Der Weihnachtsbaum bleibt in der Schule
Seit Tagen wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob Weihnachtsfeiern in den Schweizer Schulen die Gefühle der Muslime verletzten und verboten werden müssten. Nein, sagen die Muslime.
Die Debatte ausgelöst hatte eine falsch interpretierte Aussage des Präsidenten des Lehrer-Dachverbandes, der nur sagen wollte, dass in der Schweiz niemand zu religiösen Feiern gezwungen werde.
Bislang mussten sich Lehrerinnen und Lehrer in der Schweiz an Weihnachten mit der Tatsache herumschlagen, dass die Kinder in den Schulbänken weniger konzentriert waren. Der Weihnachtsstress der Erwachsenen färbte auch auf Schülerinnen und Schüler ab. Dazu kommen für sie alle die privaten Weihnachtsfeste im Sportverein, in der Sonntagsschule oder bei den Pfadfindern.
In diesem Jahr jedoch wurde die bislang traditionelle Schulweihnacht, die in jedem Schweizer Schulhaus auf individuelle Art und Weise gefeiert wird, urplötzlich in Frage gestellt. Was war geschehen?
Am Montag, 11. Dezember, erklärte Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, in der Boulevard-Zeitung «Blick»: «Adventskränze und Weihnachtsbäume haben im Klassenzimmer nichts zu suchen.»
Diese Äusserung in einem Boulevard-Medium hat denn auch schweizweit zu einem «Sturm der Entrüstung» geführt. Eine verunsicherte multikulturelle (Deutsch)-Schweiz fragte sich, ob nun tatsächlich – in Anbetracht all der unterschiedlichen Religionen der weit über 1 Mio. Emigranten in der Schweiz – die traditionelle Weihnacht in der Schule verboten würde.
Berichtigung
Ins Zentrum der Diskussion gerieten die Muslime in der Schweiz. Sie hätten heimlich Druck auf die Schulbehörden ausgeübt, hiess es unterschwellig. Lehrerverbands-Präsident Zemp setzte zur Berichtigung seiner Aussage an.
Er sei falsch zitiert worden, sagte Zemp gegenüber swissinfo: «Richtig ist, dass ich gesagt habe, dass niemand gezwungen werden darf, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder den Religionsunterricht zu besuchen. Das steht auch so in der Bundesverfassung.»
Weiter sagte er, dass wenn im Unterricht oder bei Feiern Handlungen durchgeführt oder Lieder gesungen werden, die einen christlichen Hintergrund hätten, die Eltern anderer Religionen ein Dispensationsgesuch stellen dürften.
Prompt gruben die Medien einen Fall aus dem Kanton Waadt aus. Da habe eine muslimische Familie ihre Kinder den ganzen Dezember über dispensieren wollen. Wo hört die Religionsfreiheit auf, wurde gefragt.
Die meisten Schweizer Zeitungen machten danach mit trutzigen Bekenntnissen zur Schulweihnacht auf sich aufmerksam. Stellvertretend die Luzerner Zeitung. Sie titelte: «Der Weihnachtsbaum bleibt in der Schule».
Schaden war angerichtet
Kaum ein Medium konnte sich fortan der Schulweihnachts-Debatte (fast ein Unwort des Jahres) widersetzen.
Unter Druck gerieten vor allem diejenigen, welche die Debatte gar nie angestossen hatten: die Muslime in der Schweiz.
Am Montag riefen die Islamischen Organisationen in der Schweiz dazu auf, christliche und besonders weihnachtliche Traditionen nicht aus den Schulzimmern zu verbannen. Ein solches Ansinnen diene dem religiösen Frieden nicht.
Kinder sollten zwar nicht gezwungen werden, religiöse Handlungen zu vollziehen oder Bekenntnisse abzulegen, auch nicht in Form von Liedern und Gedichten. Doch im Rahmen des ordentlichen Unterrichts solle jedes Kind religiösen Feiern und Aktivitäten beiwohnen, schreiben die Islamische Organisationen.
Sie riefen dazu auf, von extremen Forderungen und Haltungen abzusehen und sich gegen Scharfmacher zu wehren: «Die versuchen, die christliche und muslimische Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen.»
Politische Weihnacht
Ismail Amin, Präsident der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ), sagte gegenüber swissinfo: «Es ist wirklich schade, dass diese Diskussion aufgekommen ist.» Sie sei primär von den Medien aufgebauscht worden. «Da wurde aus einer kleinen Maus ein grosser Elefant gemacht.»
Amin sagte weiter, dass Medien auf Sensationen aus seien und «die hat sich mit diesem Thema zur Weihnachtszeit eben angeboten.»
Doch dahinter stehe natürlich nicht nur dieser Einzelfall. «Seit Jahren haben wir Muslime eine Medienpräsenz in der das Schlechte dominiert.» Religion sei verpolitisiert worden und in der Schweiz, in Europa generell, würden rechtspopulistische Kreise solche Themen, wie jetzt die Schulweihnachts-Debatte, genüsslich auskosten.
«Ich merke das am eigenen Leib, dass der Islam in einem schiefen Licht steht», sagt Ismail Amin, gebürtiger Ägypter und ehemaliger Professor für arabische Philologie an der Universität Zürich.
swissinfo, Urs Maurer
Zur Zeit leben rund 315’000 Muslime in der Schweiz, rund 5% der Gesamtbevölkerung.
Die Mehrheit von ihnen kommt aus dem Balkan und der Türkei.
1990 waren 2,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung Personen islamischer Konfession. Im Jahr 2000 waren es 4,3 Prozent.
Momentan gibt es in der Schweiz zwei Moscheen, eine in Zürich und eine in Genf.
Die praktizierenden Muslime werden auf 20% geschätzt.
Weihnachten ist das christliche Fest der Geburt Jesu und damit der Menschwerdung Gottes.
Hauptfesttag ist der 25. Dezember, der seit der Reformation am 24. Dezember mit dem Heiligabend beginnt.
Weihnachten ist in der Schweiz ein gesetzlicher Feiertag. In Teilen der Schweiz kommt der 26. Dezember als zweiter staatlicher Feiertag dazu.
Als kirchlicher Feiertag ist der 25. Dezember seit 336 in Rom belegt; die Herkunft des Datums ist umstritten.
Oft wird das römische Fest des Sonnengotts als Ursprung angenommen; das germanische Julfest ist erst später belegt.
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