Wirtschaft will keinen Schweizer EU-Beitritt
Für den Dachverband der Schweizer Wirtschaft befriedigt der bislang eingeschlagene bilaterale Weg die meisten Bedürfnisse der Wirtschaft.
economiesuisse beurteilt einen EU-Beitritt der Schweiz aus politischer, fiskaler, finanzieller und währungsbedingter Sicht als problematisch.
Dank ihrem konsequent verfolgten bilateralen Weg verfügt die Schweiz über viele gute Abkommen mit der Europäischen Union (EU), welche die meisten Anliegen der Wirtschaft abdecken.
Zu diesem Schluss kommt eine am Dienstag vorgestellte Studie des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft economiesuisse, der über 30’000 Unternehmen mit rund 1,5 Mio. Beschäftigten vertritt.
Die noch offenen Probleme mit der EU sollten im gegenseitigen Interesse und auf pragmatische Weise gelöst werden, empfiehlt economiesuisse.
Frühe europapolitische Standortbestimmung
Im Hinblick auf die geplante Veröffentlichung einer neuen europapolitischen Standortbestimmung des Bundesrates Mitte dieses Jahres hat economiesuisse die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU analysiert.
In der Studie werden verschiedene Zukunftsszenarien des Verhältnisses zur EU ausgeleuchtet. Nach Ansicht von economiesuisse ist ein EU-Beitritt keine Option. Denn nach den beiden europapolitischen Volksabstimmungen von 2005 verfüge die Schweizer Wirtschaft über einen weitgehend diskriminierungsfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt.
economiesuisse-Präsident Ueli Forster sagte deshalb: «Weder ein EU-Beitritt, noch ein Beitritt ‹light›, ein Beitritt zum EWR oder eine Zollunion mit der EU würden den Interessen der Wirtschaft besser entsprechen.»
Zahlreiche Probleme
Dem Effizienzgewinn bei einem Beitritt stünden zahlreiche institutionelle und wirtschaftspolitische Probleme gegenüber, ist economiesuisse überzeugt. Ein Beitritt hätte nicht nur kaum lösbare staatspolitische Auswirkungen, sondern würde auch die Geld- und Währungspolitik negativ tangieren und einen tief greifenden Umbau der Finanz- und Fiskalpolitik erforderlich machen.
economiesuisse befürchtet auch, dass neue Auflagen den gut funktionierenden schweizerischen Arbeitsmarkt belasten könnten. Daraus könnte ein negativer Einfluss auf die Beschäftigung erwachsen. Ähnliches gelte für die Sozialpolitik.
Blick in die Welt
«Schweizer Unternehmen haben eine globalere Sichtweise als ihre Konkurrenten in den Nachbarländern», erklärte Gregor Kündig, Mitglied der economiesuisse-Geschäftsleitung, gegenüber swissinfo
«Die Schweizer Geschäftsinteressen waren stets globaler ausgerichtet als in anderen europäischen Ländern. Dies fiel mir auf, als ich in der deutschen Filiale einer Schweizer Firma arbeitete. Ich stellte fest, dass die Schweizer eine weltweite Sichtweise pflegten, die Deutschen dagegen sehr europazentriert waren», so Kündig.
Unwirsche Reaktionen
«Wenn economiesuisse das Gefühl hat, mit den Bilateralen am Ziel angekommen zu sein, dann mag das für economiesuisse stimmen, aber nicht für die Schweiz», distanziert sich Hans-Jürg Fehr, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP). Die Schweiz komme wirtschaftlich und politisch nur mit einem EU-Beitritt zum Ziel, gab er sich überzeugt.
Und die Neue Europäische Bewegung Schweiz (nebs) bedauert die «visionslose europapolitische Position» von economiesuisse. Anstatt einer nuancierten und ehrlichen Analyse präsentiere der Wirtschaftsverband Vorurteile, die geprägt seien von der Europhobie des Finanzplatzes und der Pharmaindustrie.
«Der Ausschluss des EU-Beitritts ist nicht Resultat einer Reflexion, sondern deren Ausgangspunkt», analysiert die nebs.
swissinfo und Agenturen
Jährliche Schweizer Exporte in die EU: Über 80 Mrd. Fr. (60% des Gesamtvolumens).
Jährliche EU-Importe in die Schweiz: gegen 110 Mrd. Fr. (60% des Gesamtvolumens).
In der EU-tätige Schweizer Unternehmen beschäftigen rund 850’000 Personen.
Etwa 60% der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz stammt aus der EU, das sind über 900’000 Personen.
60% der Auslandschweizer leben in der EU, mehr als 380’000 Personen.
Die Bilateralen II wurden im Jahre 2004 als Folge der bilateralen Abkommen I von 1999 abgeschlossen.
Sie markieren die Fortdauer des bilateralen Wegs, auf dem die Schweiz sich nach der Ablehnung eines Beitritts zum europäischen Wirtschaftsraum im Jahre 1992 verpflichtet hat.
Die Bilateralen II betreffen folgende Themen: weiterverarbeitete landwirtschaftliche Produkte, Statistik, Pensionen, Umwelt, Medien, Schengen/Dublin, Betrugs-Bekämpfung, Besteuerung von Sparerträgen, Ausbildungspläne.
Bis heute in Kraft getreten sind die Abkommen über die weiterverarbeiteten landwirtschaftlichen Produkte, über die Doppelbesteuerung der Beamten der EU und über die Besteuerung von Sparerträgen.
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