Im Diesseits wirken, statt aufs Jenseits warten
Sie beten oft, aber nicht nur: Die Ordens-Schwestern von Ingenbohl. Soziales Engagement im In- und Ausland ist für das Kloster seit 150 Jahren zentral.
Sie duzen sich, dürfen in der Arbeitswelt zivile Kleidung tragen, geniessen die Gemütlichkeit, sind weltoffen und weltweit vernetzt.
Zu übersehen ist es nicht, das Kloster Ingenbohl am Hügel über dem Vierwaldstättersee, zu dem drei Häuser gehören: Das 30-jährige in Beton gebaute Kloster, ein Altersheim für pflegebedürftige Schwestern und das Theresianum, eine Mittelschule für junge Frauen.
An der Schwesterpforte wird die Besucherin freundlich empfangen und kurze Zeit später von Schwester Kasimira, verantwortlich für die diesjährigen Jubiläumsanlässe, abgeholt.
Junge Schwestern sieht die Besucherin keine, kein Wunder, sind Neueintritte in den letzten Jahren doch selten geworden. Das Durchschnittsalter liege bei über 70 Jahren, sagt Schwester Kasimira. Sie selber ist 72 und noch sehr vital.
«Das strukturiere Leben, der gesunde Rhythmus fördern das Wohlbefinden.» Gestorben wird im Kloster in der Regel von 85 an aufwärts. Die Schwestern seien bis ins hohe Alter geistig wach und interessierten sich für die Anliegen der Welt. «Das erhält jung und beweglich», betont die gebürtige Andermatterin.
Mit der Selbstversorgung ist es vorbei
Die Überalterung der Schwesternschaft hinterlässt Spuren: Eigenes Gemüse wird nicht mehr angepflanzt, Tiere werden keine mehr gehalten. Milch und Fleisch stammen aus klostereigenen Betrieben, die verpachtet sind, das Brot bringt die Dorfbäckerei. Drei Grossküchen bereiten die Mahlzeiten für die rund 450 Ingebohler-Schwestern in den drei Häusern zu.
Da die Kraft nicht für mehr reicht, erledigen heute drei Schwestern, was früher eine einzige verrichten konnte. Und Arbeit gibt es genug: In der Wäscherei, der Nähstube, der Küche, im Service, im Altersheim.
Weil die Schwestern immer älter werden und der Nachwuchs fehlt, beschäftigt das Kloster auch Externe, so im Garten oder im technischen Unterhalt.
Der Alltag im Kloster ist strukturiert und besteht aus Gebet, Arbeit, Mahlzeiten und gemütlichem Zusammensein sowie Ruhephasen. Ein Zwang zum Gebet bestehe nicht, sagt Schwester Kasimira: «Man geht wenn man will und es braucht.»
Kloster-Familie
Kasimira Regli trat nach einigen Jahren im Gastgewerbe mit 25 in den Orden ein und fand hier ein berufliches, religiöses und soziales Netz.
Schon als Kind habe sie einen Bezug zu Gott gespürt. Sie glaubt an das Jenseits, wollte immer aber auch im Diesseits etwas Sinnvolles tun. Sie lernte Krankenschwester und war lange Zeit als Leiterin im Pflegedienst tätig, bevor sie zurück ins Mutterhaus ging und mehrere Jahre als Provinzrätin wirkte.
Die Schwestern heissen Aniceta, Theonilla, Edelina oder eben Kasimira, allesamt Namen, welche den Schwestern vom Kloster erteilt wurden. Heute dürfen die Frauen ihre Geburtsnamen behalten, wenn sie wollen. Und die Schwestern duzen sich, «auch wenn einige ältere Schwestern damit Mühe haben», erzählt die Klosterfrau Kasimira.
Kloster ist kein Gefängnis
Die Schwestern leben bescheiden, können aber auch Ferien machen, sei das in klostereigenen Ferienwohnungen oder bei Verwandten. «Teure Auslandferien machen wir nicht, wir haben einen einfachen Lebensstil gelobt», sagt Kasimira Regli, die ihre Ferien häufig im Elternhaus in Andermatt verbringt.
Sich zurechtzufinden im grossen, modernen Kloster, ist für die Besucherin nicht einfach. Hier wieder eine Türe, die zu einem anderen Trakt oder Gang oder nach draussen führt, während wir an Nähzimmern, Büros und Aufenthaltsräumen vorbeikommen. Auch eine grosse Bibliothek gibt’s im Kloster. Zeitungen, TV und Internet stehen allen Interessierten zur Verfügung.
Immer wieder ertönen Glockenklänge und erinnern daran, dass vermutlich eben ein Gebet verpasst wurde. «Kein Problem», sagt Schwester Kasimira.
In der gut 30-jährigen Kirche, die über eine Treppe von aussen zugänglich ist, spielt eine Schwester die Orgel und singt leise dazu. Plötzlich haut sie kraftvoll in die Tasten und lässt die Töne anschwellen. Für betagte Schwestern ist die Empore in der Kirche vom Wohnbereich aus direkt und stufenlos zugänglich.
Der Entscheid fürs Leben
Klar wäre eine eigene Familie als Alternative auch schön gewesen, erzählt Schwester Kasimira beim Mittagessen und sie habe in ihrem Leben auch Männer kennengelernt, mit denen sie sich eine Ehe hätte vorstellen können.
Dass die Gleichstellung der Frauen in der Kirche chancenlos ist, findet sie unbefriedigend.
«Aber ich habe mich für dieses Leben entschieden und es stimmt für mich. Ich glaube daran, dass Gott den Menschen führt, wenn dieser das will. Er vergewaltigt niemand, er offeriert. Wenn man mitmacht, ist das ein gutes Zusammenspiel.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein, Ingenbohl
Das Kloster Ingenbohl wurde 1856 vom Kapuzinerpater Theodisius Florentini und Schwester Maria Theresia Scherer gegründet.
Es liegt im Kanton Schwyz über dem Vierwaldstättersee.
Das Kloster Ingenbohl ist das Mutterhaus von 4190 «Barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz», die in verschiedenen Provinzen in 14 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas, Asiens und Afrika wirken.
In der Schweiz leben rund 780 Ingenbohler-Schwestern, 450 auf dem Klosterhügel Ingenbohl.
Das Kloster führt weltweit Aktiengesellschaften und Stiftungen und besitzt zahlreiche Häuser und Bauerngüter.
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