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Wie nachhaltiges Wirtschaften den Planeten retten kann

Berner "Stade de Suisse": Das grösste mit Solarzellen ausgestattete Sportstadion der Welt. Philipp Zinniker

Die Weltwirtschaft beginne erstmals richtig von Umweltanliegen angetrieben zu werden, behauptet das Worldwatch Institute, ein führender US-Think Tank in Washington.

Dessen Präsident Christopher Flavin erklärt, weshalb sein jüngster Zustandsbericht 2008 zuversichtlich bezüglich der Klima-Herausforderungen ist.

Der 253-seitige Bericht des Worldwatch Institute behauptet, Wirtschaft, Politik und Nichtregierungs-Organisationen (NGO) seien daran, die erste Weltwirtschaft zu erfinden, die auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruht.

Auch gewisse Schweizer Gemeinden zeigten den Weg dorthin auf.

Und Schweizer Unternehmen seien dabei, sich dem Trend anzuschliessen.

Diese Erkenntnisse des Worldwatch Institute stehen in starkem Gegensatz zum düsteren Weltbild, dass der Öffentlichkeit gegenwärtig von anderen Ökologie-Fachleuten, zum Beispiel den UNO-Klimaspezialisten, vermittelt wird.

swissinfo: Laut dem Bericht bewegen sich zahlreiche Unternehmen schon weg vom puren Marktkapitalismus, in Richtung eines neuen Grundwerts, der auch viele nachhaltige Entwicklungsziele umfasst. Ist ein Kollaps also vermeidbar?

Christopher Flavin: Im Bereich des Klimawandels ist nicht auszuschliessen, dass wir einige kritische Schwellen bereits überschritten haben.

Noch können wir von der Annahme ausgehen, dass dies noch nicht der Fall ist. Die Dringlichkeit ist auf jeden Fall gross, die Wirtschaft in andere Kanäle zu lenken.

swissinfo: Der Bericht lobt gewisse Schweizer Kooperativ-Mechanismen, wie zum Beispiel die Allmend-Bewirtschaftung bei der alpinen Viehhaltung. Wie kann diese Art von Ressourcen-Bewirtschaftung nachhaltig wirken?

C.F.: Unsere wichtigsten Umweltressourcen sind die Ozeane und die Atmosphäre, zum Teil auch die tropischen Regenwälder. Diese sind aber nicht innerhalb von nationalen Grenzen zu managen, und erst recht nicht innerhalb einzelner Gemeinden.

Der Schlüssel zur Problemlösung besteht darin, sich auszudenken, wie man Ressourcen effizient bewirtschaftet, die nicht im Besitz einer klar definierten politischen Gemeinschaft stehen.

Ich finde, was in der Schweiz im Kleinen zum Funktionieren gebracht wurde, sollte irgendwie auf die globale Ebene übertragen werden können.

swissinfo: «Zustand der Welt 2008» sieht die Atomenergie als Option zum Ersatz der CO2-ausstossenden Fossilenergie. Das tönt kontrovers. Wird die Nuklearoption langsam auch in Umweltkreisen hoffähig?

C.F.: Ich glaube nicht. Wir unterstützen die Atomenergie nicht, und wir haben auch auf die vielen Hindernisse rund um die nukleare Option aufmerksam gemacht.

Persönlich glaube ich, dass Atomenergie im besten Fall einen kleinen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems beitragen kann.

Das Bauen von zahlreichen Kernkraftwerken wird uns kaum spürbar vorwärts bringen. Die beste Art, Fossilenergie zu ersetzen, ist Effizienz im Verbrauch und Erneuerbarkeit. Allein Windenergie hat mehr Potenzial als Nuklearenergie.

swissinfo: Im Vorwort zu Ihrem Bericht schreiben Sie, dass die Interaktion von Technologie, Privatinvestitionen und politischen Reformen die Welt in Richtung einer umfassenden Erneuerung der Energiemärkte führt. Genügt das?

C.F.: Man kann gleichzeitig optimistisch und pessimistisch sein. Wir befinden uns wohl am Rande einer beginnenden Energie-Revolution. Schon in fünf bis zehn Jahren werden die Energiemärkte ganz anders aussehen als heute. Neue Technologien werden dominieren.

Doch es braucht so viel, um die gegenwärtige überwiegend fossile Energiewirtschaft zu ersetzen. Wir können gar nicht schnell genug sein. Das Risiko bleibt, dass wir bei der Erneuerung nicht schnell genug sind.

swissinfo: Falls es nicht schon zu spät ist, sollte das Schwergewicht nicht eher auf Anpassung und weniger auf Linderung gelegt werden?

C.F.: Die Herausforderung bei der Anpassung liegt darin, dass es so viel zu tun gibt und dass die Unsicherheiten so gross sind. Es ist auch schwierig, hier ein politisches Gewicht aufzubauen.

Es mag zwar schon zu spät sein, um noch gewisse Katastrophen abzuwenden. Doch es kann nur schlimmer werden, wenn wir zulassen, dass alles so weitergeht wie bisher.

swissinfo: Novartis gilt als Beispiel, wie eine Industrie nachhaltig wirken kann. Der Konzern hat einen «Basis-Korb an Bedürfnissen» für die 93’000 Mitarbeitenden zusammengestellt und bezahlt sie dementsprechend. Wäre dies ein Teil der Grundwerte?

C.F.: Nachhaltigkeit ist in erster Linie ein ökologisches Konzept. Aber viele Unternehmen stellen ihre Nachhaltigkeit in einen weiteren Kontext. So schliessen sie zum Beispiel so genannte Programme sozialer Verantwortlichkeit mit ein.

Damit versuchen die Unternehmen, auf die Bedürfnisse der Leute einzugehen, egal ob sie nun Mitarbeiter, Kunden oder einfach die Gesellschaft darstellen. Das ist ein wichtiger Teil der neuen Vorgehensweise.

swissinfo-Interview: Dale Bechtel
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Das in Washington ansässige Worldwatch Institute ist eine unabhängige Forschungsorganisation.
Sie setzt sich für eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Gesellschaft ein, indem sie auf die Ursachen der weltweiten Probleme aufmerksam macht und Lösungen vorschlägt.
Das Schweizer Beratungs-Unternehmen ecos unterstützt das Worldwatch Institute.
Der Bericht «Zustand der Welt 2008» erwähnt auch die Arbeit des Schweizers Walter Stahel zur Verlängerung der Lebensdauer von Produkten.
Er wird darin als «einer der Gründer der neuen Nachhaltigkeits-Bewegung in den 1990er-Jahren» bezeichnet.

Auf Klimaerwärmung, andere ökologische Herausforderungen sowie soziale Probleme reagieren Wirtschaft, Regierungen und Nichtregierungs-Organisationen (NGO) mit einer Reihe von Innovationen und Investitionen. Dies sagt das Worldwatch Institute.

Die Forschungs- und Entwicklungs-Ausgaben der Unternehmen für saubere Energietechnologien betrugen 2006 9,1 Mrd. Dollar (10,1 Mrd. Fr.), zehnmal mehr als 2001.

Der Venture-Capital-Bereich Umwelt- und Energie-Hedge-Funds rangiert als Anlagekategorie Nr. 3, hinter den Bereichen Internet und Biotechnologie.

Der US-Chemiekonzern DuPont hat seinen Treibhausgas-Ausstoss 2007 auf das Niveau von 1991 reduziert und damit 3 Mrd. Dollar gespart.

Ideen der «Kooperativen-Bewirtschaftung» wie die Reisproduktion auf Bali oder die alpine Viehwirtschaft in der Schweiz finden immer mehr Anklang.

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