Fünf Wege, wie Bäuer:innen in Westafrika mehr aus ihrem Kakao herausholen
Westafrika produziert 75% der weltweiten Kakaobohnen, die zu Schokolade verarbeitet werden. Trotzdem erzielt ein Fünftel der Kakaobauern und -bäuerinnen in der Region kein existenzsicherndes Einkommen. SWI swissinfo.ch hat fünf Expert:innen gefragt, wie die Kakaoproduzent:innen diese Lücke schliessen können.
Rund eine Million der fünf Millionen Kakaobäuer:innen in Westafrika verdienen nicht genug, um ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft, Kleidung, Bildung und medizinische Versorgung decken zu können.
Auf der anderen Seite des Spektrums landet fast die Hälfte des Umsatzes im weltweiten Schokoladenmarkt, rund 120 Milliarden Dollar, in den Taschen europäischer Unternehmen wie Nestlé, Lindt & Sprüngli oder Ferrero.
Das geht aus einem aktuellen Marktforschungsbericht von Marketsandmarkets hervor. Schokoladen-Schwergewichte in Nordamerika und im asiatisch-pazifischen Raum wie Mars, Mondelez und Meiji kassieren rund 30%, während kakaoproduzierende Länder in Afrika wie die Elfenbeinküste und Ghana laut eigenen Angaben nur magere 5% erhalten.
SWI swissinfo.ch sprach mit fünf Schweizer Expert:innen, die in der Kakao- und Schokoladenindustrie tätig sind. Sie teilten in den Gesprächen ihre Einschätzungen, wie Afrika diese Kluft verringern und seinen Kakaobäuer:innen ein menschenwürdiges Leben sichern kann.
Das Angebot im Kakao-Markt regulieren
Christian Robin ist Geschäftsführer der Schweizer Plattform für nachhaltigen Kakao, einem Zusammenschluss von Schokoladenhersteller:innen, Händler:innen, Einzelhändler:innen, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler:innen.
Laut Robin ist eines der Hauptprobleme, dass Westafrika mehr Kakao produziert, als der Markt aufnehmen kann. Das führt zu einem Ungleichgewicht der Kräfte zugunsten der internationalen Käufer:innen. In der Folge bleiben die Kakaopreise niedrig.
«Die Elfenbeinküste hat ihre Kakaoproduktion in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Auch wenn es schwierig ist, müssen die wichtigsten afrikanischen Erzeugerländer irgendwann ihr Angebot besser managen», sagte er gegenüber SWI swissinfo.ch.
Robin empfiehlt den westafrikanischen Bäuer:innen, ihre Betriebe zu diversifizieren und andere Feldfrüchte anzubauen, um die Abhängigkeit von den schwankenden Kakaopreisen zu verringern. Die Fairtrade-Zertifizierung ist eine weitere Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen.
Fairtrade Max Havelaar, der in der Schweiz ansässige Zertifizierer, bietet ihnen mindestens 2400 US-Dollar pro Tonne Kakaobohnen an.
Das liegt etwa 300 US-Dollar über dem offiziellen Erzeugerpreis, den der ivorische Kakaoverband für die Haupternte 2022/2023 festgelegt hat.
Die Nachfrage nach Fairtrade-Schokolade ist jedoch zu gering (sie macht nur 15% des gesamten Schweizer Schokoladenabsatzes aus), dass alle Kakaobauern von einer Zertifizierung profitieren könnten.
«Es ist ermutigend zu sehen, dass so viele Bauern an unserem Programm teilnehmen wollen. Leider ist die Menge an zertifiziertem Kakao zu gross im Vergleich zu dem, was wir auf dem Markt verkaufen können», sagt Yanick Lhommel, Business Development Manager bei Fairtrade Max Havelaar.
Ein überholtes System reformieren
«Das bestehende System von Verwaltenden und Landbesitzenden hat den Sektor dysfunktional gemacht», sagt Brigitte Cuendet, eine Schweizer Kakaobäuerin in Ghana. Sie kaufte 2014 eine 30 Hektar grosse Farm im Osten Ghanas.
Im Rahmen des Verwalter-Landbesitzer-Systems stellt die Besitzerin einer kleinen Parzelle in der Regel einen Verwalter für den Kakaoanbau ein, der einen Drittel der Ernte erhält. Der Landbesitz ist jedoch oft zu klein – in Ghana sind es durchschnittlich zwei Hektar – und die Preise sind zu niedrig, als dass beide ein ausreichendes Einkommen erzielen könnten.
Ausserdem gibt es für die Bauern keinen wirklichen Anreiz, ihre Situation zu verbessern, weil sie alle die gleichen, von den Kakaobehörden festgelegten Ab-Hof-Preise erhalten. Somit richtet sich der Preis nicht nach der Qualität der Bohnen, sondern nach der Menge.
«Im Lauf der Jahre haben wir unsere Nachernteverfahren verfeinert und produzieren heute eine Bohnenqualität, die als Spezialitätenkakao gilt. Natürlich möchten wir jetzt auch als Kleinbauern unsere eigenen Lieferketten aufbauen können», sagt Cuendet.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kakaobehörden in einem solchen Szenario keine Rolle spielen. Cuendet ist überzeugt, dass die Zusammenarbeit mit Boutique-Hersteller:innen beiden Seiten zugute käme. Inspiriert wurde die Schweizer Landwirtin durch eine Reise nach Brasilien, wo sie Kaffeebäuer:innen traf. «Wir sollten dem Beispiel des Kaffees folgen, wo die Boutique-Hersteller direkt von den Kleinbauern beziehen», sagt sie.
Resilienz schaffen
Westafrika produziert derzeit zwar mehr Kakao als nötig, doch die Erträge auf den Farmen sind durch Krankheiten und weniger produktive ältere Bäume gefährdet.
Ghanas Kakaobehörde gibt 230 Millionen Dollar eines 600-Millionen-Dollar-Darlehens der Afrikanischen Entwicklungsbank aus, um etwa 160’000 Hektar der eine Million Hektar grossen unproduktiven Kakaoplantagen zu sanieren. Die Kakaobäume auf diesen Flächen waren entweder zu alt oder mit dem Cocoa Swollen Shoot Virus infiziert, so dass sie entwurzelt und neue Bäume gepflanzt werden mussten. Das Virus verringert den Ertrag innerhalb eines Jahres und tötet den Baum in der Regel innerhalb weniger Jahre ab.
«Die Entwicklung des Swollen Shoot Virus in Westafrika ist beängstigend. Die infizierte Fläche hat sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Durch den Klimawandel bedingte Dürreperioden werden die Situation noch verschlimmern, da die geschwächten Pflanzen anfälliger für Infektionen sind, die durch Wollläuse übertragen werden», sagt Sanja Fabrio.
Fabrio arbeitet für ein Schweizer Startup namens SwissDeCode, das zusammen mit dem Schokoladenhersteller Mars Wrigley ein Kit zum Nachweis des Swollen Shoot Virus auf dem Feld entwickelt hat. Der Test kostet derzeit rund 15 Franken pro Probe und kann das Virus bereits auf den Blättern nachweisen, bevor die Symptome auftreten.
Da infizierte Pflanzen bis zu zwei Jahre lang keine Symptome zeigen können, trägt der Test dazu bei, die Übertragung frühzeitig einzudämmen. Fabrio hofft, die Kosten für die Tests senken zu können, indem das Unternehmen weitere Partnerschaften eingeht, um die Herstellung in die betroffenen Länder zu verlagern.
«Schokoladenunternehmen haben Interesse an der Technologie gezeigt, aber die nächste Stufe ist die Standardisierung der Testanwendung. Lokale Behörden vergleichen unseren Test bereits mit PCR [mit einem Labortest], und die Ergebnisse sind mehr als ermutigend», sagt Fabrio.
Seine Kundschaft kennen
«Alle grossen Akteure der Kakaobranche passen in einen Raum. Wenn man nur Preisüberlegungen macht hat man bald zehn Konkurrenten, die Wege finden, den Preis zu senken», sagt Anian Schreiber, CEO des in der Schweiz ansässigen Unternehmens Koa, das Kakaofruchtprodukte vertreibt. Es handelt sich um ein Nischengeschäft, weil die Kakaofrüchte in der Regel weggeworfen werden, nachdem die wertvollen Bohnen extrahiert wurden.
Schreiber und seine Mitgründer:innen haben Koa im Jahr 2017 mit Eigenmitteln finanziert und gegründet. Sie begannen mit einer Produktion von nur 12 Litern Saft pro Tag. In einer kleinen Fabrik in Ghana wurde die Produktion auf 5000 Liter pro Tag gesteigert.
Letztes Jahr gelang es dem in Zürich ansässigen Unternehmen, 10 Millionen Dollar für den Bau einer neuen Fabrik in Ghana aufzubringen, mit der die Produktion auf 25 Tonnen pro Tag gesteigert werden soll.
Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen empfiehlt Schreiber den Schokoladenhersteller:innen, sich auf die Wertschöpfung im Herkunftsland zu konzentrieren, was nur möglich ist, wenn sie ihre wichtigsten Märkte kennen.
Zusätzlich zur lokalen Produktion rät er, in eine Vermarktungseinheit in Europa oder den USA zu investieren, um wirklich nahe an den Konsument:innen zu sein und neue Wege zu finden, ihren Kakao aufzuwerten.
«Im Moment geht es nur darum, wer welches Stück vom Kuchen bekommt. Stattdessen sollten sie darüber nachdenken, wer gerne Kuchen isst. Kann ich einen Kuchen backen oder sollte ich ein Muffin oder ein Brownie machen?»
Schreiber nennt das Beispiel des grössten ghanaischen Kakaoverarbeiters Niche Cocoa, der im vergangenen Jahr eine Fabrik in den USA eröffnete, um auf dem lukrativen amerikanischen Markt Fuss zu fassen. Im April brachte Niche Cocoa ausserdem Ghanas erste abgefüllte Schokoladenmilch auf den Markt.
Nachwuchs anlocken
Nach mehreren unabhängigen Erhebungen liegt das Durchschnittsalter von Kakaobäuer:innen in Ghana zwischen 50 und 55 Jahren. Viele arbeiten so lange, wie sie körperlich dazu in der Lage sind, weil die jüngere Generation kein Interesse zeigt.
Cuendet zufolge ist der Kakaoanbau zu einer Tätigkeit geworden, die man wählt, wenn man keine Alternative hat. Die jungen Leute ziehen andere Berufe wie Krankenpfleger:in, Lehrer:in, Polizist:in oder Soldat:in vor. Sie macht die Landbesitzverhältnisse sowie die Kakaopreise, die nicht mit den steigenden Lebenshaltungskosten im Einklang stehen, dafür verantwortlich, dass die harte Arbeit, die der Kakaoanbau mit sich bringt, unattraktiv erscheint.
«Um die Jugend zu überzeugen, müssen Geschäftsentwicklungsperspektiven greifbar sein, die ein menschenwürdiges Leben weit über der Armutsgrenze ermöglichen», sagt Cuendet.
Abgesehen vom Geld ist auch die Ausbildung wichtig. 2016 startete Ghana zusammen mit internationalen Partnern ein fünfjähriges Next Generation Cocoa Youth Program (MASO), das 10’000 arbeitslosen jungen Menschen, die von weniger als zwei US-Dollar am Tag leben, Schulungen in den Bereichen Landwirtschaft und Unternehmensentwicklung bot. Die Auswertung des 2020 abgeschlossenen Projekts ergab, dass die die Teilnehmer:innen 22,5% wahrscheinlicher Kakao anbauen.
Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
Michael Heger
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