Das Kreuz der Kirche mit der Pädophilie
Die katholische Kirche reagiert auf den Fall eines Schweizer Priesters, welcher der Pädophilie beschuldigt wird. Die Schweizerische Bischofskonferenz will ihre internen Richtlinien überprüfen.
Nachdem der Offizial des Bistums Lausanne, Genf und Freiburg am Wochenende eine Mitschuld der Kirche eingeräumt hatte, plädiert er nun für die Schaffung einer internationalen Datenbank.
«Auf Grund des aktuellen Falls, der auf die 60er-, 70er- und 80er-Jahre zurückgeht, müssen wir die Situation analysieren. 2002 wurden neue interne Richtlinien eingeführt. Seither ist wenig passiert», sagt Walter Müller, Informationsbeauftragter der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK), gegenüber swissinfo.
«Die aktuellen Richtlinien beinhalten eine bessere Begleitung bei der Ausbildung: Eine sorgfältige Auswahl der Anwärter für die Seelsorge, und kritische Personen werden vom pastoralen Dienst ferngehalten», so Müller weiter.
Kirche gesteht Mitschuld ein
Am Wochenende hatten hohe katholische Repräsentanten eingestehen müssen, dass die katholische Kirche eine Mitschuld trage. Dem Bistum von Lausanne, Genf und Freiburg war nämlich seit 1989 bekannt, dass der heute 67-jährige Priester mindestens ein Kind sexuell missbraucht hatte.
Der Offizial des Bistums, Nicolas Betticher, sprach in einem Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Matin dimanche» von «geheimem Einverständnis». Die zivilen Gerichte seien nie informiert worden.
Stattdessen sei der heute 67-Jährige nach Frankreich disloziert worden. Dort habe er sich jedoch erneut an einem Kind vergangen, sagte Betticher, der als Offizial im katholischen Kirchengericht tätig ist. Es tue ihm weh, von geheimem Einverständnis zu reden, doch diese Bezeichnung sei zutreffend.
Internationale Datenbank
Betticher plädierte in Interviews mit den Westschweizer Tageszeitungen «24 heures» und «Tribune de Genève» vom Montag zudem für die Schaffung einer internationalen Datenbank. Die weltliche Justiz müsste dabei einbezogen werden, denn diese besitze Mittel, welche die Kirche nicht habe.
Auch der Verantwortliche der Schweizer Kapuziner, Ephrem Bücher, gab eine Mitschuld seines Ordens zu. «Wir sind als Kapuziner dafür verantwortlich, was geschehen ist», sagte er gegenüber Radio Suisse Romande. «Wir haben damals nicht so reagiert, wie wir hätten sollen.»
Heute anders handeln
Gegenüber der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens sagte Betticher, heute würde das Bistum anders reagieren. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Richtlinien für pädophile Priester.
Diese sehen vor, dass der Bischof Opfer von pädophilen Priestern anhört. Für Schadenersatz wäre zuerst der verdächtige Priester zuständig. Geht das nicht, wird auch der Bischof reagieren.
Inzwischen habe ein Bewusstseinswechsel stattgefunden, sagt SBK-Sprecher Müller gegenüber swissinfo. «Früher vertrat man eine optimistische Haltung, man dachte, es sei Sache der Erziehung, des Gewissens. Das war vermutlich etwas naiv.»
Heute wisse man, dass Pädophilie schwer therapierbar und die Rückfallquote hoch sei. «Früher hat man die Schwere der Übergriffe nicht gesehen und sie wohl auch unter den Teppich gewischt. Man nahm den Fehlbaren ein Versprechen ab und änderte einfach ihre Umgebung, wie das beim jetzt aktuellen Fall geschah», so Müller. Die Dossiers von damals seien leider nicht mehr vorhanden.
Sensibilisierung muss ausgedehnt werden
Wie Colette Marti, verantworlich für die Kampagne «Keine sexuelle Gewalt an Kindern» beim Kinderschutz Schweiz, gegenüber swissinfo erklärt, gibt es noch viel zu tun.
«Wir stehen erst am Anfang einer Arbeit, die in Zukunft noch weiter vertieft werden muss. Wichtig ist, dass alle, die in einer Kirche arbeiten – nicht nur die Priester, auch zum Beispiel der Organist, – für dieses Problem sensibilisiert werden müssen.»
Teilweise geständig
Der 67-jährige Kapuzinerpriester ist geständig, seinen 12-jährigen Neffen im Jahr 1992 missbraucht zu haben. Weiter sagte er, in Frankreich sei es lediglich ein Mal zu Zärtlichkeiten mit einem Knaben gekommen.
Der im Delsberger Kloster Montcroix lebende Priester war auf Ersuchen der französischen Behörden vom jurassischen Generalstaatsanwalt verhört worden. Ihm werden von französischer Seite sexuelle Handlungen mit Minderjährigen vorgeworfen.
Parallel dazu untersuchen die jurassischen Behörden, ob der Priester in der Schweiz Übergriffe begangen hat, die noch nicht verjährt sind. Der verdächtigte Priester lebt seit zwei Jahren im in Delsberg, nachdem er über zehn Jahre in Frankreich gelebt hatte. Verhaftet wurde er bisher nicht.
swissinfo und Agenturen
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ist 1863 in Solothurn gegründet worden, als weltweit erste Versammlung der Bischöfe eines Landes, die regelmässig zusammentrifft.
Mitglieder sind die Bischöfe der Diözesen Basel, Chur, Lausanne-Genf-Freiburg, Lugano, Sitten und St. Gallen.
Als Gebietsabteien sind auch Einsiedeln und St-Maurice SBK-Mitglieder.
Der Begriff stammt aus dem Griechischen (pais – Knabe, Kind / philia – Freundschaft) und bezeichnet die primäre erotisch-sexuelle Neigung Erwachsener zu Kindern vor der Geschlechtsreife. Das sexuelle Interesse kann sich dabei auf Kinder beiderlei Geschlechts beziehen.
Der Begriff wurde 1896 vom Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing eingeführt und definiert. Heute verwendet man oft das modernere Wort Pädosexualität, auch deshalb, weil der Wortbestandteil «philia» (Freundschaft) als zu verharmlosend empfunden wird.
Pädophilie bzw. Pädosexualität steht in den meisten Ländern als sexueller Missbrauch von Kindern unter Strafe, wobei nicht die sexuelle Orientierung an sich, sondern deren Ausleben strafrechtlich verfolgt wird.
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