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Wie viel ethos braucht die Schweiz?

Dominique Biedermann, der Direktor von ethos, an der Nestlé-GV. Keystone

Die Schweiz kennt ein feines Regelwerk für Börse und Unternehmen. Im Bereich der Aktionärsdemokratie bleibt noch einiges zu tun.

ethos, die streitbare Anlagestiftung aus Genf, erinnert daran, dass namhafte Schweizer Unternehmen noch besser und transparenter geführt werden müssen.

In der Schweiz gibt es rund 11’000 Pensionskassen, die gemeinsam ein Anlagevermögen von mehr als 400 Milliarden Franken verwalten. 70% der in der Schweiz Versicherten sind jedoch in nur 100 Grosskassen zusammengefasst.

Die Vorsorgeeinrichtungen üben mit ihrer Marktmacht einen wachsenden Einfluss auf Aktiengesellschaften aus, bei denen sie Titel halten.

Die Pensionskassen sind an drei Fronten gefordert. Sie müssen die hohen Renditevorgaben erfüllen, eine wirtschaftlich solide Alterstruktur der Versicherten erreichen und die Prämien in sichere und nachhaltige Titel investieren.

Viele Pensionskassen sind individuell nicht in der Lage, ihr Aktionärsstimmrecht systematisch auszuüben. Immer öfter übertragen sie diese Aufgabe an die Anlagestiftung ethos.

ethos verlangt mehr Aktionärsdemokratie

ethos wurde im Jahr 1997 durch zwei Genfer Pensionskassen gegründet. 85 Vorsorgeinstitute sind inzwischen Mitglied. Die Stiftung mit Sitz in Genf verwaltet rund 1 Milliarde Franken an Pensionskassen-Geldern, die in rund 250 Firmen angelegt sind.

Für ihre Kunden verfolgt ethos eine langfristige Anlagepolitik. Die Strategie der Stiftung basiert auf vier Grundpfeilern: Rentabilität, Sicherheit, Diversifikation und Liquidität.

ethos platziert die ihr anvertrauten Kundengelder vor allem in Unternehmen mit transparenten Strukturen und einer guten Corporate Governance.

Testfall Nestlé

Wie brisant der Ansatz von ethos ist, zeigte sich am 14. April, als die Stiftung zusammen mit fünf grossen Schweizer Pensionskassen (Pensionskasse der Stadt Zürich, Luzerner Pensionskasse, Caisse de prévoyance CEH, Genf, Caisse de Prévoyance CIA, Genf, Caisse de Pensions du Canton du Jura) an der Generalversammlung des Weltkonzerns Nestlé die strikte Einhaltung der Corporate-Governance-Regeln verlangte.

Finanzexperten verstehen unter Corporate Governance die Gesamtheit der Grundsätze, welche auf der obersten Ebene eines Unternehmens gelten. Für die Aktionäre ist dabei wichtig, dass ein Unternehmen entscheidungsfähig ist, effizient wirtschaftet und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle anstrebt.

ethos will Doppelmandate abschaffen

ethos versuchte zusammen mit den Pensionskassen an der GV von Nestlé zu verhindern, dass Peter Brabeck gleichzeitig als Präsident des Verwaltungsrates und als CEO des Unternehmens wirkt.

Das Doppelmandat widerspreche den Best-Practice-Regeln der Corporate Governance. Nestlé, der weltweit grösste Nahrungsmittelmulti mit Sitz in Vevey, beschäftigt rund 250’000 Angestellte und produziert in mehr als 500 Fabriken.

Obwohl ethos an der GV von Nestlé mit rund 36% der Aktionärsstimmen den Befürwortern des Doppelmandats von Peter Brabeck unterlag, hat der Vorstoss der Anlagestiftung aus Genf bei Investoren und in Finanzkreisen grosses Echo ausgelöst.

Finanzexperten rechnen damit, dass ethos auch bei anderen Firmen, wo die Stiftung Kundengelder platziert, sich vermehrt für die Aktionärsdemokratie einsetzen werde.

Nächster Schritt: Credit Suisse

Konkret will die Anlagestiftung am Freitag in Zürich bei der Generalversammlung der Credit Suisse Group (CSG) nachdoppeln. Im Zielfeuer der Kritik steht damit erneut Nestlé-Konzernchef und Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck. Brabeck ist derzeit Vizepräsident des CSG-Verwaltungsrates und will an einem Mandat im VR festhalten.

Ihm und seinen Verwaltungsratskollegen Thomas W. Bechtler und Ernst Tanner verweigert ethos die Wiederwahl für weitere drei Jahre. Der Grund für diese Nichtwahl ist dabei nicht die Kompetenz der Verwaltungsräte, sondern deren “offensichtlich fehlende Verfügbarkeit»” aufgrund ihrer vielen weiteren Mandate.

Brabeck will bleiben

Brabeck will aber am Verwaltungsrats-Mandat bei der CSG festhalten. Der Nestlé-Chef habe die Vorteile, die er aus den Erfahrungen bei Roche und CSG für Nestlé beziehe, gegenüber dem Zeitaufwand für diese Ämter abgewogen, sagte Nestlé-Sprecher François-Xavier.Perroud.

Am vergangenen Wochenende hatte alt Bundesrat Kaspar Villiger erklärt, dass Brabeck im Fall seiner Wiederwahl als CSG-Verwaltungsrat auf das Vizepräsidium verzichten werde. Brabeck beuge sich damit aber nicht dem Druck von irgend jemandem, betonte Perroud.

Transparenz als Argument für Anleger

Die Schweiz kennt einen “Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance”. Der Code soll im Umfeld der weltweit verknüpften Kapitalmärkte vor allem ausländischen Investoren relevante Orientierungspunkte liefern.

Wie transparent die 100 grössten Schweizer Unternehmen sind und wie effizient und ausgewogen sie geführt und kontrolliert werden, hat ethos ebenfalls untersucht. Das Resultat ist im internationalen Vergleich trotz einigen Schwächen beachtlich.

Die Mehrzahl der von ethos durchleuteten Unternehmen weist aus der Optik des Anlegers eine befriedigende Transparenz auf. Die Stiftung weist darauf hin, dass Unternehmen, die im Börsenindex SMI enthalten sind im Bereich der Corporate Governance bessere Resultate erzielen als kleinere Firmen.

Unternehmen mit nur einem Grossaktionär (mehr als ein Drittel der Stimmrechte) bleiben hinter Gesellschaften zurück, die ein weit gestreutes Aktionariat aufweisen.

Die UBS brilliert

Die beste Corporate Governance der 100 untersuchten Firmen weist die UBS auf, wie ethos im Schlussbericht festhält. Hinter der Grossbank platzieren sich Converium, Credit Suisse Group, Swiss Re und Zurich Financial Services. Grosse Fortschritte im Bereich der Corporate Governance haben die Warenhauskette Jelmoli, die EMS Chemie und Nobel Biocare erzielt.

In der Schweiz sind die Regelwerke für Börse und Unternehmen sehr dicht. Die präzisen Normen bleiben jedoch so lange toter Buchstabe, bis sie in die Praxis umgesetzt sind. Die Stiftung ethos hält in ihrem Bericht fest, dass in der Funktionsweise der Schweizer Verwaltungsräte und bei den Mitwirkungsrechten der Aktionäre noch etlicher Nachholbedarf besteht.

swissinfo, Erwin Dettling, Zürich

Aktionäre von Schweizer Konzernen werden aufmüpfiger.

Den Chefs weht derzeit eine steife Brise ins Gesicht. An der GV der Credit Suisse vom Freitag sollen entgegen den Gepflogenheiten drei renommierte Verwaltungsräte nicht bestätigt werden.

Nachdem die Anlagestiftung ethos vor knapp zwei Wochen an der Nestlé-GV mit ihrem Antrag, Peter Brabeck das Doppelmandat zu verweigern, in Finanz-Kreisen ein grosses Echo ausgelöst hatte, will ethos an der CSG-GV nachdoppeln.

Im Zielfeuer der Kritik steht damit erneut Nestlé-Konzernchef und Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck. Brabeck ist derzeit Vizepräsident des CSG-Verwaltungsrates.

Die Anlagestiftung will gegen die Wiederwahl Brabecks in den Veraltungsrat stimmen.

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