Glaubenssache für Gläubige und Ungläubige
Was haben wir für ein Verhältnis zur Religion? Wie und weshalb glauben wir und – besonders aktuell im Minarett-Streit – warum streiten wir uns über den Glauben?
Das Stapferhaus Lenzburg hat seine Tore geöffnet, um Einblick zu bieten in die schweizerische sowie die eigene, individuelle Glaubenslandschaft.
Irritierend: Zwei Türen führen in die Ausstellung, eine für Gläubige, eine für Ungläubige. «Wir möchten unsere Besucher, bevor sie die Ausstellung betreten, wachrütteln und sie mit einer Entscheidung konfrontieren, die keinen anderen Gedanken zulässt», erklärt Beat Hächler, Co-Leiter des Kulturzentrums Stapferhaus im aargauischen Lenzburg.
«Mit der Entscheidung ‹Gläubig› und ‹Ungläubig› müssen sich die Besucher exponieren und werden dadurch auch ein wenig zum Exponat.» So werde der Besucher selbst zum Bezugspunkt.
Richtiger oder falscher Glaube?
Natürlich sind sich die Ausstellungsmacher bewusst, dass man nicht genau definieren kann, was oder wer wirklich gläubig ist oder nicht.
«Wir möchten jedoch bei den Besuchenden die Bereitschaft wecken, dieser Frage auf die Spur zu kommen. Die Ausstellung will damit die Kategorien auflösen, was denn nun der richtige, der gute oder der falsche Glaube sei.»
Elektronisches Glaubensprofil
Besucher erhalten für ihre Reise durch die Glaubensangelegenheiten einen elektronischen Speicherstift. Es gibt eine Version für Ungläubige und eine für Gläubige.
Gleich nach dem Betreten der Ausstellung kommt der Datenstick zum Einsatz. Auf einem berührungssensitiven Bildschirm wird der erste «Glaubenstest» durchgeführt.
Gefragt wird nach der eventuellen Religionszugehörigkeit und was man sich unter dem Begriff «Gott» vorstellt. Im Lauf der Ausstellung werden noch zwei weitere Frageposten angesteuert.
Am Schluss werden die Antworten elektronisch ausgewertet. Als Resultat wird man einem von fünf Glaubenstypen zugeteilt: areligiös, traditionsreligiös, kulturreligiös, alternativreligiös oder patchworkreligiös.
Die Wahrheit liegt wie meist irgendwo dazwischen. Kaum jemand ist Repräsentant nur eines Glaubenstypus. Der Schreibende jedenfalls muss gestehen, dass der vom Computer errechnete Glaubenstypus exakt mit seinem eigenen Glaubensprofil zusammenpasste.
Beten
Haben Sie heute schon gebetet? Alle Ausstellungsbesucher werden mit dieser Frage konfrontiert. Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen, auch konfessionslose, geben Einblick in ihre Gedanken zum Gebet.
Einer gläubigen Katholikin gibt das Gebet Kraft, Halt und Zuversicht. Menschen, die nicht beten, empfindet sie als arm.
Ein Mitglied einer Freikirche pflegt so zu beten, wie wenn Gott gerade neben ihm sitzen, wie wenn er mit einem guten Kollegen oder seinem Vater reden würde. Seine Anrede: «Yes, Gott.»
Eine 16-jährige Jüdin meint, dass es niemanden gebe, der ein Gebet erhöre. Für sie ist es der Betende selbst. Er brauche das, damit er einen Moment für sich selbst habe.
Und eine Muslimin erklärt, das Beten sei für sie sehr wichtig. Dann sei sie alleine mit Gott und frei von den täglichen Sorgen.
Streit um Religionen und Religiöses
Die Ausstellung befasst sich intensiv mit dem Problem Religionsstreit. Aktuelles Beispiel: Der Minarett-Zwist in Wangen bei Olten. Hier äussern sich Anwohner und Betroffene zum Minarettbau – die Statements reichen von kritisch bis verständnisvoll.
Die Empörung, nachdem die Einzelhandelskette Migros die indische Gottheit Ganesha auf einen Einkaufssack druckte, ist ein weiteres Thema. Hindus kommen zu Wort, die sich in ihren religiösen Gefühlen tief verletzt sehen, aber auch ein Vertreter von Migros-Marketing: Man habe doch nur einen bunten Elefanten darstellen wollen.
Über die Grenzen hinweg
Wie religiös ist ein Mensch, wie nahe steht er einer Konfession und wie lebt er seine Religion? Über die Religionsgrenzen hinweg werden Gemeinsamkeiten aufgezeigt und registriert, was Religionen trennt und verbindet.
«Die wahren Unterschiede liegen unseres Erachtens darin, wie liberal oder orthodox, respektive fundamental jemand eingestellt ist, da liegen die wahren Unterschiede, die uns beschäftigen müssen», erklärt Beat Hächler.
Die Ausstellungsmacher wollen und können keine Rezepte geben, welche Religion oder welche Religionshaltung nun die Richtige ist. Sie sind aber der Ansicht, dass wir uns mit den unterschiedlichen Religiositäten beschäftigen müssen.
Glaubenssache ist keine Nabelschau der verschiedenen Religionen. Die Ausstellung beleuchtet vielmehr deren Bedeutung für die Gesellschaft. Wie gehen wir damit um?
swissinfo, Etienne Strebel, Lenzburg
85% der Schweizer Bevölkerung auf dem Land und 78% in der Stadt bezeichnen sich als gläubig. 77% beten regelmässig, 34% jeden Tag.
1970 gehörten den Landeskirchen 95% der Schweizer Bevölkerung an.
2000 waren es noch 75%.
Der Anteil der Konfessionslosen ist deutlich gewachsen aber auch jener der Nicht-Christlichen Glaubensgemeinschaften.
Bis zum 29. April 2007 bietet das Stapferhaus Lenzburg Einblick in die Glaubenslandschaft Schweiz.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.
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