Fortschrittliche Muslime gründen Forum
Fortschrittliche Muslime in der Schweiz haben einen Verein gegründet, mit dem sie in der Öffentlichkeit einen offenen, zeitgemässen Islam vertreten wollen.
Das «Forum für einen fortschrittlichen Islam» hofft, Leute aus allen Bereichen in die Islam-Debatte einzubeziehen.
Die Frau hinter dem Forum, Saïda Keller-Messahli, sagte gegenüber swissinfo, dass in der Schweiz zahlreiche gemässigte Muslime lebten, denen bisher wenig Möglichkeiten offen standen, ihre Meinung kund zu tun.
Schweigende Mehrheit
Laut Keller-Messahli gibt es gegenwärtig in der Schweiz zahlreiche religiöse, islamische Organisationen, aber kaum Vereinigungen für Muslime, die nicht streng gläubig sind.
Das neu gegründete Forum hofft, dieses Manko zu füllen und möchte als Plattform für all jene dienen, die sich für den Islam interessieren.
«Wir möchten die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen, Diskussionen ohne Tabus abzuhalten und auf eine intellektuelle Art auch kritisieren zu können», sagt Keller-Messahli.
Kontrovers: Scharia oder Menschenrecht
Zu den Zielen des Forums gehört es, kontroverse Fragen anzugehen, wie beispielsweise die drakonischen Strafen, die jene zu fürchten haben, die sich nicht an die Scharia halten.
«Wir möchten aufzeigen, dass der Islam auch so interpretiert werden kann, dass er mit den Menschenrechten vereinbar ist», betont Keller-Messahli.
Die Frage, ob der Islam mit der Moderne und den Menschenrechten vereinbar sei, sei den Hardlinern, die in der Schweiz gleichgeschaltete Organisationen frequentierten, nicht geheuer. Deshalb brauche es ein neues Forum.
Internationales Recht, Demokratie und Religion
Im Forum werde das Verhältnis zwischen Menschenrechten, internationalem Recht, Demokratie und Religion beleuchtet. Dabei werde auch über verkrustete Strukturen in islamischen Ländern diskutiert, wo unter anderem die freie Meinungsäusserung nicht respektiert werde.
Als Zeichen der fortschrittlichen Einstellung des Forums sind fünf der sieben Vorstandsmitglieder Frauen. Zudem seien nicht alle Muslime.
Unter ihnen befinden sich eine Islam-Spezialistin, Medienleute und Keller-Messahli selber. Ein weiteres Mitglied ist Karl Gruber, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und des Verfassungsrats des Kantons Zürich.
Gut integrierte Mehrheit der Muslime
In der Schweiz leben schätzungsweise 300’000 Muslime, und die Mehrheit sei, wie Keller-Messahli, gut integriert. Mit einem Schweizer Arzt verheiratet, lebt Keller-Messahli seit gut 30 Jahren in der Schweiz.
In Tunesien geboren, verbrachte sie nach der Erblindung ihres Vaters als Kind fünf Jahre im Berner Oberland, dank der Kinderhilfsorganisation «Terre des Hommes». Später schloss sie Studien an der Universität Zürich ab.
Laut Keller-Messahli hat nur eine Minderheit der Muslime in der Schweiz die Schweizer Kultur nicht akzeptiert. «Ich bin mir sicher, dass wir gerade diese Leute ansprechen, weil sie sich stark an ihr überliefertes Weltbild halten.»
Platz nur für die Toleranten
Doch haben diese Leute, so fügt Keller-Messahli hinzu, nur dann Platz im Forum, wenn sie die Toleranz aufbringen, andere Meinungen ebenfalls zu akzeptieren.
Das Forum hat seinen Sitz in Zürich. Es bestehen zudem Pläne, künftig regionale Foren einzurichten, nachdem die Idee einmal Fuss gefasst hat.
Zur Debatte, ob in der Schweiz auch Imame, islamische Vorbeter, an Universitäten ausgebildet werden sollten, äussert sich Keller-Messahli wie folgt: «Jedermann, der Arabisch lesen kann, kann auch den Koran interpretieren. Nur heisst das noch nicht, dass jeder Interpret auch ein Gelehrter ist.»
Saïda Keller-Messahli hofft ausserdem, dass das Forum auch all jene inspiriert, die in islamischen Ländern leben, sich dort aber nicht frei ausdrücken können.
swissinfo, Faryal Mirza
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Die Vorstandsmitglieder des «Forums»:
Saïda Keller-Messahli
Elham Manea, Politologin und Journalistin
Luisa Orelli, Islam-Spezialistin und Jouralistin
Maha Bashir, Soziologin
Jasmina Elsonbati, Lehrerin
Bülent Oecal, Designer
Karl Gruber, SP-Politiker und Mitglied des Zürcher Verfassungsrats.
Das «Forum für einen fortschrittlichen Islam» ist als Plattform für die Diskussion der muslimischen Religion gegründet worden.
Die Organisatoren hoffen, all jene einzubinden, die an diesem Thema interessiert sind.
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