Drei von vier Schweizern fordern Papst-Rücktritt
74,2% der Schweizer Bevölkerung fordern den Rücktritt von Papst Johannes Paul II. Das hat eine in der Wochenzeitschrift "L'Hebdo" publizierte Umfrage ergeben.
Diese Forderung liegt auf der Linie eines offenen Briefes von 40 Schweizer Theologen an den Papst im Vorfeld seines Schweizer Besuchs.
Gemäss einer vom Institut Link vom 17. bis 22. Mai durchgeführten Umfrage, die «L’Hebdo» am Donnerstag veröffentlichte, wünschen 74,2 % der Befragten und 74,9% der befragten Katholiken einen Rücktritt des Papstes. 75,8% der Deutschschweizer, aber lediglich 69,4% der Romands verlangen den Rücktritt.
412 der 1025 befragten Personen zwischen 15 und 74 Jahren aus der Deutschschweiz und der Romandie sind Katholiken.
Störendes Alter
«Das Ergebnis der Umfrage erstaunt mich nicht», sagt Albert Longchamp, Direktor von «Choisir», einer jesuitischen Kulturrevue, gegenüber swissinfo. «Die Frage ist nur: Sind die Leute für den Papst-Rücktritt aus Mitleid mit dem kranken und leidenden alten Mann oder aus Verärgerung über den Heiligen Vater, der die katholische Kirche nicht mehr kontrolliert?»
Für Jörg Stolz, Professor für Soziologie und Theologie an der Universität Lausanne, ist klar, dass die Leute verärgert sind. Gegenüber swissinfo sagt er, man habe mit Johannes Paul schon an dessen 75. Geburtstag über die Rücktrittsfrage gesprochen, weil auch Bischöfe in diesem Alter zurücktreten müssten. Der Papst habe aber nichts davon wissen wollen.
Die kritische Haltung gegenüber einem alten, kranken Papst sei nicht ein schweizerisches Phänomen, sondern in allen zunehmend säkularisierten Gesellschaften spürbar, so Stolz.
Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) macht sich keine Sorgen über die Altersdiskussion. SBK-Generalsekretär Agnell Rickenmann zu swissinfo: «Die Leute reagieren so, weil sie auf äusserliche Dinge wie Alter und Gesundheit achten. Es gibt heute einen Jugendkult.»
Sexualmoral vor Politik
Die Umfrage zeigt weiter, dass die Positionen von Johannes Paul II. zur Sexualmoral sich stärker niedergeschlagen haben als seine politischen oder seelsorgerischen Stellungnahmen.
34,6% der Befragten finden, dass der amtierende Papst trotz Ablehnung des Präservativs nicht verantwortlich sei für die Ausbreitung der Immunschwäche-Krankheit Aids. Für 24,2% der Befragten hat Papst Johannes Paul II. die katholische Kirche gestärkt.
18,7% urteilen, dass er mit der Ökumene schlecht umgegangen sei. 10,1% bezeichnen ihn als Verteidiger der von der Liberalisierung Ausgeschlossenen. Und 8,5% sind der Meinung, dass Johannes Paul II. den Fall des eisernen Vorhangs ausgelöst habe.
Offener Brief und heftige Reaktionen
Mitte Mai hatten 40 Schweizer Persönlichkeiten der römisch-katholischen Kirche mit einem offenen Brief den Rücktritt des Papstes aus Altersgründen gefordert. Johannes Paul II. müsse die Altersgrenze von 75 Jahren respektieren, wie dies weltweit von Bischöfen gefordert würde. Der Papst hatte am 18. Mai den 84. Geburtstag gefeiert.
Das Schreiben an den Papst hat im Bistum Basel und bei kirchennahen Organisationen für Aufruhr gesorgt. Bischof Koch distanzierte sich in einer Erklärung «enttäuscht und traurig» von dem offenen Brief.
Zwar könne man die Frage der Amtszeit des Papstes durchaus diskutieren, doch Koch bezeichnete es als «geschmacklos», dies drei Wochen vor dem Papst-Besuch in der Schweiz zu tun und den Brief ausgerechnet an dessen Geburtstag zu publizieren. Die Unterzeichnenden versuchten, den Besuch für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.
Diskussionen um Zeitpunkt und Tonfall
Für Amédée Grab, Bischof von Chur und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, ist es kaum zu fassen, dass der Papst als Gast auf diese Weise begrüsst wird. In einem Interview mit swissinfo, das am Sonntag erscheinen wird, sagt Grab, es sei weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Weg zu kommunizieren.
Für den Luzerner Franziskaner Josef Imbach, der den Brief mitunterzeichnete, hat Bischof Koch völlig überreagiert. Er entgegnete ihm, dass der Brief in einem anständigen und versöhnlichen Tonfall abgefasst sei und es nicht darum gehe, «dem Papst die Leviten zu lesen».
Der Schweizer Theologe Hans Küng bezeichnete das Schreiben als «goldrichtig». Der Rücktritt des Papstes sei angebracht.
Offen ist, ob der Brief überhaupt jemals beim Papst landen wird. Bischof Kurt Koch ist zu einer Übergabe nicht bereit. «Ich werde mich im Gegenteil persönlich beim Papst für diese Entgleisung entschuldigen», sagte er.
Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Klima in der Schweiz kurz vor dem Papst-Besuch sagt «Choisir»-Direktor Longchamp: «Die Schweizer haben den Sinn für Freude verloren. Dieses Klima des Misstrauens hat etwas Anstössiges.»
Auch wenn die katholische Religion in der Schweiz am meisten vertreten sei, bleibe das Land stark geprägt von der protestantischen Reform, «besonders in der Deutschschweiz, wo die Kritik am stärksten ist».
Für mehr Freiheit in der Kirche
Rund 90% der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz wollen die Freiwilligkeit des Zölibats, eine stärkere Ökumene und ein gemeinsames Abendmahl mit anderen Christen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Forschungsinstituts gfs-Zürich im Auftrag der Herbert-Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche, die Anfang Mai publiziert wurde.
Drei Viertel der befragten Katholikinnen und Katholiken fordern vom nächsten Papst zudem das Priestertum für die Frauen. Gut zwei Drittel wollen auch die kirchliche Wiederverheiratung Geschiedener, die Wahl der Bischöfe durch die Ortskirchen und einen stärkeren Dialog mit den anderen Weltreligionen.
Ähnliche Antworten
Mit der Veröffentlichung dieser Umfrage-Ergebnisse verknüpfte die Stiftung die Forderung an die Bischöfe, die Anliegen des Kirchenvolks ernst zu nehmen. Sonst seien sie bald Bischöfe ohne Volk.
Die Befragung wurde in der ersten Maihälfte dieses Jahres bei 1002 Personen in der deutschen und französischen Schweiz durchgeführt. 404 davon waren Katholikinnen und Katholiken. Die Antworten fielen unabhängig von Konfessions- und Religionszugehörigkeit sehr ähnlich aus.
swissinfo
Glaubenszugehörigkeit in der Schweiz:
42% katholisch
35% protestantisch
4,3% muslimisch
0,2 jüdisch
12% atheistisch
Papst Johannes Paul II. besucht am ersten Juni-Wochenende definitiv die Schweiz. Dies gab der Heilige Stuhl am Montag bekannt.
Die Schweizer Bischofs-Konferenz (SBK) reagierte mit grosser Freude, dass der 83-jährige Pontifex maximus die Einladung angenommen hat und dem 1. Nationalen katholischen Jugendtreffen in Bern die Ehre erweist.
Gemäss Programm wird der Papst am 5. Juni auf dem Militärflughafen von Payerne (VD) landen und dort von einer Delegation des Bundesrats mit Bundespräsident Joseph Deiss empfangen.
Er begibt sich danach direkt nach Bern und wird bei den Ingenbohl-Schwestern im Alters- und Pflegeheim Viktoria logieren.
Von dort aus wird er in die BernArena auf dem BEA-Gelände fahren, wo ihn Tausende Teilnehmende des ersten katholischen Jugendtreffens begrüssen sollen.
Am 6. Juni um 10.00 Uhr liest der Papst auf der Grossen Allmend eine feierliche Messe, zu der Zehntausende von Gläubigen aus der ganzen Schweiz und aus den Nachbarländern erwartet werden. Der Papst wird wiederum vom Papamobil aus die Massen grüssen.
Später fliegt der Papst von Payerne aus zurück nach Rom.
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