Calvins Erbe an der Rhone
Seit kurzem und fast 500 Jahre nach Ausrufung der Reformation ist die Calvin-Stadt Genf in Besitz eines Internationalen Reformations-Museums.
Bisher gab es im «protestantischen Rom» praktisch nichts, was auf die Geschichte und Bedeutung dieser prägenden Epoche hinwies.
Das neue Museum liegt in einer edlen Patrizierwohnung in der «Maison Mallet» gleich neben der Kathedrale Saint-Pierre inmitten der Genfer Altstadt. Ein historischer Standort, wurde doch dort am 21. Mai 1536 die Reformation beschlossen. Zudem war das Haus «Mallet» der erste internationale Sitz der Liga der Rotkreuz-Gesellschaften.
Im Entrée des Museums wird man freundlich willkommen geheissen und mit einem Audio-Führer ausgerüstet, der die Besucherin durch die 12 Räume mit 400 Exponaten über die Reformation und ihre Wirkung begleitet.
Erzählt wird die Geschichte der Reformation – von ihrem Ursprung bis in die heutige Zeit. Zu sehen sind Manuskripte, Stiche, Porträts, Karikaturen, Teller und Münzen mit den Köpfen bedeutender Reformatoren – und natürlich Bibeln. So zum Beispiel die erste Bibel in französischer Sprache aus dem Jahr 1535.
Unter den Unikaten im internationalen Museum ist auch ein Manuskript aus der Hand Calvins zu bewundern oder ein Porträt Calvins, gemalt vom Schweizer Maler Albert Anker.
Stadt der Zuflucht
Der Erfolg der Reformation lässt sich nur vor dem Hintergrund einer Propaganda über Bücher und Flugblätter verstehen, die erstmals in der Geschichte mit der noch jungen Technik des Buchdruckes überhaupt möglich wurde. Aus diesem Grund wurde in der Ausstellung auch eine Druckerei aus jener Zeit nachgebildet.
Ein weiterer Saal thematisiert die Ausbreitung der calvinistischen Reform in Frankreich und erinnert an das Blutbad unter Tausenden von Hugenotten in der Bartholomäusnacht in Paris 1572. Die Verfolgungen führten dazu, dass viele Flüchtlinge nach Genf und auch in den Jura kamen.
Sie leisteten einen wichtigen Beitrag für die wirtschaftliche und geistige Entwicklung in der Region, denn unter den Flüchtlingen befanden sich auch jene, die Genf den späteren Reichtum bescherten: Uhrmacher, Bijoutiers, Bankiers.
So ist es wohl kein Wunder, dass eine der vielen Privatbanken in Genf, die traditionsreiche protestantische Banque Pictet & Cie, zu ihrem 200-Jahr-Jubiläum für das Reformationsmuseum zwei Mio. Franken springen liess und damit fast die Hälfte der Kosten des neuen Museums deckt.
Für Isabelle Graesslé, Theologin und Leiterin des Museums, war von Anfang an klar, dass das Museum ohne staatliche Finanzhilfe aufgebaut würde. Denn in Genf ist die Trennung von Kirche und Staat so strikt wie kaum anderswo, was ebenfalls auf Jean Calvin zurückgeht.
Grosser Mann – grosses Erbe
Das Erbe des Reformators stuft Graesslé als enorm ein: «Er hat 1559 die Akademie gegründet, die Ausbildungsstätte des europäischen Calvinismus.» Die Akademie, die Vorgängerin der heutigen Universität, habe sich zum Zentrum einer geistigen Elite entwickelt und den Kontakt zu ganz Europa gepflegt.
Diese Offenheit hat Genf bis heute bewahrt. So hat die Stadt zum Beispiel das Rote Kreuz und den Sitz des Völkerbunds, Vorläufer der UNO, dem Calvinismus zu verdanken. Noch heute spricht man vom Genfer Geist, wenn die internationale Ausstrahlung Genfs beschrieben wird, auch wenn die Protestanten an der Rhone rar geworden sind: Nur noch 17% der Bevölkerung sind als Protestanten registriert.
Die Ausstellung ist spannend und modern. Amüsant die modernen Karikaturen im Untergeschoss des Museums. Um auch einem jüngeren Publikum den Zugang zur komplexen Thematik zu erleichtern, gibt es zum Beispiel eine audiovisuelle Vorführung, in der Martin Luther und Jean Calvin sich ein Rededuell liefern und quasi als Stars auftreten.
Jüngere Besucher sind allerdings an diesem einen Tag keine anwesend, dafür viele älteren Semesters, auch Touristen aus dem Ausland, die angeregt über Religion und Reformation diskutieren. Der Platz ist eng, der Trubel gross.
So kommt die Zuflucht im letzten Raum sehr gelegen: Eine winzige Kapelle mit zwei Kirchenbänken und einer erleuchteten Tafel mit den Zehn Geboten. An der Wand mehrere Knöpfe. Drückt man, ertönen Choräle und Psalme.
Späte Ehre
Dass Genf erst im Jahr 2005 ein Museum über die Reformation erhält – fast ein halbes Jahrtausend nach Calvins Wirken – ist erstaunlich. Abgesehen vom bekannten «Reformations-Denkmal», das bei der Universität Genf steht, und einigen Exponaten in den Vitrinen der Uni-Bibliothek, fehlte bislang eines über diese wichtige und prägende Zeit.
Wieso nur, fragt man sich, brauchte diese internationale Stadt so lange, um ihr berühmtes Aushängeschild zu vermarkten?
Doch jetzt ist der Bann gebrochen. Unweit der Kathedrale entdeckt die Besucherin im Schaufenster einer edlen Konditorei Schokoladetaler: «Le petit Calvin en chocolat».
swissinfo, Gaby Ochsenbein, Genf
Das Internationale Museum der Reformation wurde am 15. April 2005 in Genf eröffnet.
Das Museum befindet sich in der «Maison Mallet», einem Patrizierhaus im Herzen der Genfer Altstadt.
In 12 Räumen wird die Geschichte der von Jean Calvin eingeleiteten Reformation geschildert.
Das Museum kostete 4,1 Mio. Fr. und wird ausschliesslich von privaten Geldgebern getragen.
2 Mio. Fr. stammen von der Genfer Privatbank Pictet & Cie, die ihr 200-jähriges Jubiläum feiert.
Die Reformation geht aus der Protestbewegung unter Luther gegen die katholische Kirche im 16. Jahrhundert hervor.
Jean Calvin (1509 – 1564) wurde 1536 vom Reformator Guillaume Farel nach Genf geholt.
1536 wurde die Reformation von der Genfer Bevölkerung angenommen.
1559 gründete Calvin die Akademie, die Vorgängerin der Universität.
Ab 1550 wurde Genf die Stadt französischer und italienische Flüchtlinge – Opfer religiöser Verfolgungen.
Diese brachten Genf Ruhm und wirtschaftlichen Reichtum.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch