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«Wirds mir hier langweilig?»

Mütze, Schal und Handschuhe: Lisa Christen und der australische Winter. swissinfo.ch

Lisa Christen (17) ist in Sydney gelandet. Die Austauschschülerin aus Hergiswil NW trifft erstmals ihre Gastfamilie.

In Portland, einem 2000-Seelen-Dorf unweit der Blue Mountains, ist es bitter kalt. Lisa hadert mit ihrem Schicksal. (Teil 3)

Die Gastfamilie Coleman erwartet mich auf dem Flughafen und winkt mir zu. Ich bin etwas nervös, denn ich weiss nicht, wie ich meine neue Familie begrüssen soll. Als erstes gehe ich auf Mathew (6) zu, der mich gleich umarmt. Dann begrüsse ich die andern. Daniel (4) versteckt sich hinter seinem Vater. Sie strahlen alle bis auf meine Gastmutter. Sue weint, als sie mich sieht. Sie sieht so süss aus mit ihrem Taschentuch in der Hand. Wie wird es wohl sein, wenn ich nach einem Jahr wieder abreise? Wird sie dann lachen?

Jessica (17) nimmt mir gleich den Wagen mit meinem Gepäck ab, während Gastvater Anthony mit meinen beiden kleinen Gastbrüdern in Richtung Auto voraus geht. Alle lachen, als sie meinen grossen, schweren Koffer ins Auto heben. Dann sagt mir Sue, dass Daniel allen erzählt habe, dass sie eine neue Schwester abholen würden, die aus der Schweiz komme. Die Leute, so Sue, hätten ihn ziemlich komisch angeguckt.

Autopanne und weitere «Schäden»

Durch das Autofenster sehe ich die hohen Wolkenkratzer, die Brücke und das Opernhaus von Sydney. Nach der 36-stündigen Reise bin ich zwar schrecklich müde. Doch ich kann nicht einfach schlafen, nachdem ich so lange gewartet habe, diese Leute endlich kennen zu lernen. Ich habe das Gefühl, mit ihnen sprechen zu müssen, obwohl sie mir irgendwie noch fremd vorkommen. Irgendwann fallen mir dann doch die Augen zu.

Ich erwache, als das Auto auf dem Highway anhält. Anthony telefoniert. «Colemans erste Autopanne überhaupt», entschuldigt sich Sue tausend Mal, «ausgerechnet bei deiner Ankunft.» Innert Minuten hat der Pannendienst den Schaden behoben. Doch der nächsten «Schaden» sollte bald folgen.

Während der Fahrt bietet mir Jessica eine Thermosflasche mit Wasser an. Dankbar trinke ich einen Schluck und legte die Flasche neben mich auf den Sitz. Als ich bei der nächsten Tankstelle auf die Toilette gehe, fühlt sich meine Hose ganz nass an. Peinlich! Es sieht aus, als hätte ich in die Hose gepinkelt!

Erste Ernüchterung in Portland

Die Häuser werden immer spärlicher und kleiner. Nach etwa drei Stunden Fahrt kann ich das Schild Portland erkennen, ein kleines Dorf mit 2000 Einwohnern. Hier werde ich also mein Austauschjahr verbringen. Ich bin ein wenig enttäuscht. Ich sehe ein paar Häuser, winzige Läden, ein kleines öffentliches Schwimmbecken und ein kleines Sportfeld. Wie soll ich hier meine Freizeit verbringen?

Wir halten vor einem ziegelsteinroten Haus an; lang und einstöckig, wie die meisten Häuser hier. Es ist traditionell eingerichtet, jedoch sehr heimelig. Mein Zimmer ist süss. Es ist zwar ganz anders als meines zu Hause in der Schweiz, aber dennoch gemütlich. Im meinem Zimmer stehen ein Bett, ein Sofa, ein Schrank und ein Tischchen. Ich packe meine Sachen aus und räume die Kleider in den Schrank.

Dann verteile ich meine Geschenke an meine neue Familie: ein Schweizer Sackmesser für Anthony, einen Kerzenhalter von der Glasi Hergiswil für Sue, ein Parfüm und Duschmittel für Jessica, Fensterfarben und Mickey Mouse-Waschlappen für die Jungs und Schokolade für alle. Meine Gastschwester überreicht mir ein Duschmittel und eine Bodylotion.

Der gute Rat der Mutter

Ich bin todmüde und könnte gleich schlafen, doch es gibt Abendessen. Gegrilltes Lamm- und Schweinefleisch mit verschiedenen Gemüsen steht auf dem Tisch. Da ich nicht so gerne Fleisch esse, bitte ich Sue, mir nur ein winziges Stück Schweinefleisch zu geben. Ich kann kaum glauben, wie viel Fleisch hier gegessen wird. Vor allem Mathew isst enorm viel. Unbelievable! Man sieht es ihm an! Daniel hingegen ist das pure Gegenteil. Er isst am Tisch fast nichts.

Nach dem Essen rufe ich meine Mutter in der Schweiz an. Ich erzähle ihr, dass ich gut angekommen bin und mich die Familie sehr nett empfangen hat. «Mam, ich habe das Gefühl, es könnte mir in diesem ‚Kaff‘ bald einmal langweilig werden.» Meine Mutter rät mir, erst einmal eine Nacht lang darüber zu schlafen. Am nächsten Tag würde ich alles mit anderen Augen sehen. Eine Träne fliesst über meine Wange. Ein wenig traurig lege ich den Hörer auf und lege mich in mein Bett. Ich kann nicht einschlafen. Doch am nächsten Tag erwache ich erst um zwölf Uhr mittags.

swissinfo, Lisa Christen
(bearbeitet von Thomas Vaszary)

Lisa-Deborah Christen (17) lebt zusammen mit ihrer Mutter Elsbeth (53) und den Brüdern Albrecht (23) und Basil (20) in Hergiswil im Kanton Nidwalden. Vater Hans starb im Jahr 2000.
Lisa geht am Kollegium St. Fidelis in Stans NW zur Schule.
Während ihres Austauschjahres besucht sie zusammen mit ihrer Gastschwester Jessica die High School in Lithgow.
Anthony und Suzanne Coleman sind Lisas Gasteltern in Portland. Grant (19), Jessica (17), Mathew (6) und Daniel (4) sind ihre Gastgeschwister.

Die 17-jährige Lisa Christen aus Hergiswil NW geht für ein Jahr lang als Austausch-Schülerin nach Australien.

In Portland, New South Wales, 250 Kilometer von Sidney entfernt, lebt sie bei der Gastfamilie Coleman und besucht zusammen mit ihrer Gastschwester Jessica die Schule in Lithgow.

In ihrem Online-Tagebuch erzählt Lisa von ihren Erwartungen, Erfahrungen und Begegnungen mit den Menschen im Land ihrer Träume – jeweils samstags und sonntags auf swissinfo.ch.

Wer mit Lisa Kontakt aufnehmen möchte, erreicht sie unter lisachristen86@gmx.ch.

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