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«Wir müssen unser Produkt besser vermarkten»

hotelleriesuisse-Präsident Guglielmo Brentel. Keystone

Der Tourismus in der Schweiz erlebt einen Aufschwung, nutzt aber er sein Potential nicht voll aus. hotelleriesuisse, Dachverband der Hotelierverbände, will dem Sektor in seinem 125. Gründungsjahr neuen Schwung verleihen. Qualität lautet das Zauberwort.

Im Gespräch mit swissinfo analysiert hotelleriesuisse-Präsident Guglielmo Brentel die Vor- und Nachteile des touristischen Angebot in der Schweiz.

swissinfo: Nach dem Einbruch der Logiernächte in den 1990er-Jahren ist seit einigen Jahren wieder ein Aufschwung zu verzeichnen? Welches sind die Gründe dafür?

Guglielmo Brentel: Dies liegt vor allem am weltweiten konjunkturellen Aufschwung sowie am starken Euro. Obwohl wir noch nicht alle Verluste aufwiegen konnten, werden wir heute der Nachfrage besser gerecht.

Besonders positiv ist die Entwicklung in grossen Städten, die sich auf Geschäftsreisende spezialisiert haben. Probleme haben eher periphere Bergregionen wie das Tessin, Graubünden oder das Wallis.

swissinfo: Die Tourismusbranche ist einem weltweiten Wettbewerb ausgesetzt. Wie kann die Schweiz als Hochpreisinsel da mithalten?

G.B.: Die hohen Kosten sind sicherlich ein Nachteil für uns. Allein die Gesetze und Handelsschranken im Landwirtschaftssektor führen dazu, dass wir schätzungsweise 500 Mio. Franken mehr aufbringen müssen als unsere Nachbarländer. Dieses Geld fehlt uns natürlich, um investieren zu können.

Um wettbewerbsfähig zu sein, muss man vor allem drei Massnahmen ergreifen. Erstens braucht es höchste Professionalität und Innovationskraft. Zweitens müssen wir unser Marketing überdenken: Es kann nicht von den politischen Grenzen abhängen, sondern muss sich den Marktbedürfnissen anpassen. Schliesslich müssen die Rahmenbedingungen sukzessive liberalisiert werden.

In den letzten 15 Jahren ist der Tourismus weltweit um 4% angestiegen – in der Schweiz war das Gegenteil der Fall. Meiner Meinung nach nutzen wir unser Potential nicht ausreichend. Wir haben zwar ein gutes Produkt, doch einige Mängel in der Verwaltung und Vermarktung dieses Produkts.

swissinfo: Wie beurteilen Sie das Schweizer Angebot im Vergleich mit den benachbarten Alpengebieten?

G.B.: Unser Vorteil liegt in der Vielfalt. Österreich hängt beispielsweise sehr stark von den Deutschen ab. Wir haben hingegen einen starken Inland-Markt. Dazu kommen einige wichtige Auslandsmärkte: Deutschland, Italien, Frankreich, Grossbritannien, USA, Japan. Wichtig, wenn auch von untergeordneter Bedeutung, sind Schwellenmärkte wie Russland und Asien.

Diese Vielfalt der Kunden erlaubt es uns, das Angebot zu erweitern (Sommer und Winter) und die Tourismus-Saison zu verlängern. Ausserdem verfügen wir über einen guten Mix aus städtischen und ländlichem Tourismus.

swissinfo: Hotelleriesuisse will dieses Jahr eine «Qualitätsoffensive» lancieren. Um was geht es dabei genau?

G.B.: Es ist eine Initiative, die alle Dienstleistungserbringer im Tourismus betrifft. Das Programm zielt darauf, das eigene Angebote zu überprüfen, zu sichern und zu kontrollieren. Schliesslich soll die Qualität verbessert werden.

Wichtig ist, dass die Qualitätsdebatte in unser Bewusstsein eindringt. Es ist der richtige Weg, um Erfolg zu haben. Doch Qualität entsteht nicht aus dem Nichts; es braucht eine Kultur der Qualität.

swissinfo: Experten sagen voraus, dass Hunderte von Hotels in der Schweiz verschwinden werden. Welche sind am meisten bedroht?

G.B.: Wir haben nicht zu viele Hotels, aber wir haben zu viele Hotels mit einem falschen Angebot. Der Markt wird darüber entscheiden, welche Hotels verschwinden.

Die Entwicklung der Fünf-Sterne-Hotels ist beispielsweise sehr interessant. Wir haben Häuser, die mit den besten Hotels der Welt konkurrenzieren können. Es gibt aber auch Hotels mit einem oder zwei Sternen, die interessante Konzepte umsetzen: Gute Qualität, modernes Ambiente und moderate Preise.

Der grösste Druck lastet heute auf den Hotels der mittleren Kategorie mit drei oder vier Sternen. Sie haben keine Eigenmittel, um sich zu erneuern. Häufig handelt es sich um Häuser in schlechter Lage. Aber selbst bei einer guten Lage droht Ungemach. Denn die Eigentümer können viel Geld verdienen, wenn sie verkaufen. Das heisst, sowohl den schlechten als auch den guten Hotels dieser Kategorie droht das Aus.

swissinfo: Welche Veränderungen erwarten Sie für die Zukunft?

G.B.: Wir haben das Gottlieb-Duttweiler-Institut angefragt, um mittels einer Studie herauszufinden, in welche Richtung die Hotellerie und die Tourismusbranche bis ins Jahr 2020 steuert. Ich bin überzeugt, dass wir keine Fehler machen können, wenn wir auf die Ruhe und Sicherheit unserer Landes sowie auf die Natur setzen. Wir müssen vor allem authentisch bleiben.

swissinfo, Interview: Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

1882 wurde der Schweizer Hotelierverein (hotelleriesuisse) in Bern gegründet.
3255 Mitglieder gehörten dem Verein an, darunter 2240 Hotels und 415 Restaurants.
80 Hotels sind mit fünf Sternen ausgezeichnet.
1400 Hotels haben drei oder vier Sterne.
80% der Gäste in der Schweiz übernachten in Häusern, die hotelleriesuisse angeschlossen sind.

Die Anfänge des Tourismus in der Schweiz reichen in die „Belle époque» zurück. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914-18) erlebte der Fremdenverkehr eine sehr positive Phase. Danach schlitterte er in eine Krise.

Erst nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) zog der Tourismus wieder an. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Tatsache, dass die Schweiz im Krieg nicht zerstört worden war. Der Boom dauerte bis in die 1980er-Jahre. Die 90er-Jahre gestalteten sich schwierig, seit einigen Jahren ist aber wieder ein Aufschwung zu verzeichnen.

Der Tourismus ist volkswirtschaftlich von grosser Bedeutung für die Schweiz. Der Gesamtumsatz beläuft sich auf rund 22,8 Mrd. Franken im Jahr. Dies entspricht 3,1% des Bruttoinlandprodukts. Mehr als die Hälfte des Umsatzes wird von ausländischen Gästen generiert.

Die Hotellerie erwirtschaftet allein 8,6 Mrd. Franken im Jahr, die Logiernächte betragen 33 Mio. Franken.

Auch für den Arbeitsmarkt ist der Tourismus sehr wichtig. Ingesamt sind 250’000 Personen in der Branche beschäftigt.

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