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Kosovo: “Einmal genug Geld für meine Kinder”

Lange Suche nach Heimat: die Familie Sopaj. swissinfo.ch

Die albanische Familie Sopaj flüchtete 1993 in die Schweiz. Im Jahr 2000 kehrte sie – unterstützt von Rückkehr-Anreizen – gegen ihren Willen zurück.

swissinfo hat die ehemalige Flüchtlings-Familie in ihrem Haus im Süden der Krisen-Provinz besucht.

Prizren ist mit mehr als 100’000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt im Kosovo und das Handelszentrum der Region. Die Familie wohnt an einer ruhigen Wohnstrasse direkt neben einem Blumenladen.

“Es geht uns gut”, so die Antwort von Haxhi Sopaj auf die summarische Frage. “Finanziell kommen wir über die Runden, meine älteste Tochter studiert an der Uni in Pristina, die jüngeren Mädchen gehen aufs Gymnasium oder noch in die Grundschule.”

Haxhi ist seit zwei Jahren selbständig erwerbender Buchhalter. Sein wichtigster Auftraggeber ist eine Grossbäckerei. “In der Schweiz lernte ich den Umgang mit Computern. Das kommt mir hier jetzt sehr zu Gute”, bilanziert der Mann, welcher als Flüchtling in der Schweiz nicht arbeiten durfte.

Parteifarbe vor Leistung und Qualifikationen

Nach seiner Rückkehr war er drei Jahren lang bei der Stadtverwaltung in Prizren angestellt. “Dort war ich für den ganzen Computerpark zuständig, verdiente lediglich 30 Euro im Monat und wurde wegen meiner politischen Haltung ständig schikaniert.”

Sopaj steht der Partei des Präsidenten Ibrahim Rugovo nahe. Wesentliche Leute der Verwaltung sind Mitglied der nationalistischen PDK.

Die 18-jährige Blerta hat im Juni 2000 in Solothurn die Prüfung ins Gymnasium bestanden. Nur wenige Wochen danach musste auch sie die Schweiz verlassen. In Prizren besuchte sie das Gymnasium und schloss dieses mit der Matura ab.

Auch Blerta hat unter den politischen Spannungen gelitten. Mehrere Lehrer hätten sie schikaniert und angefeindet, erzählt die Studentin: “Die politischen Sympathien meines Vaters waren an der Schule bekannt. Hier zählen weder Leistungen noch Qualifikationen, sondern lediglich Beziehungen und Geld.”

Die fehlenden Perspektiven

Blerta möchte Dolmetscherin werden. Sie studiert in Pristina Germanistik. In naher Zukunft wird sie das Fach wechseln und sich in Lebensmittel-Technologie ausbilden.

Der Chef ihres Vaters habe ihr einen Job in seiner Bäckerei versprochen. “Als Dolmetscherin würde ich wohl nie eine Stelle finden. Aber ich will später für meine Kinder genügend Geld zur Verfügung haben”, begründet sie ihren pragmatischen Entscheid.

“Ich habe sehr viel Glück gehabt, dass ich in einer Stadt geboren wurde. Auf dem Land gibt es Mädchen in meinem Alter, die haben bereits Kinder und müssen Kühe hüten.”

Trotz ihrer relativ privilegierten Situation möchte sie später einmal in einem andern Land leben. “Ich versuche alles, um das zu erreichen. Hier hat man keine Perspektive.”Blerta begründet die Aussage nicht allein wirtschaftlich: “Meinen Freundinnen in der Schweiz konnte ich voll vertrauen. Hier kann ich das nicht.”

Der Traum von der Schweiz

Einmal in der Schweiz Ferien verbringen und Freunde wiedersehen – das bleibt der Traum der ganzen Familie. “Wir konnten unsere ganze Wohnungseinrichtung aus der Schweiz mitnehmen und wohnen immer noch darin”, erzählt Shemsjie Sopaj. Zwei ihrer Töchter, die 11-jährige Agnesa und die 10-jährige Arta, wurden in der Schweiz geboren.

1993 flüchtete sie mit ihren drei-, fünf- und sechsjährigen Mädchen über die grüne Grenze in die Schweiz, nach Chiasso. “Das war ein traumatisches Erlebnis. Ich war im siebten Monat schwanger und fiel während den Fussmärschen mehrere Male in Ohnmacht”, erzählt sie. “Aber damals habe ich geglaubt, in der Schweiz sei alles viel besser als in Deutschland.”

Deutschland, das war von 1990 bis 1993 der Arbeitsort von Haxhi. Shemsjie unterrichtete zu dieser Zeit an einer Schule in Prizren Albanisch. “Der Schuldirektor wurde geschlagen, ich hatte immer wie grössere Angst vor den Repressionen der Serben.” Die getrennte Familie beschloss, sich in der Schweiz zu treffen.

Der lange Weg zur Unabhängigkeit

Die folgenden Jahre (1993 bis 2000) lebten die Sopajs als Flüchtlinge im Kanton Solothurn. Die Familie galt als sehr gut integriert. Trotzdem kam im Frühjahr 2000 die Aufforderung zur Rückreise. Diese löste bei Lehrpersonen, Freunden und Nachbarn eine breite Solidaritäts-Welle aus. Eine Petition forderte eine Aufenthaltsregelung. Sie war chancenlos.

Die Familie hat die Schweiz innerhalb der gesetzten Frist verlassen. “Dank den finanziellen Zuschüssen, die wir für die ‘freiwillige’ Rückkehr erhalten haben, haben wir das Haus hier fertig bauen können”, sagt Haxhi Sopaj, der sich langfristig die Unabhängigkeit der Provinz Kosovo wünscht. “Bis es soweit ist, hoffe ich, dass die UNO und die Kfor ihre Schutzfunktionen weiterhin wahrnehmen werden.”

swissinfo, Andreas Keiser, Prizren

50% der Bevölkerung im Kosovo leben unterhalb der Armutsgrenze.

Arbeitslosenrate: je nach Quelle zwischen 40 und 80%.

Seit 1999 steht die serbische Provinz Kosovo unter Verwaltung der UNO.

Gemäss offiziellen Angaben sind 88% der Bevölkerung albanisch.

Neben den Serben gehören auch noch Roma, Türken, Griechen und slawische Muslime zu den Minderheiten.

Im Jahr 2000 forderte die Eidgenossenschaft die zehntausenden von Flüchtlingen aus der Provinz Kosovo auf, in ihre Heimat zurückzukehren.

Die zuständigen Stellen des Bundes und die Hilfswerke waren sich damals einig darüber, dass den meisten Albanern im Kosovo keine Diskriminierung und Verfolgung mehr drohe.

Die Menschen, welche vor 1993 in die Schweiz gekommen waren, konnten ein Aufenthaltsrecht beantragen. Die Familie Sopaj flüchtete wenige Monate später in die Schweiz.

Während des Krieges und bis zum Sommer 2000 hatten Albaner aus dem Kosovo als Bevölkerungs-Gruppe in der Schweiz temporär den Status von anerkannten Flüchtlingen.

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