Deshalb sitzt Buddha im Schneidersitz
Die Universität Luzern hat diesen Sommer erstmals auf Kinder zugeschnittene Vorlesungen über juristische, theologische und philosophische Themen angeboten.
Kinderuniversitäten gibt es bereits an andern Hochschulen der Schweiz, wie etwa St. Gallen, Basel, Zürich und Bern. Die Idee stammt aus Deutschland.
Das Thema der Vorlesung: «Warum sitzt der Buddha im Schneidersitz?» Dozent ist Dr. Martin Baumann, Professor für Religionswissenschaft.
Der Hörsaal der Universität Luzern ist zum Bersten gefüllt. Der Professor spricht von Meditation, Askese, Sinn des Lebens oder von Indien vor 2500 Jahren und von der Erleuchtung.
Die Studentinnen und Studenten sind zwischen 8 und 12 Jahre alt. Willkommen an der Kinderuni in Luzern.
Denken ohne zu denken
«Diese Kinderuni ist fast wie eine Universität für Erwachsene und die Professoren reden über Themen, zu denen sie viel wissen und sogar Bücher geschrieben haben», steht in der Einladung für die Kinder.
Professor Baumann erzählt die Geschichte von Buddha. Vom Königssohn zum Sinnsucher des Lebens. Versucht den Anwesenden im Hörsaal die Meditation näher zu bringen. «Versucht zu Hause mal im Schneidersitz zu sitzen und an nichts zu denken und versucht zu fühlen, was da geschieht», fordert Baumann die Kinder auf. Denen kam die Auforderung «denken, aber an nichts» eigenartig vor.
So war am Schluss der Vorlesung allen klar, dass der Schneidersitz des Buddha eine Körperhaltung ist, in der meditiert werden kann. Auf die Frage, was denn getan werden soll, wenn jemand zu alt oder zu gebrechlich sei um diesen Sitz einzunehmen, sagte der Professor: «Der kann auch auf einen Stuhl sitzen, es geht auch so.»
Frauen ohne Chance
Die Fragen am Schluss der Vorlesung hatten es in sich. Sie prasselten nur so auf den Professor ein. Warum der Buddha so grosse Ohrläppchen habe, was das denn für ein Mensch gewesen sei, der Frau und Kinder im Stich gelassen habe, um eine Religion zu gründen?
Ein Mädchen stellte ganz zum Schluss noch fest, dass die Frauen bei Buddha nichts zu melden hatten. «Ja», gab Baumann zur Antwort, «das war und ist heute noch bei allen grossen Religionen so».
Professor Baumann hatte nach der ungewohnten Vorlesung ein gutes Gefühl, auch wenn ihm einige Kinder etwas zu unruhig waren. Zur Frage, ob Askese und Meditation nicht etwas hochgestochene Ausdrücke gewesen seien, meint er: «Ich habe die Fachausdrücke gewählt, weil wir an der Kinderuniversität sind. Die Ausdrücke habe ich aber sofort erläutert.»
Er selber denkt, dass die Kinderuni schon etwas bringe und nicht einfach eine neckische Veranstaltung sei. «Die Kinder sehen, dass die Menschen an der Uni zwar Wissen vermitteln, aber nahbar sind. Das kann Motivation für die Kinder sein, später ein Studium zu ergreifen und auch dafür zu arbeiten.»
Institution bekannt machen
Den Kindern haben die fünf Vorlesungen in Luzern gefallen. Etliche sagten gegenüber swissinfo, dass sie zu Hause viel darüber gesprochen hätten. Ein Mädchen machte sich in der Buddha-Vorlesung gar drei Seiten Notizen. Die meisten wollen im kommenden Jahr wieder dabei sein.
Auch Judith Lauber-Hemmig, Informationsbeauftragte der Universität Luzern, freut sich über den Erfolg der ersten Kinderuni. «Mehr als 80 Prozent haben alle fünf Vorlesungen besucht, das heisst für mich, sie waren selber motiviert und nicht von zu Hause zum Besuch gezwungen», sagte sie.
Mit der Uni würden zwei Ziele verfolgt: «Einmal wollen wir die Kinder an die Wissenschaft heranführen, Interesse und Neugier wecken. Dann aber soll die noch junge Universität Luzern durch die Kinder auch bei den Erwachsenen als Institution bekannter gemacht werden.»
Nicht alle sind Akademikerkinder
Die Institution Kinderuni wurde 2002 im deutschen Tübingen erstmals erfolgreich durchgeführt und kam dann auch in die Schweiz.
Die Universität Basel hat die Veranstaltung 2004 gar wissenschaftlich begleitet und herausgefunden, dass drei Viertel der Kinder, welche die Uni besuchten, nicht aus Akademikerfamilien stammten.
In Basel haben die Vorlesungen zwei Dritteln der Kinder gut gefallen. Kritischer äusserten sie sich zur Abwechslung während der Vorlesung, sie waren aber auch hier mehrheitlich zufrieden.
Für Professor Baumann in Luzern ist es eine gute Leistung, wenn Kinder in diesem Alter eine Vorlesung lang konzentriert zuhören können, und Judith Lauber-Hemmig denkt darüber nach, die Alterspanne etwas zu verkleinern. «Die vier Jahre Altersunterschied machten sich schon bemerkbar.»
swissinfo, Urs Maurer, Luzern
2002 wurde im deutschen Tübingen die Idee der Kinderuniversität geboren.
Mittlerweile gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz über 50 Kinderunis.
Die erste Kinderuni der Schweiz organisierte 2004 die HSG St. Gallen.
Gemäss einer Basler Studie waren die wichtigsten Gründe von Eltern, ihr Kind anzumelden, ihm die Bekanntschaft mit der Uni zu ermöglichen und das Interesse für die Universität zu wecken.
Drei Viertel der Kinder hatten laut Studie Deutsch als Muttersprache. Danach suchten die Verantwortlichen nach Wegen, vermehrt auch Kinder von fremdsprachlichen Eltern zu erreichen.
Die fünf 45 Minuten langen Vorlesungen in Luzern:
Rauferei auf dem Pausenplatz – wer bezahlt Jans kaputte Brille?
Weshalb reitet Jesus auf einem Esel?
Warum verbrachte der Philosoph Diogenes sein Leben in einem Fass?
Laura hat im Media Markt eine CD geklaut. Sie wird ertappt. Was nun?
Warum sitzt der Buddha im Schneidersitz?
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch