Kein Antisemitismus in Schweizer Medien
Die Medien der deutschen Schweiz zeichnen ein wohlwollendes Bild der Juden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die unter dem Patronat der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) stand.
Der Kommissions-Präsident und Historiker Georg Kreis sprach mit swissinfo über die Ergebnisse.
Die Deutschschweizer Medien informieren grösstenteils fair über die Juden. Über Muslime dagegen wird in der Berichterstattung ein klar negatives Bild vermittelt. Dies ist das Fazit einer Studie des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, welche am Donnerstag vorgestellt wurde.
Aus dem für die Juden positiven Ergebnis müsse man allerdings den Nahost-Konflikt ausklammern, sagte Projektleiter Mark Eisenegger. In diesem Zusammenhang kippe das häufige Bild der Juden in der Opferrolle in dasjenige des privilegierten, imperialistischen Tätervolkes.
Die Zürcher Untersuchung stand unter der Schirmherrschaft der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und erfolgte im Auftrag der Anti-Defamation-Kommission Bnai Brith Zürich.
Der EKR-Präsident, der Basler Historiker Georg Kreis, differenzierte die Ergebnisse der Studie im Gespräch mit swissinfo. Neben dem Wohlwollen der Schweizer Medien gegenüber den Juden, stellt Kreis eine eigentliche Tabuisierung fest, wenn es um starke Kritik gehe.
swissinfo: Finden sich Hinweise auf Antisemitismus in den Medien der deutschen Schweiz?
Georg Kreis: Man kann feststellen, dass in den Schweizerischen Medien eine grosse Vorsicht und Zurückhaltung in Bezug auf Meldungen herrscht, die die jüdische Gemeinschaft verletzen könnten. Man kann sogar von einer eigentlichen Tabuisierung reden. Ob das gut ist, ist aber eine andere Frage.
swissinfo: Wenn Medien die israelische Politik in den besetzten Gebieten kritisch betrachten, können sie rasch in den Verdacht des Antisemitismus geraten, obwohl das zwei ganz verschiedene Dinge sind.
GK: Das ist richtig. Die Medien sollten ein kritisches Observatorium sein, und sich nicht durch Voreingenommenheiten, auch keine positiven, in ihrer Arbeit einschränken. Die Situation scheint mir aber nicht alarmierend zu sein, besonders, wenn man vorsichtig ist. Vorsicht und Kritik müssen sich nicht ausschliessen.
swissinfo: Die Medien dürfen aber auch nicht zu vorsichtig sein. Der Job von Journalisten ist es, objektiv zu sein, und Kritik von beiden Seiten zu berücksichtigen.
GK: Schon, aber Journalisten müssen sich ja umgekehrt auch nicht immer wie ein beissender Hund verhalten.
swissinfo: Die Studie untersucht ja nur die Medien in der deutschsprachigen Schweiz. Wäre nicht eine nationale Studie nötig, um zwischen den verschiedenen Landesteilen zu differenzieren?
GK: Es zeigt sich immer wieder, dass die Sensibilitäten der französischen und der deutschen Schweiz völlig unterschiedlich sind. Das zeigt sich beispielsweise in der Frage des Kopftuches. Von da her wäre es wünschenswert, eine gesamtschweizerische Studie zu machen.
Es kann sein, dass wir in den Medien der französischen Schweiz in der Antisemitismus-Frage ein anderes Bild erhalten würden. Dies, weil sie sich mehr an Frankreich orientieren. Dort gibt es momentan eine grössere Anzahl junger Muslime mit einer militanteren Israel-Kritik.
swissinfo: Kann man überhaupt Antisemitismus betrachten und gleichzeitig den Islamismus ausser Acht lassen?
GK: Da gibt es in der Schweiz schon eine Gemeinsamkeit, denn Juden und Muslime sind beides in der Schweiz lebende Minderheiten. Minderheitenfragen jeglicher Art müssen die einzelne Minderheit interessieren. Denn darin drückt sich eine allgemeine Haltung, hier diejenigen einer christlichen Mehrheit, gegenüber Minderheiten aus.
Wir stellen aber fest, dass gegenüber den Muslimen eine viel grössere Distanz besteht als gegenüber den Juden. Umgekehrt trifft der Vorwurf insbesondere von militanter jüdischer Minderheit nicht zu, dass die Schweizerische Mehrheit blind ist gegenüber den Gefahren, denen Israel von muslimischen Fundamentalisten ausgesetzt ist.
swissinfo: Wenn ich die Studie zusammenfasse: In den Deutschschweizer Medien gibt es keinen sichtbaren Antisemitismus, dennoch ist es wichtig, von Zeit zu Zeit den Fokus auf dieses Thema zu legen.
GK: Das ist richtig, und das wird auch schon gemacht. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund hat bereits eine Medien-Beobachtungsinstitution geschaffen. Es braucht aber eine unabhängige Stelle, die unabhängige Urteile fällen kann.
swissinfo
Die Studie zum Bild der Juden von Dezember 2002 bis Dezember 2003 untersuchte zehn grosse Deutschschweizer Zeitungen.
Ebenfalls ausgewertet wurden die grossen Informationssendungen von Schweizer Fernsehen DRS und Radio DRS.
Von August bis Dezember 2003 wurde zudem das Bild der Muslime analysiert.
Ende 2003 kam eine europäische Studie zum Schluss, dass der Antisemitismus in den Ländern der EU nicht mehr nur ein Phänomen von Rechtsradikalen ist, sondern vermehrt auch aus islamischen und linken Kreisen kommt.
Die Medien in der deutschen Schweiz berichten wohlwollend über die Juden. Diese werden meist in der Opferrolle dargestellt.
Ausnahme: Wenn es um den Nahost-Konflikt geht. Dann werden sie zum privilegierten, imperialistischen Tätervolk.
Relativ oft erscheint die Typisierung des jüdischen Akteurs, der «den Antisemitismus-Vorwurf inflationär gebraucht», also jegliche Kritik von vorneherein als antisemitisch abblockt.
Als einziges klassisch antijüdisches Stereotyp findet sich das Vorurteil des «einflussreichen» Juden – dies in erster Linie im Zusammenhang mit den USA.
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