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Wirbel um die Krankenkassen-Prämien

Bluten für die Krankenkassenprämien. Keystone

Die Krankenkassenprämien steigen auch im kommenden Jahr. Der Zuwachs von 4,3% ist statistisch gesehen geringer als in den vergangenen Jahren.

Je nach Wohnort und Alter kann er jedoch um ein Vielfaches höher ausfallen.

Die Schweiz ist stolz auf ihr föderalistisches System. Doch dieses hat auch seine Tücken, zum Beispiel was Finanzen und Transparenz betrifft. Etwa im Gesundheitswesen. So bezahlt man je nach Kanton und Wohnort unterschiedlich hohe Prämien für die Krankenversicherung, weil sie den unterschiedlich hohen Kostenzuwachs spiegeln.

Durchschnitt: Gesamtschweizerisch ist nicht landesweit

Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) publizierte am Freitag die Erhöhung der Grundversicherungsprämien für 2004. Gemäss dem Bundesamt für Sozialversicherung (BFS) liegt die Erhöhung bei gleicher Mindestfranchise im Landesdurchschitt bei 4,3%. In der föderalistischen Wirklichkeit kommt dies je nach Wohnort und Alter einer Erhöhung zwischen 0,8 und 14,8% gleich.

Bei einem gesamtschweizerischen Prämienvolumen von über 15 Mrd. Franken sind das in Franken und Rappen sehr grosse Beträge.

Bis Ende Oktober werden die Versicherten in der Schweiz jeweils von ihren Kassen informiert. Darauf können sie bis Ende November kündigen und die Kasse wechseln.

Ärger vorprogrammiert

Gesundheitsminister und Bundesrat Pascal Couchepin spürte den Ärger schon Anfang September kommen, als er die durchzogene finanzielle Bilanz der rund 90 Krankenkassen des Landes vorstellte.

Schon damals hatte der Gesundheitsminister vorsorglich darauf hingewiesen, dass es Sache der Krankenkassen sei, die Versicherten im Oktober über die Erhöhung zu informieren.

Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Ruth Dreifuss zeigte er sich am Freitag, dem Tag der Publikation, denn auch nicht öffentlich. Dreifuss hatte vor einem Jahr noch eine fast doppelt so hohe Prämienverteuerung von landesdurchschnittlich 9,6% ankündigen müssen.

Genau diesen Durchschnittswert hatte Couchepin im September als nichtssagend bezeichnet, da es sich um eine rein virtuelle Prämie von eingeschränkter Aussagekraft handle. Sie berücksichtige weder die Wahlfranchisen noch die Prämienrabatte.

Dennoch publiziert

Entsprechend sprangen andere in die statistische Lücke und stellten über Wochen hinweg eigene Berechnungen an. Daher sah sich das Bundesamt für Sozialversicherung gezwungen, den als fragwürdig erachteten Wert von 4,3% am Freitag dennoch zu publizieren – wenn auch mit Vorbehalten.

Und der Wert wird denn auch in Frage gestellt.

Der Ärger über das Desengagement des Bundes fällt auf jeden Fall gross aus. Es führe zu chaotischen Situationen, sagte die Präsidentin der Konferenz der kantonalen Sanitätsdirektoren, Ruth Lüthi, am Freitag.

«Couchepin entzieht sich der Verantwortung», sagte sie weiter. Das erwecke den Eindruck, dass er die Krankenversicherungen und ihren Branchenverband, santésuisse, einfach schalten und walten lasse.

Nicole Buillard, Sprecherin von santésuisse, entgegnet dem: «Unser Krankenversicherungs-System basiert auf Solidarität, zwischen Jungen und Alten, Gesunden und Kranken. Dagegen können wir nichts tun.»

Im weiteren erklärte sie gegenüber swissinfo: «Anderseits müssen wir dafür sorgen, dass sich die Leute ihrer Kosten bewusst werden. Damit lässt sich der Aufwand unseres Versicherungs-Systems etwas besser im Zaun halten.»

Gemäss Krankenversicherungs-Gesetz hat eine Krankenkasse praktisch keine Möglichkeit, einen schlechten Arzt auszuschliessen. Jeder Arzt, der eine Praxis eröffnet, kann automatisch über die obligatorische Grundversicherung abrechnen («Vertragszwang»). Wer mehr verschreibt, verdient also auch mehr.

Erfreut, verärgert oder geschummelt?

Bundesrat Couchepin selbst zeigte sich gegenüber Schweizer Radio DRS erfreut über die Zahlen, da die Erhöhung unter den Werte der Vorjahre liege. Laut Bundesamt für Sozialversicherungen hält auch die unter Couchepin verfügte Erhöhung der Mindestfranchise von 230 auf 300 Franken die Prämienerhöhung in Grenzen.

Die politischen Parteien sehen hingegen keine Trendwende. Für die Christlichdemokraten und die Sozialdemokraten sind die Zahlen geschönt. Letztere bezichtigen Couchepin gar der Schummelei. Der freisinnige Nationalrat Felix Gutzwiller aus Zürich räumte ein, dass die Verteuerung ohne die neue Aufteilung der Prämienregionen durchschnittlich statt 4,3% rund 6% betragen hätte.

Wer von seiner Krankenkasse in eine teurere Prämienregion, zum Beispiel von einer ländlichen in eine städtische umgeteilt wurde, müsse mit höheren Aufschlägen rechnen, rechnet das BFS. Bei höherer Wahlfranchise erwartet den Versicherten aufgrund der Rabattreduktion ebenfalls eine deutliche Steigerung.

Wieviel Spielraum, wieviel Transparenz

Das BSV ruft nun die Versicherten auf, den Spielraum zwischen Prämien und Kassen innerhalb ihres Kantons zu nutzen. Wer eine höhere Franchise wähle, könne nach wie vor sparen. Wer einer Bonus-Versicherung beitritt oder sich die Arzt- und Spitalwahl einschränken lässt, ebenfalls.

Die für den Prämienvergleich notwendigen Unterlagen sind beim BFS zu beziehen oder auf dessen Website einzusehen. Dennoch hapert es mit der Transparenz. So kritisierte der Internet-Vergleichsdienst Comparis die vom BFS veröffentlichten Werte.

Sie zeigten nicht die volle Kostentransparenz auf. Comparis hält in seinen Berechnungen im Gegensatz zum Bundesamt fest, dass sich über alle Altersklassen und Franchisenstufen eine Prämienverteuerung nicht von 4,3%, sondern von 7,4% ergebe. Für den Einzelnen könne es Aufschläge um bis zu 40% geben.

Die Gesundheitskosten in der Schweiz gehören zu den höchsten der Welt. Nach Berechnungen der OECD hatten die Gesundheitskosten in der Schweiz 1998 bei rund 10,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) gelegen. Damit lag die Schweiz nach den USA (BIP-Anteil von 12,9%) an zweiter Stelle.

swissinfo und Agenturen

Franchise: Der feste Jahresbetrag, mit dem sich der Versicherte an den Kosten beteiligt.
Grundfranchise: Betrag pro Jahr.
Selbstbehalt: Betrag pro Fall in Prozent, der darüber hinausgeht.
Versicherungsformen: Neben der üblichen Version kann man sparen mit HMO (ärzliche Gruppenpraxis), Hausarztmodell, Wahlfranchise.

Das Schweizerische Krankenversicherungs-System ist geprägt vom Solidaritätsgedanken. Je mehr Junge und Gesunde eine Krankenkasse umfasst, desto besser geht es ihr. Der Bund sorgt für einen gewissen Ausgleich.

Dieses System funktioniert aber im Prinzip nur pro Kopf, und nicht wie anderen Ländern pro Familie. Die Prämien werden pro Kopf berechnet.

Die Krankenversicherung teilt sich in einen obligatorischen Grundbereich und einen Zusatzbereich.

Solange die Krankenkassen weder bei den Spitälern noch bei der freien Arztwahl nur beschränkt eingreifen können, müssen sie die steigenden Kosten des Gesundheitswesens an die Versicherten weitergeben.

Diese Kosten sind innerhalb der Schweiz aus föderalistischen Gründen unterschiedlich hoch (unterschiedliche Bedürfnisse der Bevölkerung, Ärztedichte, unterschiedliches Spitalmanagement etc.). Tendenziell am höchsten in der West-, am tiefsten in der Ostschweiz.

Daraus und in Kombination mit den Prämienregionen ergeben sich die regional unterschiedlichen Prämienhöhen.

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