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«Im Fundamentalismus hat Diplomatie keinen Platz»

Vinz Koller, schweizerisch-amerikanischer Doppelbürger und überzeugter Demokrat. swissinfo.ch

Am 7. November finden in den USA Wahlen statt. Der Schweizer Vinz Koller, seit 20 Jahren wohnhaft in Kalifornien, setzt sich in Monterey County an vorderster Front für die Demokraten ein.

Im Gespräch mit swissinfo übt er Kritik an der Regierung Bush und den religiös-konservativen Kreisen. Laut Koller brauchen die Demokraten nun eine griffigere Politik und eine neue Sprache.

swissinfo: In den USA stehen Kongresswahlen an. Den Republikanern drohen Stimmenverluste. Werden die Demokraten gewinnen?

Vinz Koller: Ich wage ungern Prognosen, weil sich meine Voraussagen auch schon als falsch erwiesen haben. Es ist klar, dass die Republikaner Angst haben wegen der jüngsten Skandale und weil ihre Irak-Politik nicht mehr populär ist.

Wir Demokraten arbeiten daran, dass diesem Einparteien-Staat eine echte Opposition geboten werden kann. Wir hoffen auf eine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Möglich ist, dass sogar beide Kammern wieder in demokratische Hand kommen.

swissinfo: Sie leiten die Wahlkampagne der Demokraten im Bezirk Monterey in Kalifornien. Wie gehen Sie auf Stimmenfang? Mit Enthüllungsgeschichten über gegnerische Kandidaten?

V.K.: Wir sind ganz bewusst gegen Dreckkampagnen. Auf dieses Niveau wollen wir uns nicht einlassen. Wir hausieren mit unseren Themen direkt von Tür zu Tür, um die Wähler an die Urne zu bringen.

Es geht uns darum, eine neue Politik für das Land aufzuzeigen. Eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und weg vom Krieg im Irak. Auch wenn viele Republikaner inzwischen gegen den Krieg sind, bringen sie ihr Sicherheitsdenken damit in Verbindung. Wir sind aber überzeugt, dass der Irak die USA nicht sicherer gemacht hat.

swissinfo: In Europa herrscht die Meinung, dass sich Republikaner und Demokraten wenig unterscheiden. Sie als Demokrat sehen das kaum so, oder?

V.K.: Ich kann verstehen, dass von aussen und teils auch in den USA lange nicht verstanden wurde, worin der Unterschied liegt. Es ist aber klar, dass mit Al Gore als Präsident der Irak-Krieg nie stattgefunden hätte, und wenn John Kerry 2004 das Rennen gemacht hätte, hätten wir uns im Irak anders verhalten.

Natürlich haben damals auch viele Demokraten den Krieg unterstützt, weil sie Angst hatten, als unpatriotisch dazustehen. Und sie glaubten, was ihnen die Regierung in Sachen Massenvernichtungswaffen erzählte.

swissinfo: Mit Themen wie Todesstrafe, Abtreibung und Waffengesetze gehen die Demokraten aus europäischer Sicht eher zögerlich um. Eine Fehleinschätzung?

V.K.: Nein, das stimmt teils schon. Es ist aber so, dass eine Partei keine Volksbewegung ist. Die Stimmung in der Bevölkerung muss zuerst umschwenken, bevor die Parteien aus einer Sache ein Wahlkampfthema machen können.

Die Demokraten haben jetzt aber eingesehen, dass vorsichtige Politik nicht am Platz ist mit einer Regierung wie der jetzigen. Da muss klar und angriffig politisiert werden, damit die Leute verstehen, dass es einen Unterschied gibt.

Kommuniziert werden muss nicht immer nur sachlich, es muss auch mit Werten gekämpft werden. Die Republikaner haben über 20 Jahre eine Sprache geübt, die verstanden wird: Sie sprechen kernig, griffig und einfach. Sie sprechen von einer Kultur des Lebens, wenn sie Abtreibung meinen, von der traditionellen Familie, wenn es gegen Homosexuelle geht.

Die Demokraten müssen eine neue Sprache lernen. Nicht wie die Republikaner, die eine moralische Doppelbödigkeit betreiben.

swissinfo: Unter der jetzigen Regierung wurde eine Art religiöser Fundamentalismus in die Politik eingebracht. Stehen die Demokraten unter Druck und benutzen ebenfalls religiöse Werte?

V.K.: Die Demokraten müssen auch Werte ansprechen können, und es gibt religiöse Werte, die positiv sind, z.B. Nächstenliebe, Hilfe für die Armen, Friedensstiftung.

Die Republikaner haben sich mit den Fundamentalisten liiert und vertreten meiner Ansicht nach eine falsche Theologie. Wenn solche Fundamentalisten Einfluss auf die amerikanische Politik haben, ist das beängstigend.

Beängstigend für mich als Bürger der USA, der vor 20 Jahren dorthin ausgewandert ist und jetzt sagen muss, ich hätte nicht gedacht, dass die Leute im Ausland vor dem Land, in dem ich wohne, Angst haben müssen.

swissinfo: Läuft ohne Religion nichts mehr in der US-Politik?

V.K.: Religion spielt eine grosse Rolle. Die Demokraten waren der Meinung, man solle ohne Religion Politik machen. Viele Wähler entscheiden aber auf Grund ihrer Werte.

Ich sehe die Gefahr darin, dass ein christlicher Nationalismus betrieben wird, der eigentlich den Grundgedanken der USA widerspricht. Die jetzige Regierung benutzt eine fundamentalistisch-konservative Politik, um Wahlen zu gewinnen.

swissinfo: Ist diese Strömung seit dem 11. September 2001 stärker geworden?

V.K.: Ja. Nach dem 11. September hatte George Bush die Gelegenheit, das Land und die Welt zu vereinen und eine Politik des langfristigen Friedens aufzubauen.

Das hat er nicht gemacht, sondern eine Politik der Spaltung betrieben, von Gut und Böse und von Kreuzzügen gesprochen. Er benutzte eine alttestamentarische biblische Philosophie und Theorie.

swissinfo: ist Bush ein religiöser Fundamentalist?

V.K.: Er ist ein wiedergeborener Evangelikaner, ob er ein Fundamentalist ist, weiss ich nicht. Es gibt Anzeichen, dass es eher politisches Kalkül ist als Überzeugung.

Wenn fundamentalistisches Gedankengut benutzt wird, um Politik zu betreiben, hat Diplomatie keinen Platz. Kompromisse sind unmöglich, denn für Fundamentalisten gibt es nur die eine gottgewollte Wahrheit. Das ist ein Problem.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Auslandschweizer Ende 2005: 634’216
Europäische Union: 383’548
USA: 71’773
Kalifornien (inkl. Alaska und Hawaii): 26’125

Geboren 1963 in Schaffhausen
Politologie- und Anglistik-Studium in Zürich, Internationale Beziehungen am Monterey Institute of International Studies, Kalifornien, USA.
Lebt als Soziologe und Berater öffentlicher Dienste und Behörden in Carmel, Monterey, CA.
Seit 2002 US-Bürger.
Seine amerikanische Frau wurde 2002 Schweizerin.
Beide nehmen regelmässig an Schweizer Abstimmungen teil.
Leitet seit 2004 die Wahlkampagne der Demokraten in Monterey County.
Seit Juli 2006 Vorsitzender der Demokratischen Partei in Monterey County.

Am 7. November werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Teil des Senats neu bestellt.
In einigen US-Bundesstaaten finden Gouverneur-Wahlen statt.

Die Republikaner verfügen zur Zeit in beiden Kammern über eine Mehrheit.
Laut Umfragen müssen sie mit Stimmenverlusten rechnen.

80% der US-Bürger bezeichnen Religion als wichtig.
76% sind Christen.
12% der Christen sind Fundamentalisten
22% Evangelikale

Christliche Fundamentalisten wollen Religion und Politik verbinden und die Evolutionslehre durch die Schöpfungsgeschichte ersetzen. Ihr Ziel ist es, eine christliche Republik zu errichten.

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