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Antisemitismus immer noch ein Thema in Europa

Antisemitismus ist auch in der Schweiz ein Problem: Plakat in Emmen. Keystone

In Berlin nehmen über 50 Länder, darunter auch die Schweiz, an einer Antisemitismus-Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teil.

Ziel der Konferenz ist die Bekämpfung des Antisemitismus, der in Europa immer noch ein Problem ist.

Die zweitägige Konferenz soll ein Zeichen setzen, dass die OSZE das Problem des Antisemitismus und die Sorgen der jüdischen Gemeinden ernst nimmt. Die rund 500 Delegierten aus 55 Ländern wollen gemeinsame Schritte zur Bekämpfung aller Formen des Antisemitismus vereinbaren.

«Diese Konferenz ist nötig, weil sich antisemitische Vorfälle überall in Europa häufen», sagte Staatssekretär Franz von Däniken vor dem Treffen gegenüber swissinfo.

«Kein Land ist von dieser Tendenz verschont. Auch in der Schweiz mussten wir in den letzten Jahren immer mehr antisemitische Vorfälle beobachten», so der Schweizer Delegationsleiter.

Vier Formen von Antisemitismus

Für Doris Angst von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) gibt es in der Schweiz und in Europa vier Formen von Antisemitismus, wie sie gegenüber swissinfo betonte:

Die Holocaust-Lügner im Verbund mit Rechtsextremisten; antisemitische Tendenzen im öffentlichen Diskurs bei Themen wie zum Beispiel dem Schächtungsverbot; Juden werden generell für die Politik Israels gegenüber den Palästinensern verantwortlich gemacht; neuer Antisemitismus bei Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika.

«Kühler, gutgelagerter» Schweizer Antisemitismus

Die israelische Politik hat gemäss Sigi Feigel, dem Ehrenpräsidenten der israelitischen Cultusgemeinde Zürich, einen direkten Zusammenhang mit der neuen, starken Verbreitung von Antisemitismus.

Die Juden in der Schweiz würden immer wieder für das Verhalten des Staates Israel verantwortlich gemacht, sagte Feigel, der in Berlin dabei ist, gegenüber der Nachrichtenagentur sda. «Ich bin dieser Rolle müde, die Menschen würden sich besser direkt an die israelische Regierung wenden.»

Für Feigel ist die internationale Konferenz zwar eine gute Idee. Aber jedes Land habe seine eigenen Formen von Rassismus. In der Schweiz zum Beispiel herrsche ein «kühler, gutgelagerter Antisemitismus», der nur bei Gelegenheit hervorgeholt werde.

Kampf gegen Vorurteile

Dass kein europäisches Land gegen Antisemitismus gefeit ist, diese Beobachtung hat auch der deutsche Aussenminister Joschka Fischer gemacht, auf dessen Einladung die Konferenz organisiert wurde. Beleuchtet werden unter anderem die Rollen von Regierungen, Zivilgesellschaften, Bildung und Medien, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus und die Förderung der Toleranz geht.

«Die Konferenz ist eine wichtige Möglichkeit, das ernsthafte Problem des Antisemitismus anzusprechen», sagte US-Aussenminister Colin Powell, der die Delegation der Vereinigten Staaten leitet.

Schweizer Gesetz

«Die Einführung der Antirassismus-Strafnorm von 1995 war eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben», so von Däniken. «Zudem haben wir die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus ins Leben gerufen, die sich unter anderem auch mit Antisemitismus beschäftigt.»

Der Diplomat betonte auch, dass die Schweiz vor einigen Jahren einen Fonds für Projekte gegen Rassismus und für Menschenrechte geschaffen habe.

Dieser unterstützt seit 2001 und bis 2005 mit jährlich 3 Mio. Franken Bildungs-, Sensibilisierungs- und Präventionsprojekte sowie Opfer- und Konfliktberatungsstellen.

«Wir sollten in Zukunft auch die Bildung in diese Massnahmen einbinden», so von Däniken weiter. «Sie kann eine wichtige Rolle im Kampf gegen Vorurteile einnehmen.»

Eine Ansicht, die auch von Roman Busch, OSZE-Sektionschef im Schweizer Aussenministerium, geteilt wird. Im Westschweizer Radio RSR plädierte er für mehr Anstrengungen in diesem Bereich.

Zudem, so Busch, sollten die OSZE- Mitgliedstaaten auf Gesetzesebene ähnliche Massnahmen wie die Schweiz ergreifen. Das helfe im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus.

Auch für Alfred Donath, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), wäre ein vermehrtes Engagement im Bildungsbereich wichtig. «Wir würden es begrüssen, wenn in den Schulen mehr über die Geschichte der Juden, die Shoa und den Anstieg des Antisemitismus während und nach dem Zweiten Weltkrieg gesprochen würde.»

Einen Schritt in diese Richtung sieht Doris Angst von der EKR im «Holocaust-Gedenktag», der am 27. Januar dieses Jahres an allen Schweizer Schulen durchgeführt wurde.

Unter Beschuss

In der letzten Zeit wurde die Schweizer Politik im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt vermehrt kritisiert.

So hatte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund die Schweiz angeklagt, sie sei voreingenommen gegen Israel. Diese Haltung würde dem Antisemitismus Vorschub leisten, und Schweizer Juden müssten um ihre Sicherheit bangen.

Von Däniken weist diese Vorwürfe zurück: «Wir haben eine klare Leitlinie, das internationale Recht. Israel muss sich als Mitglied diverser Konventionen wie alle anderen Staaten gemäss dem internationalen – und humanitären – Recht verhalten,» betont er.

«Wenn wir also von möglichen Rechtsbrüchen sprechen, kann man uns nicht unterstellen, anti-israelisch oder antisemitisch zu sein.»

Rolle der Medien

Für von Däniken dürfen die Delegierten in Berlin auch nicht davor zurückschrecken, über die Rolle der Medien und deren Einfluss auf die öffentliche Meinung zu sprechen. «Wir müssen das Bewusstsein schärfen, dass rassistische oder antisemitische Ausdrücke auch in relativ objektivem Journalismus vorkommen können.»

Letzten Monat belegte indessen eine Studie der Universität Zürich, dass die Schweizer Medien in diesem Zusammenhang generell objektiv und mit dem nötigen Feingefühl berichten.

swissinfo

Die Antisemitismus-Konferenz findet am 28. und 29. April 2004 in Berlin statt
55 Länder gehören zur OSZE, darunter die USA, Kanada und europäische Staaten
Staatssekretär Franz von Däniken leitet die Schweizer Delegation

Eine am Montag veröffentlichte Umfrage der jüdisch-amerikanischen Anti-Defamation League (ADL) belegt andauernde starke antisemitische Tendenzen, trotz eines Rückgangs in 8 von 10 untersuchten west-europäischen Ländern.

In Grossbritannien und in den Niederlanden gab es seit 2002 sogar einen Anstieg.

An der Spitze liegt Deutschland mit antisemitischen Tendenzen bei 36 Prozent der Befragten.

In Belgien liegt der Anteil bei 35 Prozent, in Frankreich bei 25, in Spanien und Grossbritannien bei 24 und in Italien bei 23 Prozent.

Für die Schweiz und Österreich werden 17 Prozent, für Dänemark 16 und für die Niederlande 9 Prozent genannt.

Von 2002 bis 2004 sind in der Schweiz die antisemitischen Tendenzen von 22 Prozent um 5 Prozent zurückgegangen.

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