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«WTO oder IWF abschaffen ist Unsinn»

Ursula Wyss will in Porto Alegre einen Gegenpunkt zum WEF setzen. swissinfo.ch

Ursula Wyss, SP-Nationalrätin und Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, nimmt am Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre teil. Im Gespräch erklärt sie, was sie vom Anlass erwartet. Und warum sie dafür um die halbe Welt geflogen ist.

Das Interview führte Philippe Kropf, Porto Alegre.

swissinfo: Weshalb sind Sie nach Porto Alegre gekommen?

Ursula Wyss: Es ist wichtig, einen politischen Gegenpunkt zum World Economic Forum (WEF) in Davos zu setzen. Die Erfahrung der 90er Jahren hat uns gelehrt, dass die Globalisierung nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein zivilgesellschaftlicher und politischer Prozess ist. Dafür sind neue Rahmenbedingungen und Mitsprache-Möglichkeiten nötig. Porto Alegre bietet hierfür die bisher einzige Plattform.

Porto Alegre ist der Ort, wo sich diejenigen treffen, die sich Gedanken machen, wie die Globalisierung anders, demokratischer und ökologischer gestaltet werden kann. In einem Satz: Eine Globalisierung, die viel mehr Menschen nützt, als sie es heute tut.

swissinfo: Warum sollen denn ausgerechnet privilegierte Schweizerinnen und Schweizer ans Weltsozialforum reisen?

U.W.: Gerade weil die Schweiz mit ihrem Finanzplatz im Globalisierungsprozess eine bedeutende Rolle spielt, sollten wir hier vertreten sein. Wir sind zum Dialog aufgefordert mit Ländern mit diktatorischer Vergangenheit und Fluchtgeldern auf Schweizer Konten. Ein sozialer Globalisierungsprozess bedingt, dass auch unser Finanzplatz gerechter wird.

swissinfo: Können denn die rund 100’000 hier versammelten Menschen die Wirtschaft, die Banken und die multinationalen Konzerne zum Umdenken bewegen?

U.W.: Wir sind am Anfang eines Prozesses, wo wir heraus finden müssen, wie wir als Zivilgesellschaft eingreifen können. Bisher wurde die Globalisierung viel zu stark den Chefetagen und geheimen Regierungsentscheiden überlassen, obwohl die Entscheide uns alle betreffen.

swissinfo: Widerstand gegen einen von den USA geführten Krieg im Irak eint gegenwärtig die Globalisierungskritiker. Aber verdeckt dieser gemeinsame Nenner nicht die bestehenden Differenzen und bedroht damit die konkrete Suche nach Alternativen?

U.W.: Die kurzfristige Angst vor einem Krieg im Irak muss hier unbedingt zum Ausdruck kommen. Es wäre schon fast ein Skandal, wenn Porto Alegre zu diesem global brennenden Thema schweigen würde. Allzu sehr ist die heutige globale Wirtschaft eine globalisierte Kriegswirtschaft.

swissinfo: Porto Alegre ist bereits ein Begriff für eine neue Art der Globalisierung. Droht die Gefahr, dass Porto Alegre zur leeren Worthülse verkommt, wie es Seattle, Genua oder Prag geworden sind?

U.W.: Die von Ihnen genannten Orte waren Zentren von Demonstrationen gegen die aktuelle wirtschaftliche Globalisierung und ihre Institutionen. In Porto Alegre hingegen geht es um den konstruktiven Ansatz, die Globalisierung sozial und ökologisch zu gestalten. Hier trifft sich die politische Zivilgesellschaft, die ihr Anrecht auf Mitgestaltung einfordert.

swissinfo: Wohin entwickelt sich das Weltsozialforum, wie wichtig ist es?

U.W.: Damit es auch in Zukunft seinen Einfluss aufrecht hält, braucht es die Umsetzung in den politischen Institutionen. Die Tatsache, dass jedes Jahr mehr Regierungsvertreter teilnehmen, stimmt mich optimistisch. Es bedeutet aber auch, dass die Kritik am bestehenden System in pragmatische Massnahmen umgesetzt werden muss.

Es ist Unsinn, die Welthandelsorganisation (WTO) oder den internationalen Währungsfonds (IWF) abschaffen zu wollen. Es geht vielmehr darum, dem IWF sozialere und der WTO ökologischere Vorgaben zu geben. Parlamente und Regierungen sind gefordert!

swissinfo: Was für ein Gefühl ist es, um die halbe Welt zu fliegen, um ein Sozialforum zu besuchen?

U.W.: Es ist ein Kompromiss: Privat bin ich nie mit dem Flugzeug unterwegs, aber über die Globalisierung sollten wir nun wirklich nicht unter der Glashaube der ersten Welt diskutieren.

Allzu oft finden internationale Veranstaltungen im Norden statt. Vertreterinnen und Vertreter des Südens können dann nur daran teilnehmen, wenn ihnen die Reise bezahlt wird. Porto Alegre hat den Vorteil, dass sehr viel mehr Teilnehmende aus ärmeren Ländern dabei sein können. So ist es keine exklusive Sache der ersten Welt.

swissinfo-Interview, Sonderkorrespondent Philippe Kropf, Porto Alegre

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