Zwischen Kuhstall, Aloe Vera und Schweizer Börse
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Der Milchverarbeiter Emmi, der Drinks wie "Aloe Vera", "Caffè Latte" oder "Benecol" von den Schweizer Stars DJ Bobo und Roger Federer bewerben lässt, bringt seine Aktien an die Börse.
Bald erreicht der Jahresumsatz die 2-Milliarden-Schwelle. Ein Viertel davon kommt aus dem Ausland.
Mitte September, Zentralschweiz: Abend für Abend befindet sich die Führungsspitze des Schweizer Marktleaders in Sachen Milchveredelung, der Emmi AG, auf Info-Tournee.
Hunderte von Milchbauern hören in Hochdorf, Ruswil oder Sempach aufmerksam zu, wie VR-Präsident Fritz Wyss, CEO Walter Huber und Marketingleiter Erich Kienle über den «Erfolg im offenen Europa» sprechen.
Als Rohstoff-Produzenten sind viele der Bauern via die «Zentralschweizerischen Milchproduzenten» (ZMP) an Emmi mehrheitsbeteiligt. «Internationalität ist für uns ein Muss», sagt Wyss seinen Lieferanten.
Zwischen Milch-Kontingent, Trend-Drink und virt-x
Beim Rohstoff für all die trendigen Gesundheitsdrinks, Jogurts und Käsesorten, bei der Milch, gibt zwar noch die rigide Landwirtschaftspolitik den Ton an. Doch die Verarbeitung der Milch zu Frisch- und Molkereiprodukten und zu Käse erfolgt bereits auf moderner, industrieller Basis, mehr und mehr auch grenzüberschreitend global.
Emmi-CEO Walter Huber spricht von Agrarmärkten, bilateralen Verträgen und der WTO-Runde: «Bleiben wir selbstständig, müssen wir nicht nach Brüssel gehen.» Und die Bauern wissen Bescheid, denn die Milchsubventionen werden nicht mehr ewig fliessen. Niemand ist der Liberalisierung so stark ausgesetzt wie sie.
In diesem Spagat zwischen helvetischer Milch-Politik und globalem Marken-Branding agiert die Emmi. Ein Viertel des Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen bereits mit Exporten.
Emmi muss Brücken schlagen zwischen den immer rationeller betriebenen Kuhställen in der Zentralschweiz einerseits, modernem globalen Marketing und effizienten Finanzierungsmethoden andererseits.
DJ Bobo und Roger Federer
Was offenbar bisher nicht schlecht gelang, erreicht Emmi doch bald die Umsatz-Messlatte von 2 Mrd. Franken, ohne mit dieser Expansion die wichtigen Finanz-Eckwerte zu verwässern.
Nun möchte der Schweizer Marktführer in den kommenden Monaten seine Aktien an die Börse bringen. Im Finanzjargon nennt sich das IPO – Initial Public Offering.
Den Milchbauern in der Zentralschweiz, wo Emmi auch ihren Hauptsitz hat, gilt also nicht nur klar zu machen, wie sich DJ Bobo und Roger Federer für «Energy Milk» und «Caffè Latte» aus der Schweiz ins Zeug legen.
Die zweite Botschaft lautet: Als Mehrheitsaktionäre werden die Bauern – die Stakeholder – profitieren, wenn die Emmi-Aktien öffentlich an der Börse handelbar werden.
Agio von 80 bis 100 Millionen geplant
Der Börsenhandel ist für Bauern nicht Neues. Früher gab es Viehmärkte. Und heute handeln viele Landwirte ihre Kälber, kaum geboren, schon in den landwirtschaftlichen Internet-Börsen. Der Aktienhandel über die europäische Börse virt-x dürfte ihnen deshalb weniger exotisch vorkommen als man meint.
Doch mit dem IPO wird auch Geld gemacht: «Der Börsengang soll liquide Mittel von zirka 100 Mio. Franken in die Emmi-Kasse spülen», schreibt ZBK-Analyst Peter Gasser in einem Spezialreport.
Die ZMP, derzeit mit einem Anteil von 72% Hauptaktionärin, wird auch nach dem Börsengang die Mehrheit halten.
Convenience Produkte sind kein Käse
Auch die Produktepalette des Milchverarbeiters entwickelt sich sehr unterschiedlich. Am meisten modernisierte man die Jogurts. «Vor allem im Bereich Frischprodukte kann sich Emmi mit innovativen Produkten differenzieren», sagt Firmensprecher Stephan Wehrle gegenüber swissinfo.
Mit Drinks wie «Benecol» befinde man sich schon im so genannten Functional Food-Bereich. «Benecol» soll das Cholesterol im Blut reduzieren, «Caffè Latte» gehört zum Lifestyle- und Wellness-Bereich.
«Im Gegensatz zum traditionellen Käse werden diese Produkte vermehrt ausser Haus konsumiert, was dem heutigen Konsumtrend entgegen kommt», sagt Wehrle. «Man kriegt sie überall, man konsumiert sie überall, egal ob zu Hause, im Zug oder im Flugzeug.»
Käse hingegen sei ein Jahrhunderte altes Produkt, das in kleinen Innovationsschritten weiterentwickelt werden könne, so Wehrle. Hier könne vor allem das Marketing intensiviert werden. Der «höhlengereifte» Hartkäse ist schon ein Begriff für die Premium-Politik in diesem Bereich.
Mit Swissness versehen: «Lieber Schweiz als Geiz»
Traditionellerweise war es der Hartkäse, den die Schweiz exportierte – aufgrund der hohen Qualität und des Images. Erst in den letzten Jahren hat Emmi verstärkt Frischprodukte exportiert.
«Auch im Frisch-Bereich kommt uns die Swissness zugute», sagt Wehrle. Trotz hohen Löhnen und hohen Milchpreisen bleibe der Rohstoff Milch, wenn er aus der Schweiz komme, eben werbewirksam. Das gebe dann die übliche Schweizer Premium-Formel: Ein etwas höherer Preis, dafür ein hochstehendes Produkt.
Dazu kommen die neuen Gags: «In Deutschland ist momentan der negative Spruch ‹geiz ist geil› hoch in Kurs», sagt Wehrle. «Wir möchten daraus etwas Positives machen und sagen ‹Lieber Schweiz statt Geiz›.»
swissinfo, Alexander Künzle
Die Emmi-Gruppe möchte möglichst noch dieses Jahr mit ihren Aktien an die Börse.
Hauptaktionär bleiben die Zentralschweizerischen Milchproduzenten (ZMP).
Diese wurden 1907 gegründet.
Die Emmi AG wurde 1993 als eigenes Unternehmen aus dem Milchverband ausgegliedert (Frischprodukte, Molkerei, Käse).
Akquisitionen seit 2002 : Swiss Dairy Food («Tony», «Säntis»); «Tiger», «Gerber» und «Zingg»-Schmelzkäse; «Hirzel» (Nestlé); Molkerei Bern-Ostermundigen («Lusso Foods»).
Emmi:
Umsatz 1993: 500 Mio. Franken
Umsatz 2005 (geschätzt): 1,95 Mrd. Franken
Mitarbeiter: 2600
Lieferanten: Rund 90’000 Kühe aus 5450 Milchbetrieben.
Branchenvergleich (Umsatz in Mrd. Fr., 2003):
Emmi (CH): 1,9
Dairy Crest (UK): 2,8
Nordmilch (D): 3,3
Bongrain (F): 6
Lactalis (F): 8
Danone (F): über 10
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