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«Mein Leben hat sich verändert», gesteht «Jesus»

Eine Mischung von Heiligem und Profanem, von Kunst und Tradition: Es gibt einiges, das die Jahrhunderte alten historischen Prozessionen während der Karwoche in Mendrisio von ähnlichen Darstellungen unterscheidet. Jedes Jahr sind sie voll von Emotionen, was bei allen Teilnehmenden zu spüren ist, allen voran bei "Jesus".

Die historischen Prozessionen von MendrisioExterner Link, welche für die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen sind, ziehen immer mehr auch ein internationales Publikum an, das von diesem Schauspiel fasziniert ist. Für die lokale Bevölkerung gibt es aber weit mehr als dieses wunderbare Spektakel zu bewundern: Es ist ein Termin, den man nicht auslässt, und an dem man aktiv teilnimmt.

«Wer in Mendrisio aufgewachsen ist, will bei den Prozessionen dabei sein. Schon als Kind eifert man mit und versucht, die als wichtig geltenden Rollen zu interpretieren. Später, wenn man erwachsen ist, werden die Prozessionen irgendwie ernsthafter. Man beginnt dann, andere Figuren zu spielen, bis in einem bestimmten Moment spontan der Wunsch aufkommt, die Rolle Jesus› zu interpretieren», erzählt Fabio Croci, der den Jesus Christus spielt, während er sich in der Sakristei umzieht und schminkt, um dann den Leidensweg in Angriff zu nehmen.

«Während ich mich auf die Rolle Christi vorbereitete, habe ich viel nachgedacht. Auch hat sich mein Leben verändert, ich bin sensibler geworden. Ich hoffe, das hält an», meint er, ohne seine Gefühle zu verbergen.

Ähnliche Geschichten und Emotionen bezeugen auch andere Personen, die sich auf das Ereignis vorbereiten. Die Aufregung nimmt zu, es werden Details kontrolliert, zum Beispiel, dass weder die drei Marien noch Veronica lackierte Fingernägel haben. «Wir müssen so sein, wie die Leute vor 2000 Jahren waren», erklärt Simone von Cyrene. «Hoffentlich muss ich nicht lachen», sorgt sich der Knabe, der eine Tasse trägt, und meint, er sei schon etwas angespannt.

Dann ist es Zeit, aufzubrechen. Plötzlich wird es still. Die Türe geht auf, die Figuren verlassen die Sakristei, reihen sich ein, und der Umzug begibt sich in Bewegung – hinein in den Zauber der Dunkelheit. So verewigt sich eine Tradition, die ihren Ursprung wahrscheinlich im Mittelalter hat.

(Bilder: Thomas Kern, swissinfo.ch; Text: Sonia Fenazzi, swissinfo.ch, 17.04.2014)

(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)

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