Islam weit entfernt von gängigen Klischees
Die 310'000 Musliminnen und Muslime in der Schweiz sind alles andere als eine homogene Gemeinschaft. Ihnen wurde zum ersten Mal eine Studie gewidmet.
Für die Studie wurden 30 Muslime über ihr Leben in der Schweiz befragt. Die Erkenntnisse sollen helfen, das Bild zu verbessern, das Schweizer vom Islam haben.
Für zahlreiche Muslime, die in der Schweiz leben, lässt sich das schweizerische Recht durchaus mit ihrem Glauben verbinden. Sie empfinden es als einfach, in diesem Land den Islam zu praktizieren, wie aus der Befragung der Eidgenössischen Ausländerkommission (EAK) hervorgeht.
Die Klischees und Stereotypen der Schweizerinnen und Schweizer über Muslime entsprächen nicht der Realität, stellte EAK-Präsident Francis Matthey am Donnerstag bei der Präsentation der Studie fest. Bestes Beispiel dafür sei, dass für die hiesigen Muslime der Islam nicht im Widerspruch zu einem demokratischen Grundverständnis stehe, ergänzte Simone Prodolliet vom EAK.
«Die Studie wird uns helfen, die vielen Vorurteile in der Schweizer Bevölkerung gegenüber Menschen muslimischen Glaubens zu entkräften», sagte Matthey gegenüber swissinfo.
Es scheine ihm, dass die Muslime in der Schweiz gut integriert seien. «Auf pragmatische Art und Weise haben wir die Situation gemeistert», schloss er.
Religion ist Privatsache
Die Studie zeige, dass immer mehr Muslime Religion als etwas Privates betrachteten, sagte Matteo Gianni von der Forschungsgruppe «Islam in der Schweiz» (GRIS), die die Befragung im Auftrag der EAK durchgeführt hatte. Deshalb sei der Einfluss der Imame nicht so gross, wie teilweise befürchtet worden sei.
Als oft problematisch beurteilten Befragte die Beziehungen der Muslime untereinander. Grund dafür seien vielfach unterschiedliche Auffassungen in der Praxis des Glaubens.
Uneinig waren sich die Muslime zum Beispiel bei der Kopftuchpflicht für Frauen. Je nach Religionsverständnis massen sie dieser Tradition mehr oder weniger Bedeutung zu. Praktiken wie die Mädchenbeschneidung, die Kinderheirat und die körperliche Züchtigung von Frauen wurden einhellig abgelehnt.
Zustimmung für Integrationspolitik
Gianni kam weiter zum Schluss, dass viele Muslime die Integrationspolitik der Schweiz überraschenderweise schätzten. Ein Grossteil von ihnen sehe sich von der Schweizer Kultur massgeblich beeinflusst und sei der Meinung, das Schweizer Bürgerrecht müsse verdient werden. Das politische System wurde in der Regel unkritisch oder gar verklärend beurteilt.
Ein Problem stellten Diskriminierung oder gar Rassismus dar. Es komme öfters vor, dass eine Frau beleidigt werde und man ihr das Kopftuch herunterreisse. Deutlich wurde auch, dass sich die Muslime seit den Terroranschlägen von 2001 stärker beobachtet fühlen.
Stellvertretend für die stumme Mehrheit
Für die Studie wurden in der Schweiz lebende Muslime interviewt, die laut den Autoren bisher kaum Gelegenheit hatten, sich öffentlich zu äussern. Sie hätten bewusst auf religiöse Führer und bekannte Intellektuelle verzichtet, um «gewöhnlichen» Muslimen eine Stimme zu geben.
In der Schweiz leben laut der letzten Volkszählung vom Jahr 2000 310’000 Muslime. Davon stammen 175’000 aus dem Balkan, 63’000 aus der Türkei und etwas weniger als 20’000 aus arabischen Ländern. Knapp 12% der hier ansässigen Muslime besitzen den Schweizer Pass. Sie bilden laut der Studie eine sehr heterogene Gruppe.
swissinfo und Agenturen
Gemäss Volkszählung 2000 leben in der Schweiz 311’000 Muslime, allein 66’500 im Kanton Zürich.
1970 waren es noch 16’000, 1980 57’000 und 1990 152’000.
90% der Muslime stammen aus der Türkei und dem Balkan, nur 6% stammen aus arabischsprachigen Ländern.
Die Hälfte von ihnen ist jünger als 25.
Nur eine kleine Minderheit kann als streng praktizierend bezeichnet werden.
Einer von 10 Muslimen besitzt einen Schweizer Pass.
Bei der Studie der Forschungsgruppe «Islam in der Schweiz» handelt es sich um eine qualitative und keine quantitative Befragung.
Deshalb wurden zwar nur 30 Leute, aber umso tiefer greifend befragt.
Sie wurden einerseits nach Geschlecht, Alter, Bildungsstufe und Sprachregion, andererseits anhand der Stärke ihrer Religiosität oder ihres Bürgerbewusstseins ausgewählt.
Die Autoren der Studie betonen, dass die gewählte Methode keine statistisch relevanten Aufschlüsse liefere. Die Resultate hätten vor allem eine «sondierende» Funktion.
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