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WTO: «Nicht nur eine Enttäuschung»

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Nach der Einigung auf einen Kompromiss am WTO-Gipfel zieht die Schweizer Presse eine durchzogene Bilanz.

Laut dem Abkommen sollen bis 2013 die Agrar-Subventionen für den Export ganz abgebaut werden. Weniger klar ist die Situation bei den Industrie- und Service-Gütern.

Die Kommentare in der Schweizer Presse zu den Resultaten der Konferenz in Hongkong, die am Sonntag zu Ende ging, bewegen sich sinnbildlich zwischen dem halbleeren und dem halbvollen Glas.

«Nicht nur Enttäuschung», schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger». Die «Neue Zürcher Zeitung» sieht «durchaus gewisse Fortschritte», von «verschobenen Gewichten» schreibt Berner «Der Bund», von einem «Sieg der Vernunft» die «Berner Zeitung» und die Westschweizer «Le Temps» schliesslich titelt mit einem «grossen Sieg des Kompromisses».

Alt hätten manche Gesichter nach sechs Verhandlungs-Tagen ausgesehen, schreibt der «Tages Anzeiger». Man habe nicht bloss Müdigkeit, sondern auch Enttäuschung aus den Gesichtern lesen können. Doch nicht nur die Industrienationen seien Spielverderber gewesen.

Nicht-Agrarbereich: keine Fortschritte

So hätten die Schweiz und die EU hätten dafür plädiert, ihre Märkte für die Ärmsten der Länder ganz zu öffnen. Doch das hätte nicht nur den USA, Japan und Kanada nicht gepasst, sondern auch den wettbewerbsstärkeren Entwicklungsländern.

Die NZZ gibt zu, dass man keine Wette darauf abschliessen möchte, ob jetzt die «Dauha-Runde» wirklich bis Ende 2006 erfolgreich abgeschlossen werden könne.» Bis dann sollen die Detailfragen geklärt werden.

«Halb gefüllt» sei das Glas bezüglich der «besseren Integrierung der ärmsten Entwicklungsländer in das Welthandels-System».

Doch die Liberalisierung des Agrarhandels, der für sich genommen keine 10% des Welthandels ausmache, sei für die weltweite Steigerung des Wohlstands viel weniger relevant als die Märkte für Industriegüter und Dienstleistungen.

In diesen Bereichen «von nennenswerten Forschritten zu sprechen, wäre vermessen», urteilt die NZZ. Dieselben Schwellenländer, die so auf die Öffnung der Märkte im Agrarbereich pochten, machten nur minimale Konzessionen im nichtagrarischen Bereich.

Schwellenländer – das dritte Machtzentrum

«Der Bund» schreibt: «Die grossen Entwicklungsländer, angeführt von Brasilien und Indien, haben sich als drittes Machtzentrum endgültig etabliert.»

Im Gegensatz zur NZZ findet «Der Bund», dass diese Länder «den Kompromiss in Hongkong massgeblich mitformuliert» haben. Industriezölle sollten im gleichen Mass wie Agrarzölle abgebaut werden. Damit erhöhte sich der Druck auf Agrarprotektionisten wie die Schweiz.

Fazit des «Bund-Kommentars: «Für die Schweiz heisst das, dass sie den Schutz ihrer Bauern vor ausländischer Konkurrenz stark verringern muss, wenn sie etwas für die heimische Exportindustrie gewinnen will.»

Noch klarer formuliert es die «Basler Zeitung», für die Hongkong nur «eine dürftige Bescherung» bedeutet: «Für Schweizer Bauern kommt die Stunde der Wahrheit erst, wenn sich die Mitglieder auf konkrete Zahlen für den Zollabbau einigen.»

Auf einen anderen Aspekt geht die «Berner Zeitung» ein: Die Kritiker der Globalisierung hätten sich in Hongkong, im Vergleich zu früheren Konferenzen in Seattle und Cancun gemässigt. Der innenpolitische Druck besonders in der EU habe geholfen, den hohen Agrarschutz abzubauen – «ein Anliegen, das die Nichtregierungs-Organisationen (NGO) ebenfalls seit langem vertreten».

«Geretteter Multilateralismus»

«Le Temps» macht darauf aufmerksam, dass in Hongkong zwar keine Wunder ausgehandelt worden seien, aber immerhin «eine essentielle Rettung stattgefunden» habe – nämlich die des Multilateralismus. «Das kommt einer der besten Nachrichten zu diesem Jahresende gleich.»

Multilateral heisst, dass alle Länder gemeinsam verhandeln, statt – bilateral – jeder mit jedem. Ein Misserfolg in Hongkong hätte wohl, so vermutet «Le Temps», der 2001 begonnen Doha-Runde den Todesstoss versetzt.

«Dieser globale Prozess der Liberalisierung gehört zu den schwierigsten Verhandlungen der Geschichte der Menschheit überhaupt. Es wäre deshalb ‹verrückt›, hier einen spektakulären Wendepunkt zu erwarten.

Und dennoch habe sich die WTO auf das Jahr 2013 als Datum festgelegt, auf das die Exportsubventionen auf Agrargüter aufgehoben werden müssen – da könnten die NGO «noch lange sagen, die Ärmsten hätten in Hongkong nichts gewonnen».

swissinfo, Alexander Künzle

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