Bernerin mit Wiener Akzent entdeckt Kairo
Sie wollte einfach mal raus aus Biel und der Schweiz. Und weil Maia Gusberti schon immer gerne gegen die Strömung schwamm, zog die Graphik-Designerin und Künstlerin nach Wien: "Weil da keiner hingeht."
Nun hat ein Stipendium der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia die Wahlwienerin nicht etwa zurückgeholt, sondern nach Kairo geschickt. Ein Kulturschock, der aufwühlt und vieles in Frage stellt.
Sicher und zielstrebig überquert Maia Gusberti die dicht befahrene Strasse in Downtown Kairo, das Geschehen aufmerksam im Blick. Nach zwei Monaten in der 20-Millionen-Stadt lässt sie sich von hupenden und unberechenbar die Fahrbahn wechselnden Autos nicht mehr erschrecken.
Das war nicht immer so. Als sie im Oktober in Kairo ankam, begann gerade der Fastenmonat Ramadan, der ein riesiges Verkehrschaos auslöste. «Da hab ich mich sogar in den Strassen in unmittelbarer Nähe zu meiner Wohnung verlaufen», erzählt die 36-jährige Schweizerin.
«Ja, das war schon ein bisschen ein Kulturschock», erinnert sie sich an die ersten Tage. Strassenschilder, Plakate, Hinweistafeln auf Arabisch – wie konnte sie sich da orientieren?
Gegen den Trend
Ortswechsel sind ihr nicht neu. Die in Bern aufgewachsene Künstlerin hat in Biel Graphik studiert, dann kurz als Illustratorin, Graphikerin und Freelancerin für Agenturen gearbeitet und schliesslich gemerkt: «Ich brauche etwas Neues, Input, weite Welt, einfach weg von hier.»
Damals seien viele ihrer Kollegen in die Trendhauptstädte des Graphik-Designs gezogen, nach Paris, Amsterdam, London, Berlin. «Doch ich war schon immer ein Fisch, der gegen die Strömung schwimmt, und zog nach Wien.»
In der ersten Zeit ist sie oft in die Schweiz gefahren. Das hat sich langsam reduziert, als Wien zum Mittelpunkt ihres Lebens wurde und ihr Deutsch einen Wiener Akzent annahm. Mittlerweile ist die Distanz wieder gross genug, um öfter neugierig in die Schweiz zu kommen, die alten Kontakte aufzufrischen sowie neue zu knüpfen.
Die arabische Schrift
Nach Kairo kam Maia Gusberti mit Unterstützung von Pro Helvetia. Bei der Bewerbung für den Atelier-Aufenthalt hatte sie geschrieben, dass sie sich für städtische Strukturen interessiere, aber noch kein konkretes Projekt formulieren könne, bevor sie die Stadt gesehen hätte.
Diese hat sie inzwischen ausführlich erkundet, Hunderte Fotos gemacht und sich ein Netzwerk mit ägyptischen Künstlern aufgebaut, mit denen sie zusammenarbeiten möchte. Das extrem chaotisch wirkende Verkehrssystem Kairos inspiriert sie ebenso wie die arabische Schrift. Daraus könnten Projekte entstehen.
So plant die Künstlerin die Erarbeitung eines arabischen Schriftstils gemeinsam mit ägyptischen Graphikern und Typographen.
Anderer Lebensrythmus
Kairo hat sie beeinflusst und vielleicht auch verändert. Maia Gusberti, die von sich sagt, dass sie öfters grantig sei und in Wien dauernd rumstresse, ist in der ägyptischen Hauptstadt entspannt und geniesst den Moment.
«Der Lebensrhythmus ist anders», erzählt sie. «Wenn man hier europäisches Tempo und Effizienz durchziehen will, scheitert man unweigerlich entweder an technischen Problemen oder an Ägyptern, die eine andere Auffassung von Zeit und Arbeitsabläufen haben. Wenn man das mal kapiert hat, wird man sofort gelassener.»
Es war ihr bewusst, dass sie in eine männlich dominierte Gesellschaft kommen würde. Doch hat sie schnell gelernt, sich durchzusetzen und auch die alltägliche Anmache locker hinzunehmen: «Aggressiv ist das ja nie, eher belustigend, manchmal aber auch entnervend», sagt sie. Bedroht habe sie sich nie gefühlt.
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Pro Helvetia
«Irrsinnig lebendige Stadt»
Auf der Dachterrasse des Carlton Hotels wird es langsam frisch. Maia Gusberti lauscht der Stimme des Muezzins, die von der nahen Moschee herüber klingt.
Bald wird sie zurück nach Wien fliegen und auch wieder die Schweiz besuchen. Die Nähe zur Natur, die sie dort schätzt, fehlt ihr in der abgasgeschwängerten Luft der ägyptischen Metropole.
Was nimmt sie mit aus Kairo? «Geräusche vor allem und Bilder, Bilder, Bilder – und neue Freundschaften», sagt sie. «Eindrücke von einer irrsinnig lebendigen Stadt. Ich habe sie ins Herz geschlossen, sie wird mir fehlen.» Was die Schweizerin schon jetzt weiss: Sie wird zurückkommen.
swissinfo, Susanne Schanda, Kairo
Ägypten hat 75 Mio. Einwohner.
Rund 18 Mio. leben in Kairo.
645’010 Schweizer Staatsangehörige lebten Ende 2006 im Ausland.
1300 Schweizerinnen und Schweizer wurden in Ägypten registriert, das sind 78 mehr als im Vorjahr.
Maia Gusberti wurde 1971 in Bern geboren, wo sie auch aufwuchs.
In Biel studierte sie Graphik und zog 1995 nach Wien.
Dort studierte sie 1997-2003 Medienkunst an der Universität für angewandte Kunst.
Seit 12 Jahren lebt sie nun in Wien und betreibt zusammen mit dem Schweizer Graphiker Nik Thönen ein Atelier für Gestaltung namens re-p.org.
Ab Oktober 2006 lebte und arbeitete sie auf Einladung der Pro Helvetia drei Monate als Artist-in-Residence in Kairo.
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