Alte Schätze erwachen im Dschungel
Im Herzen Kambodschas trotzen Schweizer Architekten und Studenten tropischer Hitze und Staub. Sie verhelfen einem Tempel in Angkor Wat zu seinem alten Glanz.
Mit dem Projekt unterstützt die Schweiz die Erhaltung der Tempelanlage, welche zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
«Alles begann etwas zufällig, als der damalige Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz Kambodscha besuchte, um das Spital ‹Beat Richner› hier in Siem Reap einzuweihen», bestätigt Ueli Salzmann, Mitverantwortlicher des Schweizer Projekts zur Erhaltung des Tempels Banteay Srei in Angkor Wat.
Delamuraz war die erste Persönlichkeit, die Banteay Srei nach dem Vietnamkrieg besuchte. Ein Krieg, vom dem auch Kambodscha schwer betroffen war. Die Schweizer Delegation war ergriffen von der Schönheit des Tempels und der Feinheit seiner Skulpturen und Reliefs.
«Dieser Tempel bewahrt die schönsten Beispiele der Baukunst einer frühen Zeit und ist heute einer der grossen Anziehungspunkte», sagt Salzmann und zeigt auf eine in den Stein gehauene Figur. Sie ist halb Dämon, halb Gottheit.
Für drei Monate pro Jahr verlässt Salzmann sein Architekturbüro in Burgdorf und fliegt nach Kambodscha. Nicht etwa, um Fotos fürs Ferienalbum zu machen, sondern, um aktiv an der Erhaltung des Tempels mitzuarbeiten.
Ein Schatz – wieder zugänglich
Der Tempel Banteay Srei («Zitadelle der Frauen») wurde im Jahr 967 gebaut und ist ein Juwel der alten Khmer-Kultur. Seine Architektur, die Skulpturen und Reliefs zeugen vom Einfluss von Buddhismus und Hinduismus in dieser Epoche.
Bis vor wenigen Jahren wurde der Zugang zum Tempel durch Antipersonen-Minen – auch heute noch eine der Plagen des Landes – und Kämpfer der Roten Khmer massiv erschwert.
Während die Roten Khmer zuerst mit offenen Armen als Befreier vom Imperialismus der USA empfangen wurden, sollte sich Pol Pots Herrschaft schliesslich als eines der blutigsten Terror-Regimes des 20. Jahrhunderts erweisen.
Schweizer Dimensionen
Die Schweizer Delegation war aber nicht allein vom künstlerisch-kulturellen Wert des Tempels fasziniert. Es schwang auch ein Stück Nostalgie mit.
«Im Unterschied zu anderen Monumenten ist Banteay Srei ein eher kleines Bauwerk. Man kann es in relativ kurzer Zeit durchschreiten, und es lässt sich mit einem Augenschlag erfassen. Dies erinnert ein wenig an die Schweiz», schmunzelt Salzmann.
Das Projekt wird zum grössten Teil von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert. Weiter sind der kambodschanische Staat und verschiedene Institutionen und Universitäten beider Länder beteiligt.
Architekten, Ingenieure und Archäologen arbeiten bei der Restauration Hand in Hand. Sie stellen ihre Kenntnisse den lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung. Damit diese, einmal ausgebildet, die Arbeit auch allein fortführen können.
Ferner machen an den Restaurationen auch Studentinnen und Studenten der Universität Genf und des Polytechnikums Lausanne mit. Sei es als Praktikum oder im Rahmen einer Diplomarbeit.
Das Projekt war 2001 von DEZA-Direktor Walter Fust lanciert worden und ist auf vier Jahre beschränkt.
In einer ersten Phase wurde der Tempel als Ganzes begutachtet. Eingeschätzt wurden unter anderem die Struktur der Konstruktion und dessen Umgebung.
Invasive Natur
Schnell waren die Gefahren erkannt, die dem Tempel zu schaffen machten: Wasser, Bäume und Besucher. Als erstes wurde mit der Rekonstruktion des ursprünglichen Bewässerungs-Systems angestautes Regenwasser davon abgehalten, auf das Fundament zu drücken. Eine weitere Absenkung des Bodens konnte so verhindert werden.
Die grösste Gefahr jedoch kommt von der Natur: Nachdem die Tempelstadt verlassen wurde, hatte die Vegetation die Tempel mit der Zeit zurückerobert, viele gar mit ihren Wurzeln und Lianen regelrecht erstickt. Zentimeter für Zentimeter hatte der Dschungel früher bewohnte Zonen wieder für sich gewonnen.
Trotz der Putzaktion eines französischen Teams in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts bleiben die Bäume hier in Banteay Srei ein Problem.
«Wir können einzig die Äste abschneiden, die auf das Monument zu fallen drohen», bestätigt Salzmann. Doch er gibt zu bedenken: «Auch die Natur gehört zum archäologischen Rahmen und soll im gleichen Umfang wie die Tempel erhalten werden.»
Warnung vor Massentourismus
Von weit her trifft eine zusätzliche Bedrohung per Flugzeug in Siem Reap, der nächstgelegenen Stadt, ein: Dieses Jahr werden ungefähr eine Million Touristen erwartet.
«Es ist positiv, dass sich Kambodscha und Angkor Wat touristisch entwickeln. Es ist jedoch wichtig, den Fluss der Touristen in den archäologischen Stätten bewusst zu kontrollieren», sagt der Berner Architekt.
Die Nachlässigkeit und die Neugier gedankenloser Touristen führen oft zu irreversiblen Schäden an den Skulpturen. Für Banteay Srei haben die Projektverantwortlichen deshalb eine tägliche Limite von 3000 Personen vorgesehen, die in kleinen Gruppen durch den Tempel geführt werden sollen.
Der Traum eines Architekten
Nach der Diagnose folgte die «Operation». Den Restauratoren liegt daran, das Bauwerk möglichst genau in der originalen Verfassung zu belassen. Nichts wird rekonstruiert. Es werden nur Originalsteine oder Fragmente gebraucht, die am Boden gefunden werden.
Verschiedene Länder – darunter Italien, Deutschland, Frankreich und China – finanzieren ähnliche Projekte. «Es herrscht eine gute Zusammenarbeit unter den verschiedenen Gruppen», fügt Salzmann an.
Trotz des allgegenwärtigen Staubes und der tropischen Hitze sowie einer nicht immer optimalen Ausrüstung ist der Berner Konservator sicher: «In diesen Monumenten zu arbeiten, ist der Traum eines jedes Architekten.»
swissinfo, Luigi Jorio, Siem Reap
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
Die Schweiz finanziert das Projekt mit 1,2 Mio. Fr.
Kambodscha steuert 300’000 Fr. bei
Seit 1954 unabhängig, wurde Kambodscha während Jahrzehnten von Kriegen erschüttert.
Nach den Bomben des Vietnam-Krieges, dem kommunistischen Schreckensregime der Roten Khmer und der Gewalt zwischen rivalisierenden politischen Gruppierungen versucht Kambodscha heute, mit diesen düsteren Kapiteln abzuschliessen.
Die Wirtschaft basiert hauptsächlich auf Investitionen aus dem Ausland, obwohl Kambodscha als eines der ärmsten Länder der Welt von der Entwicklungshilfe abhängig bleibt.
Die Region der Tempel von Angkor Wat im Nord-Westen des Landes birgt ein wichtiges kulturelles und touristisches Potenzial.
Die andern 200 archäologischen Stätten der alten Khmer-Stadt (10. – 12. Jhd.) sind über eine Fläche von 400 Quadratkilometern verteilt und gehören ebenso zum UNESCO Weltkulturerbe.
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