Kontroverse katholische Kondom-Kampagne
Die katholische Kirche in Luzern hat eine Aids-Präventions-Kampagne gestartet, in deren Rahmen sie auch Kondome verteilte. Das sorgte für Kontroversen. Eine mobile Wanderausstellung zum Thema wird auch in weiteren Schweizer Städten zu sehen sein.
In der Ausstellung zeigt die katholische Mission Missio, wie junge Menschen in Afrika über Aids aufgeklärt werden: Eine mobile Multimedia-Show in einem vor dem Luzerner Bahnhof geparkten Lastwagen zeigt die harte Wirklichkeit in Uganda und Südafrika.
Die beiden Länder werden durch HIV und Aids vor besonders grosse Probleme gestellt.
Im Lastwagen bilden kleine Abteile, afrikanischen Hütten nachempfunden, ein Schulzimmer, einen Markt und eine Klinik.
Eine Stimme aus dem Off erzählt die Geschichte von zwei Jugendlichen, die an Aids leiden.
Laut Flavio Moresino, Leiter der Jugend-bezogenen Aktivitäten von Missio in der Deutschschweiz, stösst die Ausstellung auf grosses Interesse. Bereits 14 Schulklassen hätten sie besucht.
«Wir sind glücklich über diesen Erfolg», sagt Moresino gegenüber swissinfo.ch. «Die Aids-Situation in Afrika hat grossen Eindruck auf die Schulkinder gemacht. Die Ausstellung macht das Problem für sie konkreter und interessanter.» Laut Moresino steckt sich alle 12 Sekunden ein Mensch auf der Welt mit HIV an.
Schütze Deinen Nächsten
Gleichzeitig zur Missio-Ausstellung im Lastwagen hat die katholische Kirche von Luzern vor dem Bahnhof einen Info-Stand aufgebaut. Als Teil der Kampagne haben Helfer von der Kirche auch rund 3000 speziell für diesen Anlass verpackte Kondome verteilt.
Das abgegebene Verhütungs-Paket ist mit einer stilisierten Skyline von Luzerner Kirchen bebildert, die von einer regenbogenfarbenartigen Serie von Kondomen überdeckt werden. Das Motto dazu besagt, dass «Vergesslichkeit übertragbar» sei. Deshalb der Ratschlag: «Schütze Deinen Nächsten wie Dich selbst.»
«Wir möchten das Problem mit der Jugend diskutieren, aber auch mit anderen Menschen und zeigen, dass wir aus diesem Jahrtausend stammen, dass man mit uns darüber offen sprechen kann – tabulos», so Florian Flohr, Sprecher der Luzerner katholischen Kirche.
Flohr zeigte sich gegenüber swissinfo.ch beeindruckt von den Jungen, mit denen er gesprochen habe: «Sie respektieren ihre Partner und sind sich bewusst, dass sie sich über Aids Gedanken machen müssen, wenn sie sexuelle Beziehungen haben.»
Er strich zudem heraus, dass er und seine Leute nicht einfach Kondome an die Passanten verteilt hätten. Bis Dienstag Mittag, so schätzte er, seien rund 150 bis 200 Pakete verteilt worden, aber gezielt an jene, mit denen man über Safe Sex gesprochen hätte.
Obschon die römisch-katholische Kirche offiziell gegen Verhütung ist, finden die kirchlichen Mitarbeitenden, es wäre unethisch, diese nicht zu erwähnen, wenn von der HIV-Gefahr die Rede sei.
Die Jugendarbeiter wollen jedenfalls das Thema in und um die Kirchgemeinden Luzerns weiterverfolgen.
Protest aus Chur, …
Bisher fielen die Reaktionen dazu gemischt aus. Von katholischen Kirchen der Schweiz wurde gar harsche Kritik laut. Insbesondere, was die Abgabe von Gratis-Verhütungsmitteln betrifft.
Bestürzt äusserte sich die Churer Diözese, die als besonders konservativ gilt. «Hier wird ein falsches Signal ausgesendet», sagte Sprecher Christoph Casetti am Schweizer Fernsehen (SF). «Und auch medizinisch gesehen ist der Ansatz wohl falsch, weil man weiss, dass auch Kondome keinen vollständigen Schutz bieten.»
Der Sprecher der Basler Diözese, Guiseppe Gracia, sagte gegenüber swissinfo.ch, dass in Kürze ein Statement zur Kampagne publiziert würde. «Es handelt sich nicht um eine Verteiler-, sondern um eine Informations-Kampagne.» Die Meisten, die kritisch reagiert hätten, hätten das wohl deshalb gemacht, weil sie sich via Medien informierten.
Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete über die Aktion. Anschliessend nahmen internationale Medien das Thema auf, so der Boston Globe und der Telegraph in London.
… Lob von der Strasse
Rund um den Bahnhof Luzern, wo swissinfo.ch Passanten befragte, waren die Meinungen positiv.
«Ich denke, es ist cool», sagte die 17-jährige Tatjana Jud. «Und überraschend», fügte ihre Freundin Valerie Beschwanden (19) dazu. Stefan Roggenmoser (17) sagte, er kenne die Kampagne kaum, aber er begrüsse es, auch innerhalb einer kirchlichen Gruppe über Sex und Aids sprechen zu können.
Alda Beck, eine Erwachsene, die auf ihren Zug wartete, fand die Aktion ebenfalls lobenswert. «Ich finde das gut. Junge Leute haben nun mal Geschlechtsverkehr und benötigen deshalb Schutz. Es ist höchste Zeit, dass sich die Kirche in dieser Hinsicht bewegt.»
Die Katholische Kirche hat immer betont, dass Geschlechtsverkehr in erster Linie der Fortpflanzung dient.
Sie ist deshalb gegen künstliche Verhütungsmittel wie Kondome oder Pillen. Natürliche Mittel wie die sogenannte Familienplanung, die auf der Beobachtung des weiblichen Zyklus beruht, werden hingegen akzeptiert.
In den 90er-Jahren hielt Papst Johannes-Paul II fest, dass verheiratete Paare sehr wohl Familienplanung praktizieren können, jede Art von künstlicher Einflussnahme jedoch der kirchlichen Lehre widerspreche.
2009 sagte Papst Benedikt XVI, dass Kondome keine Lösung bei der Aids-Prävention darstellten. Sein Kommentar, dass durch die Verteilung von Kondomen das Problem nur noch verschlimmert werden könnte, hatte scharfe Kritik ausgelöst.
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
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