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Expo 2020: Landesausstellung mit europäischer Dimension

Marco Solari positionierte sich mit der Expo-2020-Idee als Visionär.

Marco Solari, Präsident des Filmfestivals Locarno und von Tessin Tourismus, ist ein Mann mit Visionen. Solari ist ein Brückenbauer. Ein Idealist, dem viel an der Schweiz liegt.

Sein Vorschlag, die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2020 mit einer Landesausstellung zu feiern, wurde in der Schweiz leidenschaftlich diskutiert.

Solari setzt nicht auf Extravaganz: Er ist elegant, höflich und dezent. Es scheint, als fasse er alles mit Samthandschuhen an – doch seine Hände können zupacken.

swissinfo: Sie sind seit kurzem Präsident von Tessin Tourismus und haben den Slogan «Tessin, ein Ort von Künstlern» (Ticino terra di artisti) lanciert. Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Kultur?

Marco Solari: Die habe ich schon immer gehabt. Die Leidenschaft für die Kultur gehört zu meinem Leben. Mein Vater war Tessiner und katholisch. Meine Mutter war Bernerin und stammt aus einer Pfarrersfamilie, die dem etwas mystisch angehauchten Protestantismus im Emmental – wie ihn Jeremias Gotthelf in seinen Geschichten beschreibt – verbunden war.

Ich bin in einem Haus voller Bücher aufgewachsen, wo Klavier gespielt und debattiert wurde.

Schon als Kind hatte ich Heimweh nach dem Tessin. Die Menschen aus dem Norden fühlen sich vom Süden automatisch angezogen. Als Kind und Jugendlicher verbrachte ich die Ferien im Haus meiner Grosseltern im sonnigen Tessin. Das Tessin war jedoch für mich nicht nur ein Traumland, sondern auch ein Ort der Kultur.

Als ich 1972 Direktor von Tessin Tourismus wurde, war das Tessin noch sehr provinziell. Das Tessin war damals noch eine Randregion.

Mit der Vision des Tessins als Ort von Künstlern wollte ich ein anderes Bild vom Tessin zeigen.

swissinfo: Sprechen wir von der Landesaustellung 2020 am Gotthard.

M.S.: Das Tessin hat verschiedene Trümpfe. Das Tessin grenzt an die Lombardei und liegt in der Nähe von Lugano und Milano. Das Tessin hat den Lago Maggiore, wo konsequent auf Kultur und Kongress-Tourismus gesetzt werden muss. Und das Tessin hat Bellinzona, von wo man in den Norden blickt.

Und das Tessin hat die Alpen. Die Beziehung zu den Bergen muss jedoch neu definiert werden. Und die Bevölkerung muss wieder an grosse Projekte glauben. Deshalb ist die Idee für einen grossen Event in der Region des Gotthards zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels entstanden. Sie stellt eine wichtige Etappe in der Geschichte des Gotthards dar. Diesem historischen Pass, der den Norden Europas mit dem Süden verbindet.

swissinfo: Die Schweiz befindet sich im Herzen Europas…

M.S.: …Die Schweiz befindet sich im Herzen Europas – und mit dem neuen Gotthard-Basistunnel rückt sie noch mehr ins Zentrum. Klar kann man sagen, dass dieser Tunnel nicht unbedingt für die Bewohner der Alpenregion gebaut wurde. Doch er bietet Gelegenheit, die Beziehung der Schweizer zur Alpenregion zu überdenken. Die Alpen als Potenzial für neue Entwicklungen, als Symbol für ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl zu sehen.

Der 60 Kilometer lange Basistunnel verbindet nicht nur Zürich mit Lugano und Milano. Er verbindet auch das zusammenwachsende Mitteleuropa mit all seinen neuen Herausforderungen.

swissinfo: Was braucht die Schweiz heute?

Es braucht den Glauben an ein grosses Projekt. In der Schweiz besteht ein grosses Bedürfnis nach solchen Gemeinschaftsanlässen. Das Echo, das der Vorschlag mit der Expo 2020 in der Schweiz fand, zeigt, dass die Zeit dafür reif ist. Die Zeit scheint auch reif genug, um den Begriff «Willensnation» wieder ins Zentrum rücken zu können.

Die heutige Generation hat genug von den ständigen Debatten um Geld und Managerlöhne. Die Jungen wollen konkrete Projekte sehen. Träume, die verwirklicht werden.

Einerseits besteht das Bedürfnis nach konkreten Taten, andererseits ist da aber auch das Bedürfnis nach der mythischen Dimension. Ein Bedürfnis, das der Menschheit seit jeher eigen ist. Der Gotthardpass ist nicht nur ein Schweizer Mythos, sondern auch ein europäischer. Ein Mythos, der von den grossen Reisenden verbreitet wurde. Der Gotthard steht jedoch nicht nur für die Beständigkeit der Berge, sondern auch für Mobilität und Kommunikation, für Schutz und Öffnung.

swissinfo: Was heisst Schweizer Identität?

M.S.: Der Schweizer Patriotismus geht immer über die Kantone. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat das Filmfestival von Locarno zusammen mit dem Autosalon in Genf als das wichtigste internationale Ereignis in der Schweiz bezeichnet. Sie hat sich dann aber korrigiert und statt «zusammen mit dem Autosalon», «nach dem Autosalon» gesagt. Als ich sie darauf hingewiesen habe, dass sogar bei der Bundespräsidentin der Patriotismus über den Kanton läuft, musste sie lachen.

Die Schweizerinnen und Schweizer verbindet jedoch insbesondere der Wunsch nach einer Demokratie von unten sowie der Föderalismus, der auf der Welt praktisch einmalig ist und die Macht von einzelnen Personen unterbindet.

Die Schweizer mögen keine Monarchen. Auch mit allzu starken Persönlichkeiten haben sie so ihre Mühe.

Es besteht ein gewisser Drang zum Ausgleich. Das hat jedoch zur Folge, dass viele Schweizer Künstler ins Ausland abwandern.

swissinfo: Sie bewegen sich sowohl in Wirtschafts- auch als in Kulturkreisen. Wie passt das zusammen?

M.S.: Ich habe schon immer verschiedene Dinge unter einen Hut gebracht: die deutsche mit der italienischen Sprache, den Katholizismus mit dem Protestantismus, Schein und Sein und jetzt Wirtschaft und Kultur. Um Kultur zu machen, braucht es finanzielle Mittel.

swissinfo: Wie tanken Sie wieder Energie?

M.S.: In meiner Bibliothek inmitten der Bücher. Bei meiner Arbeit steht die Kommunikation im Vordergrund, ich bin ständig unter Leuten. Ich bin jedoch kein Partygänger, ich suche vielmehr die Ruhe.

swissinfo-Interview, Françoise Gehring, Locarno
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

Marco Solari wurde 1944 in Bern geboren. Seine Familie kommt aus Barbengo, Kanton Tessin. Er studierte in Genf Sozialwissenschaften.

1972 wurde er zum Direktor des Tessiner Tourismus-Verbandes nominiert. Ab 1988 war er Delegierter der Landesregierung für die 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft 1991.

1992 wurde er Delegierter des Verwaltungsrates des Migros-Genossenschaftsbundes. 1997 wurde Solari Vizepräsident der Generaldirektion des Ringier Verlags.

Seit 2001 ist er vollamtlicher Präsident des Filmfestivals Locarno. Und in diesem Jahr wurde er zum Präsidenten von Tessin Tourismus gewählt.

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