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Wenn der Schuldenberg ins Unendliche wächst

Lieber Schulden als kein Auto. Keystone

Immer mehr Personen verschulden sich auch in der Schweiz wegen der Wirtschaftsflaute und der Arbeitslosigkeit. Die Schulden-Beratungsstellen helfen, wieder aus der Spirale herauszukommen.

Die Beratungsstellen haben Hochkonjunktur.

Wenn Leute Schulden haben, versuchen sie oftmals, dies zu verdrängen. Stattdessen machen sie noch mehr Schulden: Sie leasen das Auto, kaufen Kleider aus dem Katalog, nehmen Kleinkredite auf und schieben die Steuerrechnung hinaus.

Hilfe suchen nicht einfach

Erst wenn der Leidensdruck riesig ist und eine Lohnpfändung droht, suchen sie eine Beratungsstelle auf. Die Schulden betragen dann oft bereits mehrere zehntausend Franken. Um wieder aus der Schuldenspirale herauszukommen, braucht es neben der Motivation, am Leben etwas zu verändern, viel Geduld.

Geduld, da eine Schuldensanierung mehrere Jahre dauert und Geduld, da die meisten Schulden-Beratungsstellen überlastet und längere Wartefristen die Regel sind. Jürg Gschwend, Präsident des Dachverbands Schuldenberatung, sagt: «Viele Stellen können das Angebot nicht bereitstellen, das es brauchen würde.»

Massiver Anstieg der Anfragen

Seit zwei, drei Jahren beobachtet Gschwend einen massiven Anstieg der Anfragen. So habe die Beratungsstelle in Lausanne zum Beispiel 220 Gespräche im ersten Halbjahr 2003 geführt. In den 15 Monaten davor waren es 350. «Heute ist man eher bereit,- sich zu verschulden. Dies hat mit dem Individualismus zu tun, und dass man sich gegen aussen definiert.»

In der Schweiz haben rund 10 Prozent der Haushalte Schuldenprobleme, wobei nur eine Minderheit bei den Beratungsstellen Hilfe sucht. Verschuldung kennt keine regionalen Unterschiede. In einer Stadt sind die Verlockungen Geld auszugeben zwar grösser, auf dem Land wird dafür weniger gern auf das Auto verzichtet.

Leben ändern



Die Schuldenberatungsstellen können aber nicht allen Leuten helfen. Neben der Bereitschaft den Lebensstil zu ändern, also auf gewisse Dinge zu verzichten, müssen die Leute auch ein geregeltes Einkommen vorweisen. Erst dann wird ein Budgetplan erarbeitet. Dort wird individuell festgelegt, welches Geld wofür gebraucht wird und wie viel allenfalls auf die Seite gelegt werden kann.

Mario Roncoroni, Geschäftsleiter des Vereins Schuldensanierung des Kantons Bern, sagt dazu: «Ein Budgetplan muss realistisch sein. Eine bosnische Mutter mit einem Kind in Bosnien hat höhere Telefonkosten. Die wegzudiskutieren ist nicht realistisch.» Und Jürg Gschwend sagt: «Wichtig ist auch, dass die Leute lernen, ihre Ausgaben zu planen.»

Damit die Schuldenspirale gar nicht anfangen kann zu drehen, läuft im Kanton Aargau das Projekt «Monatlich Steuern zahlen». Viele Menschen vernachlässigen es nämlich, Geld für die Steuern auf die Seite zu legen.

Phänomen der verschuldeten Jugend

Immer mehr verschulden sich auch Jugendliche – Stichworte sind da etwa Markenartikel aber auch der heute einfache Zugang zu Krediten und Karten, die während einer gewissen Zeit ein «Leben auf Pump» möglich machen.

Rund 30 Prozent der Jugendlichen hätten heute Geldprobleme, sagt Reno Sami von der Budget- und Schuldenberatung Basel. In den letzten anderthalb Jahren sei bei der Basler Freizeitaktion, einer Beratungsstelle für Jugendliche, der Anteil Anfragen wegen Geldsorgen von 15 auf 65 Prozent gestiegen.

Laut Sami geben Jugendliche ihr Geld vor allem für Markenprodukte aus. Und leisten sich so einen Lebensstandard, den sie gar nicht bezahlen können. Am Anfang kämen oftmals noch die Eltern für die Schulden der Kinder auf, sagt Sami. «Das böse Aufwachen kommt dann später.»

Damit Jugendliche möglichst gar nicht erst in eine solche Schuldenfalle geraten, soll eine nationale Präventionskampagne lanciert werden. Sami sucht momentan nach Spendern, im Dezember wird entschieden, wie die Kampagne starten soll.

Spielsucht und Schulden

Ein besonderer Aspekt der Verschuldung ist die Spielsucht. In Bern etwa kümmert sich der Verein Schuldensanierung in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berner Gesundheit um die Schulden von Spielsüchtigen.

Diese werden seit einem Jahr speziell betreut. «Früher gab es zwar auch Spielsüchtige auf der Beratung. Die sind aber oft heraus gefallen, weil sie sich nicht ans Budget hielten», sagt Mario Roncoroni.

Seit der Zusammenarbeit mit der Stiftung Berner Gesundheit könne man besser auf ihre Probleme eingehen. Doch bevor der Schuldenberg angegangen werden kann, muss ein Spielsüchtiger in der Regel sechs Monate abstinent sein.

swissinfo und Agenturen

Auch in der Schweiz verschulden sich wegen der Wirtschaftsflaute und der Arbeitslosigkeit immer mehr Menschen. Beratungsstellen bieten Hilfe, wie aus der Schuldenfalle herausgekommen werden kann. Und die Beratungsstellen haben Hochkonjunktur.

Besonders hohe Schulden verursacht aber auch die Spielsucht. Spielschulden sind mit durchschnittlich 110’000 Franken rund 40’000 Franken höher als sonst bei einer Verschuldung. In der Schweiz sind gemäss einer Studie rund 0,8 Prozent der Bevölkerung spielsüchtig.

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