2006 wurden die Verhandlungen wegen Uneinigkeit abgebrochen.

Im Rahmen dieser Verhandlungen präsidiert die Schweiz eine Gruppe von Ländern (G 10), die Agrar-Importeure sind.

Im Agrardossier ist die Schweiz zurückhaltend. Sie setzt sich für eine Liberalisierung der Dienstleistungen und eine Senkung der Zolltarife auf Industrieprodukten ein.

Doch die Lösungslinien zeichnen sich ab: Die USA müssten ihre Agrarsubventionen kürzen, die EU müsste ihren protektionierten Markt öffnen, die Entwicklungsländer ihre Industrie-Zolltarife senken.

Dazu kämen Massnahmen, um die Dienstleistungs-Branchen zu liberalisieren.

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