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«Wir könnten etwas vom Mut in China übernehmen»

Keystone

Der Kunstsammler, Unternehmer und ehemalige Schweizer Botschafter in Peking, Uli Sigg, vertritt die Schweiz als deren Generalkommissär an der Expo 2010 in Schanghai.

Als Jurypräsident des Projektwettbewerbs für den Schweizer Pavillon hat er das Siegerprojekt vorgestellt und mit swissinfo über Mut und Innovation im chinesischen Wirtschaftsleben gesprochen.

Sie haben das Gewinnerprojekt für den Schweizer Pavillon an der Expo 2010 in Schanghai vorgestellt. Warum wurde aus allen Eingaben gerade dieses ausgewählt?

Uli Sigg: An diesem Projekt haben uns die verwendeten Technologien interessiert, also etwa der essbare Vorhang, der auch Strom produziert. Ausserdem die Verschränkung des urbanen Raums im Erdgeschoss mit der Wiese auf dem Dach.

Was für ein Publikum erwarten Sie?

U. S.: Wir machen diese Expo 2010 Schanghai klar für ein chinesisches Publikum und erwarten rund 70 Millionen Chinesen aus allen Regionen des Landes, überwiegend junge Leute, Schüler, Studenten, auch Kinder, Familien.

Als grosser Kenner Chinas bringen Sie dieses Land der Schweiz näher. Umgekehrt lobbyieren Sie auch für die Schweiz in China. Braucht die Schweiz China?

U. S.: Die Schweiz braucht China mehr als China die Schweiz.

Warum?

U. S.: Als Wirtschaftsraum. Wir sind global wirtschaftlich tätig. Mittlerweile kann sich keine grosse Firma, und schon bald auch keine mittlere mehr leisten, in China nicht aktiv zu sein oder nicht zumindest intensiv darüber nachzudenken.

Die Schweiz gilt zwar als Wohlstandsland, aber im Vergleich zum rasanten Wachstum in China stagniert die Schweizer Wirtschaft. Was kann die Schweiz von China lernen?

U. S.: Die Schweiz könnte etwas vom Mut in China übernehmen. China macht grosse Technologie-Sprünge. Die haben sich noch nicht überall vollzogen, sind aber in Vorbereitung. Ich stelle mir vor, dass wir bezüglich Klima und Nachhaltigkeit in China interessante Anwendungen in der Technologie des Autos sehen werden. Diese mögen nicht unbedingt in China entwickelt worden sein, aber ich glaube, dass China, und zwar der puren Not gehorchend, als erstes Land solche Technologie zur Pflicht machen wird.

Geschieht Innovation aus der Not?

U. S.: In China haben wir eine überwiegend junge Bevölkerung, die sehr ambitiös ist, Wohlstand will, den sie noch nicht hat. Diese Bevölkerung ist am unteren Ende der Wohlstandskurve, das heisst, sie ist hungrig. Diese Menschen setzen sich bedingungslos ein, vor allem für den wirtschaftlichen Fortschritt. So findet man das in der Schweiz nicht, wir sind überwiegend gesättigt und tendieren zum Zurücklehnen. Ich möchte darüber kein Werturteil fällen, aber dies erklärt die massgeblichen Unterschiede in der Dynamik und im Ambiente.

Sie haben lange in China gelebt und kennen die unterschiedliche Mentalität. Was müssen Schweizer Geschäftsleute, Diplomaten oder Kulturschaffende wissen, wenn sie in China aktiv sein und etwas realisieren möchten?

U. S.: Sie müssen eine grosse Offenheit mitbringen, aber gleichzeitig eine starke Zielorientierung. Man muss sich gründlich überlegen, was man genau erreichen will. Ausserdem muss man sehr flexibel an die chinesische Realität herangehen, aber dabei eine grosse Beharrlichkeit bewahren. Es braucht viel Zeit und Geduld. China ist weiterhin ein schwieriges Geschäftsfeld.

Im Zusammenhang mit der arabischen Welt wird oft vom Zusammenprall der Kulturen gesprochen. Geographisch gesehen, liegt China noch weiter entfernt von Europa. Was für Welten treffen hier aufeinander?

U. S.: Es sind weniger die unterschiedlichen Kulturen im engen Sinn, die einen Zusammenprall verursachen, als vielmehr die völlig verschiedenen Arbeitsbedingungen, Arbeitshaltungen, Motivationen, die dem Reifegrad der Entwicklung entsprechen. Die Probleme rühren vom Zusammentreffen von Wirtschaftsräumen her, die sich auf einem ganz unterschiedlichen Punkt der Wohlstandskurve befinden, nämlich die einen unten, die anderen oben. Das ist der Hauptgrund für den Konflikt: der Hunger, die Leistungsbereitschaft, und nicht so sehr die kulturelle Eigenheit der jeweiligen Räume.

Inwiefern sind Schweizer Unternehmen schon bereit, sich auch in China zu betätigen?

U. S.: Die Bereitschaft ist hoch. Es gibt bereits mehrere hundert Firmen, die dort aktiv sind. Es gibt noch viele mehr, die ein Produkt dorthin verkaufen. Die Schweizer Wirtschaft ist sensibilisiert und auf dem Weg. Es ist aber sicher auch nicht so, dass für jede und jeden das Heil in China liegt. Dieser Schritt will gut überlegt sein. Man kann auch zum Schluss kommen, es besser sein zu lassen.

Ist es auch ein Ziel der Expo 2010 Schanghai, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und China zu fördern?

U. S.: Mittelbar ist es sicher ein Ziel, die Chinesen der Schweiz auf jeder Ebene und in jeder Dimension näher zu bringen. Hoffentlich wird dies auch ein wirtschaftliches Resultat produzieren.

swissinfo-Interview: Susanne Schanda

In China operieren rund 300 Schweizer Firmen.
Schweizer Exporte nach China haben von 415 Mio. Fr. im Jahr 1990 auf 3,5 Mrd. Fr. im Jahr 2005 zugenommen.
Die chinesischen Exporte in die Schweiz sind im gleichen Zeitraum von 418 Mio. Fr. auf 3,4 Mrd. Fr. gewachsen.
Direktinvestments von Schweizer Firmen nach China werden auf rund 5 Mrd. Fr. geschätzt.
In China leben rund 2500 Schweizerinnen und Schweizer.

Der China-Kenner Uli Sigg wurde vom Bundesrat zum Generalkommissär für die offizielle Vertretung der Schweiz an der Expo 2010 in Schanghai gewählt. Zudem wirkte er als Jurypräsident für den Projektwettbewerb für den Schweizer Pavillon.

Der 1946 geborene Uli Sigg studierte in Zürich Rechtswissenschaft und war ab 1973 als Journalist für Ringier und «Finanz und Wirtschaft» tätig.

1977 stiess er zur Schindler-Gruppe, für die er 1980 das erste Gemeinschaftsunternehmen zwischen China und dem Westen etablierte.

1995 bis 1998 war er Schweizer Botschafter in Peking für China, Nordkorea und die Mongolei.

Der ehemalige Diplomat, Unternehmer und Kunstsammler ist heute Vizepräsident des Verwaltungsrats der Ringier-Gruppe, daneben Verwaltungsrat der CIBA Spezialitätenchemie und Mitglied des Beirats der China Development Bank Peking.

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