Für die UNO untersuchen sie Verstösse gegen die Menschenrechte
Bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen sehen sie sich mit allerlei Widrigkeiten konfrontiert. Drei Menschenrechtsfachleute der UNO erzählen von ihrem Arbeitsalltag, und warum sie allen Hindernissen zum Trotz weitermachen.
«Wenn ich die Geschichten höre und die Menschen treffe, bin ich immer wieder aufs Neue bewegt und schockiert, auch wenn ich ähnliche Geschichten schon einmal gehört habe», sagt Andrew ClaphamExterner Link, Professor für Völkerrecht am Graduate Institute in Genf.
Er hat gerade ein sechsjähriges Mandat als Mitglied der UNO-Menschenrechtskommission im Südsudan beendet. «Jedes Mal, jede Geschichte beschreibt oft sehr erniedrigende und entwürdigende Dinge, die ein Mensch nicht durch die Hand eines anderen erleiden sollte.»
Zahlreiche unabhängige Menschenrechtsexpert:innen arbeiten im Auftrag des UNO-Menschenrechtsrats, der sich vom 19. Juni bis 14. Juli in Genf zu seiner nächsten Sitzung trifft.
Sonderberichterstatter:innen und ArbeitsgruppenExterner Link berichten und beraten zu bestimmten Ländern oder Menschenrechtsfragen, führen Länderbesuche durch und leisten Aufklärungsarbeit. Sie sensibilisieren die Öffentlichkeit für Menschenrechtsverletzungen und arbeiten nach Möglichkeit mit den zuständigen Behörden zusammen.
Es gibt UntersuchungsorganeExterner Link wie internationale Untersuchungskommissionen, Menschenrechtskommissionen und Erkundungsmissionen. So hat der Menschenrechtsrat im März 2022 eine Untersuchungskommission zur UkraineExterner Link eingesetzt, die dem Rat im März dieses Jahres berichtete, dass Russland bei seiner Aggression gegen das Nachbarland ein «breites Spektrum von Kriegsverbrechen» begangen habe.
Alle diese Personen und Expert:innengruppen berichten regelmässig an den Menschenrechtsrat und sind ein zentraler Bestandteil seiner Arbeit. Einige von ihnen haben spezielle Mandate, um Beweise für mögliche zukünftige Prozesse zu sichern.
Sie sind keine UNO-Mitarbeiter:innen und werden auch nicht bezahlt. Sie sind mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, darunter der Zugang zu Ländern und Orten, zu Zeug:innen und Opfern, sowie logistische Probleme. Manchmal fordert die Arbeit auch einen persönlichen Tribut.
Die Bulgarin Mariana KatzarovaExterner Link, die am 1. Mai ihr Amt als erste Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Russland angetreten hat, sagte kürzlich in einem Interview mit SWI swissinfo.ch, sie erwarte eine harte Arbeit.
«Keine leichte Arbeit»
Juan MéndezExterner Link, ehemaliger UNO-Sonderberichterstatter für Folter (2010-2016) und heutiges Mitglied des UNO-Expert:innengremiums für Rassismus und Strafverfolgung, räumte ein, dass die Arbeit als unabhängiger Menschenrechtsexperte für die UNO eine Herausforderung sei.
«Es ist keine leichte Arbeit, und sie geht unter die Haut», sagt er gegenüber SWI. «Ich bin froh, dass es mir nahe geht, denn wenn es mir nicht nahe ginge, würde ich diese Arbeit als etwas Natürliches betrachten, und das wäre wirklich tragisch.»
In ihrem Bericht vom April 2023 prangerte die Kommission die anhaltende Straflosigkeit im Südsudan für – wie sie es nannte – «entsetzliche» Menschenrechtsverletzungen an, darunter weit verbreitete Tötungen, Vergewaltigungen, sexuelle Sklaverei und Massenvertreibungen von Zivilisten.
Die Kommission stellte fest, dass Regierungs- und Militärangehörige, die in diese Verbrechen verwickelt waren, weiterhin im Amt sind, und nannte mehrere Personen, gegen die strafrechtliche Ermittlungen und eine Strafverfolgung gerechtfertigt wären.
Im Lauf der Jahre sind die Berichte der Kommission immer härter gegen Mitglieder der Regierung und hochrangige Militärs ins Gericht gegangen. «Offensichtlich sind sie nicht besonders glücklich darüber», sagt Clapham. «Aber ich würde es als eine sehr konstruktive Diskussion bezeichnen.»
Auch wenn es den Anschein mache, dass im Südsudan immer noch Straflosigkeit herrsche, habe es doch einige Schritte in die richtige Richtung gegeben, sagt er. «Wir wollen aufzeigen, wo Menschen vor Gericht bestraft und aus ihren Ämtern entlassen wurden und für mehr solche Massnahmen plädieren.»
Zugang erhalten
UNO-Menschenrechtsermittler:innen sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen unter anderem Zugangsprobleme, da einige Regierungen sich unkooperativ verhalten oder feindselig eingestellt sind.
Es ist ein Grundprinzip der Vereinten Nationen, dass Menschenrechtsexpert:innen, ebenso wie Friedenstruppen, sich nur auf Einladung des betreffenden Landes dorthin begeben.
Méndez hat in seiner Zeit als UNO-Sonderberichterstatter über Folter in sechs Jahren zwölf Länder besucht, einige davon mehrmals. Länder wie Venezuela, Kuba, Iran und Indien habe er wiederholt um einen Besuch gebeten, jedoch nie eine Einladung erhalten.
Die Vereinigten Staaten luden ihn zwar zum Besuch des US-Militärgefängnisses Guantanamo ein, aber unter Bedingungen, die er nicht akzeptieren konnteExterner Link. Seit 2002 werden dort Terrorverdächtige auf unbestimmte Zeit festgehalten, einige von ihnen wurden Opfer von Folter. Méndez wurde untersagt, Interviews mit Häftlingen führen.
Die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung, Fionnuala Ní Aoláin, hat Guantanamo dieses Jahr besucht und anhaltende Verstösse gegen das Völkerrecht angeprangert.
«Einige Länder erkennen, dass sie ein Problem haben und sind bereit, sich bei dessen Lösung unterstützen zu lassen», so Méndez gegenüber SWI. «Es gibt aber auch Länder, die einen mit der Erwartung einladen, dass sie einem Sand in die Augen streuen können, was den Besuch etwas komplizierter macht. Und es gibt Länder, in denen die zentralen Behörden in gutem Glauben handeln, aber nicht immer die volle Kontrolle über alles haben.»
Méndez ist heute Mitglied des Expertenausschusses für Rassismus und Strafverfolgung der Vereinten Nationen, eines Untersuchungsgremiums, das nach dem Tod von George Floyd während dessen Verhaftung in Minneapolis eingerichtet wurde.
Es hat den Auftrag, den Rassismus in der Polizeiarbeit weltweit zu untersuchen. Kürzlich hat das Gremium die USA besuchtExterner Link. Auch hier wollten sie unter anderem Gefängnisse besuchen, sich ein Bild der Haftbedingungen machen und mit Häftlingen afrikanischer Abstammung sprechen. Laut Méndez war es ihnen erlaubt, zu sehen, was sie wollten, und mit allen zu sprechen, mit denen sie wollten, ausser in New York City.
«Nach allem, was wir wissen, gab es ein Missverständnis über die Art und den Zweck unseres Besuchs, weil wir auch das Gefängnis Rikers Island besuchen wollten», sagt er.
«Als wir uns auf den Besuch vorbereiteten, erfuhren wir, dass dieser nicht stattfinden werde. Gleichzeitig wurden auch unsere Treffen mit dem Büro des Bürgermeisters und den Behörden des New York Police Department nicht bestätigt.»
Nach etlichen Mails und Telefonaten «vereinbarten wir, dass wir unsere Fragen schriftlich einreichen und sie diese auch schriftlich beantworten werden», so Méndez weiter. Offensichtlich handelt es sich nicht um den besten Weg, sich ein aussagekräftiges Bild der Situation zu machen.
Logistische Probleme
Laut Clapham kann sich die Kommission im Südsudan in gewisser Weise glücklich schätzen, da sie mit der Regierung zusammenarbeitet, ein Team im Land hat und eine UNO-Friedenstruppe vor Ort ist, die bei Bedarf mit Logistik und Sicherheit helfen kann.
«Den meisten anderen Untersuchungskommissionen ist es verboten, in das Land zu reisen, weshalb sie dort kein Personal haben und auch nicht selbst dorthin reisen können», sagt er.
Im vom Krieg zerrissenen Südsudan gibt es jedoch zahlreiche Herausforderungen. «Die Strassen im Südsudan sind nicht immer befahrbar, besonders während der Regenzeit. Man kann auch nicht immer einfach in ein Flugzeug steigen und an einem Ort ankommen, und es kann Sicherheitsbedenken am Zielort geben.», berichtet Clapham.
«Ausserdem arbeiten wir nach dem Do-no-harm-Prinzip: Man möchte die Menschen nicht auf eine Weise befragen, die sie retraumatisiert oder sie weiteren Risiken aussetzt. Es gibt also viele Sicherheitsvorkehrungen und Probleme, die bei jeder komplexen Untersuchung von Kriegsverbrechen vorkommen.»
Nachforschungen ohne Zugang
Katzarova, die Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Russland, hofft auf die Kooperation der russischen Behörden, denn sie hält es für wichtig, mit allen Beteiligten, besonders mit Regierungsvertreter:inen, zu sprechen, um die Menschenrechtslage umfassend beurteilen zu können.
Doch das ist keineswegs sicher. Russland verurteilte die Resolution des UNO-Menschenrechtsrats vom Oktober 2022, mit der ihr Mandat geschaffen wurde, und bezeichnete sie als politisch motiviert.
«Es besteht eine gewisse Erwartungshaltung, dass die russischen Behörden nicht wirklich bereit sind, mit dem Mandat zu kommunizieren», sagt sie im Gespräch mit SWI swissinfo.ch. «Ich weiss es noch nicht, denn ich habe noch keine offiziellen Antworten auf die Briefe erhalten, die ich unmittelbar nach Beginn meines Mandats verschickt habe.»
Manchmal wollen die Länder nicht so dastehen, als würden sie offiziell «Nein» sagen. Also antworten sie schlicht nicht. Ist dies der Fall, kann die Expertin gemäss den UNO-Regeln nicht einreisen, genau wie bei einem «Nein».
Wenn Katzarova keinen Zugang zu Russland erhält, muss sie sich auf Quellen in der wachsenden russischen Diaspora verlassen, und deren Informationen so gut wie möglich zu verifizieren versuchen.
Sie sagt, dass dank der sozialen Medien und des Internets auch Menschen innerhalb Russlands «mich erreichen können: Ich bin völlig offen für Informationen von allen, die das Gefühl haben, dass ich ihre Stimme verstärken und der Regierung die richtigen Fragen stellen könnte».
Die Arbeitsweisen unterscheiden sich je nach Situation. Im Südsudan, sagt Clapham, bestehe eine der Arbeitsmethoden der Kommission in der Befragung von Flüchtlingen in den Nachbarländern, «vor allem, wenn sie erst vor kurzem geflüchtet sind, damit sie uns von ihren Erfahrungen berichten können».
Im Land selbst sei das schwer zu bewerkstelligen. Die Orte, die angegriffen wurden oder an denen es zu Gewalttaten kam, sind in der Regel nicht zugänglich. «Und wenn man sich dorthin begibt, sind die Menschen fast zwangsläufig bereits geflohen.»
Die Kommission kann dann solche Gewaltvorfälle gegenüber der Regierung zur Sprache bringen. «Wir treffen uns immer mit hochrangigen Ministern und Kabinettsmitgliedern, um ihre Reaktionen auf unsere Berichte zu hören und zu versuchen, strukturelle Fragen zu diskutieren», sagt er.
Warum die Mühe?
Clapham räumt ein, es sei frustrierend, dass die Gewalt im Südsudan nach all den Jahren immer noch anhalte, während die im Rahmen eines Friedensabkommens vorgesehenen Mechanismen für Gerechtigkeit und Versöhnung noch nicht eingerichtet wurden.
Andererseits verweist er auf einige Erfolge der Kommission, wie die Identifizierung bestimmter Einheiten und Personen, die mit Verbrechen in Verbindung gebracht werden, und die Aufarbeitung der Geschichte aus der Sicht der Opfer.
Die Arbeit der Kommission zum Thema sexuelle Gewalt in der südsudanesischen Gesellschaft war seiner Meinung nach «wichtig für das Verständnis und hoffentlich auch für die Prävention in der Zukunft».
Die Kommission hat auch einen Bericht über die Hungersnot verfasst, «der meiner Meinung nach dazu beigetragen hat, den Menschen zu erklären, dass es sich hierbei tatsächlich um ein individuelles Kriegsverbrechen handeln kann, und dass Hungersnot nicht etwas ist, was den Menschen einfach so passiert, sondern etwas Menschengemachtes ist, für das man individuell zur Verantwortung gezogen werden kann».
Er hofft, dass dies dazu beitragen wird, künftige Angriffe auf Hilfskonvois zu verhindern. Und fügt hinzu: «Kleine Schritte sind besser als gar keine Schritte.»
Méndez, der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für Folter scheint diese Ansicht zu teilen. Er sagt, Rassismus in der Strafverfolgung sei in einigen US-Institutionen eine Frage der Kultur, was jedoch nicht bedeute, dass alle Strafverfolgungsbehörden rassistisch seien.
«Aber es gibt genügend Konsistenz in einigen Handlungen der Strafverfolgungsbehörden und der verschiedenen Strafverfolgungsorgane im ganzen Land, so dass man mit Sicherheit sagen kann, dass es sich um eine Frage der institutionellen Kultur handelt, die nur mit viel Mühe beseitigt werden kann.»
Warum also überhaupt einem solchen Job nachgehen? «Menschenrechtsverletzungen werden nicht verschwinden, aber wir können zumindest dazu beitragen, die schwerwiegendsten Verstösse zu ahnden, namentlich jene, die so tief in der Kultur verwurzelt sind, dass sie langfristige Massnahmen erfordern.»
Méndez ist überzeugt, dass die Arbeit der UNO-Menschenrechtsexpert:innen zu einem Wandel beitragen kann. «Aber sie reiht sich ein in die Bemühungen so vieler anderer, einschliesslich der Familien der Opfer und der Opfer selbst, die Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit für das, was sie erlitten haben, anstreben. Sie haben sich entschieden, nicht aufzugeben, und das spornt uns an.»
Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger
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Der UNO-Menschenrechtsrat kurz erklärt
Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger
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