Wirtschaft kämpft für Personen-Freizügigkeit
Die Schweizer Wirtschaft mobilisiert für ein Ja zur Ausdehnung der Personen-Freizügigkeit auf die zehn neuen Länder der Europäischen Union.
Ein Nein am 25. September würde der Schweizer Wirtschaft schaden und die Konjunktur schwächen, so die Unternehmer.
In der Schweiz hänge jeder dritte Franken und jeder dritte Arbeitsplatz vom Handel mit der Europäischen Union (EU) ab, sagten Spitzenvertreter der wichtigsten Schweizer Wirtschaftsverbände. Sie alle gehören dem Komitee «Schweizer Wirtschaft für die Bilateralen» an.
Deshalb würde ein Nein am 25. September, bei der Abstimmung über die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens und Verstärkung der flankierenden Massnahmen, der Schweizer Wirtschaft schaden und die Konjunktur schwächen. Dies befürchten die Präsidenten von economiesuisse, Swissmem, Arbeitgeberverband, Gewerbeverband und des Verbandes der Uhrenindustrie.
Fachkräfte müssen zirkulieren können
Der freie Personenverkehr sei das Kernelement der EU, sagte economiesuisse-Präsident Ueli Forster. Die Menschen mit ihren unterschiedlichen und sich ergänzenden Fähigkeiten müssten frei zirkulieren und sich dort einbringen können, wo sie den stärksten Nutzen stifteten.
Schon heute hätten viele Branchen Mühe, Arbeitskräfte zu finden. Als Beispiele nannte Forster die Telekommunikation, die Bau- und Landwirtschaft, die Gastronomie sowie das Gesundheitswesen. Auf der anderen Seite sei die Personenfreizügigkeit wichtig für Schweizer Unternehmen, die im Ausland eine Niederlassung aufbauen wollen.
Nicht genügend Schweizer
Eine Produktion in der Schweiz, die rund um die Uhr läuft, sei ohne Mitarbeitende aus dem Süden und Südosten Europas nicht mehr möglich, sagte Josef Maushart, CEO des Werkzeugherstellers Fraisa und Mitglied des 206-köpfigen Wirtschafts-Komitees. Diese Stellen könnten nicht nur mit Schweizerinnen und Schweizern besetzt werden.
Falls die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit am 25. September abgelehnt werde, müsse die Fraisa einen Teil ihrer Produktion ins Ausland verlagern. Dies wiederum gefährde auch jene 200 Stellen, die von Schweizer Mitarbeitenden besetzt seien, warnte Maushart.
Schutzfilter eingebaut
Der Inländervorrang und die Lohnkontrolle riegelten den Schweizer Arbeitsmarkt für Bürger aus den neuen EU-Ländern bis 2011 praktisch ab, sagte Arbeitgeberverband-Präsident Rudolf Stämpfli. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse jeder einzelne Arbeitsvertrag vom Kanton geprüft und bewilligt werden.
Die Kontingente seien so klein, dass sie den Schweizer Arbeitsmarkt nicht aus der Bahn werfen würden. Alle vorbereiteten Massnahmen würden laut Stämpfli eine Masseneinwanderung von Arbeitskräften aus Osteuropa zum vornherein ausschliessen.
Renommé der Schweiz wäre angeschlagen
Mehrere Wirtschaftsvertreter zeigten die möglichen Folgen eines Neins auf. In einem solchen Fall könnte das Image der Schweiz grossen Schaden nehmen, sorgte sich Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Uhrenindustrie. Gerade in der Uhrenbranche, besonders im Luxussegment, spiele das Image eine Schlüsselrolle.
Auch das Gewerbe würde eine Absage an der Urne zu spüren bekommen, sagte Edi Engelberger, FDP-Nationalrat und Präsident des Gewerbeverbandes. Der Schaden wäre schwerwiegend – nicht nur im Export, sondern auch im Binnenmarkt. Der wirtschaftliche Druck auf die Betriebe würde weiter bestehen.
Bei einem Nein müsse damit gerechnet werden, dass zwei für die Wirtschaft wichtige Teilabkommen der Bilateralen I rückgängig gemacht würden, warnte Swissmem-Präsident und FDP-Nationalrat Johann N. Schneider-Ammann. Damit würden sich die Spiesse für Schweizer Unternehmen verkürzen.
Ohne Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen gehe Schweizer Unternehmen der EU-Markt mit einem Auftragsvolumen von jährlich 1000 Mrd. Franken verloren.
Weiter müssten Schweizer Firmen künftig ihre Produkte in jedem EU-Land zuerst einzeln prüfen lassen, falls das Abkommen über den Abbau von technischen Handelshemmnissen gekündigt würde.
swissinfo und Agenturen
Am 1. Mai 2004 sind 10 neue Länder in die Europäische Union aufgenommen worden:
Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowenien, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern.
Mit dieser Erweiterung wurden die bestehenden bilateralen Abkommen Schweiz-EU von 1999 automatisch auf die neuen Mitgliedstaaten ausgedehnt.
In einem Zusatzprotokoll wurde eine separate Übergangsregelung in Bezug auf die neuen osteuropäischen EU-Staaten festgelegt: Dieses Übergangsregime sieht eine schrittweise und kontrollierte Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes gegenüber Arbeitskräften aus den neuen EU-Staaten vor.
Arbeitsmarktliche Beschränkungen (Inländervorrang, Kontingente, Kontrolle der Lohn- und Arbeits-Bedingungen) können bis am 30. April 2011 weitergeführt werden.
Gegen diese Ausweitung des freien Personenverkehrs wurde das Referendum ergriffen. Das Stimmvolk wird darüber am 25. September befinden.
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