125 Jahre Kampf für Menschen am Rand
Seit 1882 hilft die Heilsarmee in der Schweiz armen Menschen am Rand der Gesellschaft. Im Advent gehören die uniformierten Salutisten mit Liedern und Topfkollekten zum Stadtbild.
Die Arbeit der Heilsarmee ist auch in säkulären Kreisen hoch geschätzt. Doch die Organisation hat Nachwuchssorgen.
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich auch in der Schweiz zunehmend. Von Armut betroffen sind nicht nur Ausgesteuerte und Obdachlose, sondern auch immer mehr Frauen und Junge.
Laut Caritas ist jede siebte Person nicht mehr in der Lage, die Existenz aus eigener Kraft zu sichern; die Hilfsorganisation spricht deshalb von einem gesellschaftlichen Skandal.
Gleichzeitig zieht sich die öffentliche Hand immer mehr aus der Sozialhilfe zurück. Das Engagement von nichtstaatlichen Organisationen gewinnt in diesem Kontext an Bedeutung, beispielsweise dasjenige der Heilsarmee.
«Suppe, Seife, Seelenheil»: Mit diesem Kriegsruf zieht die friedliche Armee im Dienste Gottes und der Nächstenliebe bis heute gegen Armut und deren Folgen ins Feld. Dabei hat die Heilsarmee den Spagat zwischen uniformierter Heilsverkündung aus der Zeit der Industrialisierung und Sozialinstitution der Moderne geschafft.
Gegen Obdachlosigkeit
«Vor allem mit ihren Passantenheimen leistet die Heilsarmee einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Obdachlosigkeit, aber auch zur psychosozialen Betreuung der Menschen», sagt Walter Schmid gegenüber swissinfo. Er ist seit 1999 Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), dem wichtigsten Fachverband, dem Gemeinden, Kantone, Bund und private Organisationen angehören.
Wer früher mit einer Fürsorgebehörde zu tun hatte, war ein Sozialfall. Heute sind Hilfesuchende meist Klienten. Im Zentrum der Heilsarmee-Tätigkeit aber stehen Menschen, so wie sie sind, oder eben auch nicht sind. «Das Engagement für den Mitmenschen ist uns sehr wesentlich, und die Motivation dazu liegt im Glauben», sagt Heilsarmee-Sprecher Pierre Reift. Beides, Glaube und Handeln, gehörten zusammen.
Begleitung
Walter Schmid verweist ebenfalls auf die starke Verankerung der Organisation im christlichen Glauben. Die Salutisten seien mit den Obdachlosen und Ärmsten über die Dienstleistung hinaus verbunden, weil alle Mitarbeiter von einer starken persönlichen Überzeugung geleitet seien. «Sie gehen bei Todesfällen an die Beerdigung und nehmen persönlich von den Verstorbenen Abschied», streicht er heraus.
Die Bibel ist das Fundament des Kampfes gegen Armut geblieben, doch die Heilsarmee setzt heute als wichtige Akteurin im Bereich Sozialbetreuung Millionen um. 2005 betrug der Umsatz 183 Mio. Franken.
Sozial-Unternehmen
Auf Einnahmeseite sind rund ein Drittel Spenden und Schenkungen, ein Viertel steuern Gemeinden, Kantone und Bund bei. Eine wichtige Quelle sind auch die 28 Heilsarmee-Brockenhäuser, die zudem Langzeitarbeitslosen und Randständigen eine geregelte Arbeit bieten.
Doch der Organisation ist nicht nur ums Feiern zu Mute, denn sie hat Nachwuchsprobleme. «Es ist für uns schwieriger geworden, junge Menschen zu einem Engagement zu verpflichten», räumt Sprecher Pierre Reift ein.
Den Grund ortet er weniger im etwas «verstaubten äusseren Erscheinungsbild» der Uniformen. «Es ist eher ein gesellschaftliches Phänomen, dass Menschen sich heute kaum noch längerfristig engagieren wollen», beobachtet Reift.
Befristete Einsätze
Die Heilsarmee will dem mit Neuerungen bei ihrem Ausbildungskonzept begegnen. «Eine Möglichkeit ist das Angebot von Praktika, in denen junge Menschen für eine begrenzte Zeit eine Schulung, aber auch Einsätze im Rahmen der Heilsarmee-Tätigkeit leisten können», sagt Reift.
Auch auf Stufe der Berufs-Armisten wird angesetzt. Fernziel: Die Ausbildung zum Heilsarmee-Offizier – ein dreijähriger Lehrgang am eigenen Bildungszentrum in Basel – soll in Module unterteilt und zur anerkannten Ausbildung werden, die zum Studium an einer öffentlichen Universität berechtigt.
Doch vorerst soll gefeiert werden: Aus Dankbarkeit für die 125jährige Unterstützung lädt die Heilsarmee am 17. März die Schweizer Bevölkerung zum Brunch ein.
swissinfo, Renat Künzi
Heilsarmee Schweiz:
4600 Mitglieder, 1300 Angestellte
Sie betreibt 36 soziale Einrichtungen (Wohnheime)
5 Sozialberatungsstellen
8 Durchgangszentren für Asylsuchende und 4 Asylkoordinationsstellen
28 Brockenstuben
Die Heilsarmee ist eine evangelische Freikirche, die 1865 zur Linderung von Not und Elend in den Armenquartieren Londons gegründet wurde.
1882 wurde in Genf die Schweizer Sektion gegründet. Sie wurde 1889 vom Bundesgericht als religiöse Organisation anerkannt.
1901 wurde das Hauptquartier in Bern eröffnet.
Heute zählt sie 1,6 Mio. Mitglieder, die in 111 Ländern tätig sind.
Die Heilsarmisten tragen Uniformen und sind nach Dienstgraden eingeteilt.
Frauen waren den Männern von Anfang an gleichgestellt.
Die Schweizer Beratungsstelle Infosekta erachtet die Sozialarbeit der Heilsarmee als positiv, hält aber deren «enges Glaubensbekenntnis» und den Missionierungs-Auftrag für problematisch.
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