Plädoyer für Dialog mit dem Islam
Hassan El Araby ist Leiter des Islamischen Zentrums von Chiasso und soeben in den Gemeinderat des Tessiner Grenzstädtchens gewählt worden.
Im Gespräch mit swissinfo verteidigt er die Werte des Islam und setzt gleichzeitig auf den Dialog zwischen den Kulturen.
Wir befinden uns im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses im Zentrum von Chiasso. Die Tür steht offen. Die Begrüssung ist herzlich.
Hassan El Araby, verantwortlich für die «Islamische Vereinigung ohne Grenzen» und Direktor des Islamischen Zentrums, kommt auf die Gäste zu. Er ist ägyptischer Abstammung, lebt aber schon seit über 20 Jahren im Tessin.
El Araby ist die Seele des Islamischen Zentrums, das über eine Bibliothek und einen Gebetsraum verfügt, aber auch ein Bezugspunkt ist für die ganze islamische Gemeinschaft im Tessin, deren Sprecher er ist.
Das Zentrum steht nicht nur islamischen Gläubigen offen, wie El Araby betont, sondern allen Interessierten.
«Ich möchte den Islam auch bei der lokalen Bevölkerung bekannt machen. Ich meine den wahren Islam, nicht das falsche Bild des Islam, das häufig von den Medien gezeichnet wird.»
swissinfo: Die Stimmbürger von Chiasso haben Sie in den Gemeinderat gewählt und Ihnen so Sympathie und Vertrauen entgegen gebracht. Wie haben Sie dies empfunden?
El Araby: Zuerst einmal muss ich erklären, dass wir eigentlich junge Menschen für dieses Amt suchten. Es sollten Personen sein, die hier geboren sind und so eine wichtige Brückenfunktion zwischen der einheimischen Bevölkerung und der islamischen Gemeinschaft ausüben können. Am Schluss habe ich aber selber kandidiert. Es gab Kontakte zu diversen Parteien, ich akzeptierte schliesslich eine unabhängige Kandidatur auf der Links-Grünen-Liste.
Bisher habe ich mich ausschliesslich um die Integration der Moslems gekümmert. Jetzt muss ich mich mit Problemen aller Art in der Gemeinde Chiasso beschäftigen. Dies bedeutet eine grosse Verantwortung für mich. Ich hoffe, den Anforderungen gewachsen zu sein.
swissinfo: Wie interpretieren Sie Ihren Wahlerfolg?
E.A.: Es ist zu früh, um von einem Erfolg zu sprechen. Wir sind eine sehr kleine Glaubensgemeinschaft. Zudem gibt es häufig Integrations- und Sprachprobleme. Immerhin konnten wir die Botschaft übermitteln, dass wir aktiv am öffentlichen Leben teilhaben wollen.
Es ist ein Zeichen der Bereitschaft zur Integration. Unsere Gemeinschaft besteht aus diversen Ethnien. Es gibt Algerier, Türken, Kosovaren und auch konvertierte Schweizer. Deshalb haben wir uns von Anfang an auf Italienisch als gemeinsame Sprache geeinigt.
Abgesehen von der Liturgie, die auf Arabisch gehalten wird, sprechen wir in der ortsüblichen Sprache. Und wir tun sehr viel, um Italienisch an Neuzugezogene zu unterrichten.
swissinfo: Sie sind persönlich im Tessin aktiv. Wie steht es um die anderen Regionen der Schweiz?
E.A.: Die Präsenz der Moslems in der Schweiz hat keine lange Tradition. Das ist nicht vergleichbar mit der Situation in Frankreich. Die Schweiz kennt erst seit rund 10 Jahren einen Zuwachs an islamischen Einwanderern. Seither entstanden untereinander erste Kontakte. Inzwischen wurden Moscheen und Treffpunkte gegründet; seit 1994 gibt es die moslemische Lega der Schweiz.
Der Islam organisiert sich dank des Engagements eines Expertenrats vor allem auf europäischer Ebene. Das bedeutet nicht, dass es einen europäischen Islam geben wird. Aber für den Alltag der gläubigen Moslems ist dies gleichwohl sehr wichtig. Das Leben eines Moslems in der Schweiz ist nicht vergleichbar mit dem eines Moslems in Saudi-Arabien.
swissinfo: Die Beziehung zwischen Moslems und der westlichen Welt birgt viel Konfliktstoff. Auch in der Schweiz gibt es erste Forderungen nach einem Verbot religiöser Symbole an öffentlichen Orten wie der Schule. Wie beurteilen Sie diese Debatte?
E.A.: Was in Frankreich passiert ist, hat nichts mit Symbolen zu tun. Einem Teil der Gesellschaft werden grundlegende Rechte verweigert. Das Verbot, einen Schleier zu tragen, verstösst gegen die Religionsfreiheit.
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Auch zu Zeiten von Jesus Christus – der Frieden sei mit ihm – trugen die Frauen einen Schleier. Für mich steht daher fest: Vorurteile und Hass gegen den Islam wachsen.
swissinfo: Halten Sie es denn nicht für gerechtfertigt, dass der Staat das Prinzip der Laientums verteidigt?
E.A.: Im Moment entpuppt sich das Laientum als neue Religion: Weg mit dem Kreuz, weg mit dem Schleier und so weiter. Meiner Meinung nach bedeutet das Laientum des Staates, dass alle Bürger die gleichen Rechte und Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung haben. Wenn die Folge des Laientums ist, dass die eigene Identität negiert werden muss, steht dies im Widerspruch zur eigenen Grundüberzeugung.
Der Staat muss sich für die Rechte von Minderheiten engagieren. So steht es auch in einem Vers des Korans: «Für Euch die Eure Religion, für mich die meinige.» In der Schweiz gibt es eine Mehrheit, die sich zum Glück korrekt verhält.
swissinfo: Die Attentate von Madrid haben in Europa die Angst vor dem islamischen Fundamentalismus und dem Islam im Allgemeinen gestärkt.
E.A.: Die Gewalt breitet sich in allen Bereichen der Gesellschaft aus. Für die Tatsache, dass die Leute mehr Angst haben, tragen die Medien durch ihre Art der Berichterstattung eine Mitverantwortung. Man sieht nur noch Bluttaten, und das macht Angst.
Aber es ist einfach falsch, alle Moslems als Terroristen darzustellen und die muslimischen Frauen als Sonderlinge. Das Geschehen in Palästina und im Irak trägt auch zu Vorurteilen bei. Dort werden Moslems ungerechtfertigt angegriffen. Doch über die Tausenden von Toten wird fast kein Wort verloren.
Der Krieg basiert auf einer Lüge und ist daher zutiefst ungerecht. Wieso wundern sich so viele, dass das Volk aufbegehrt?
swissinfo: Welche Hoffnung gibt es für die Zukunft?
E.A.: Es gibt nur eine Lösung: den Dialog. Allein so können wir uns gegenseitig verstehen. Bomben nützen gar nichts. Wenn all das Geld, das nun in den Irakkrieg fliesst, in der Entwicklungshilfe gelandet wäre, ginge es der Menschheit besser. Stattdessen wird nur Ungerechtigkeit verbreitet. Der Sinn des Lebens besteht darin, Gott zu gehorchen und Gutes zu tun, nicht zerstörend zu wirken.
Der Prophet Mohammed – Frieden und Segen sei mit ihm – sagt, dass du auch am Tag des jüngsten Gerichts einen Sprössling pflanzen musst, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Was nützt das Leben, wenn es keine Hoffnung gibt? Was machen wir, wenn wir nicht mehr in die Zukunft schauen?
Interview: Daniele Papacella
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
1994: Gründung der Lega von Moslems in der Schweiz (League of Muslims in Switzerland)
1998: Gründung des Islamischen Zentrums in Chiasso
300’000 Moslems leben in der Schweiz
Der gebürtige Ägypter Hassan El Araby studierte in Kairo Ökonomie und Handelsbeziehungen, bevor er in die Schweiz kam. Nach einem kurzen Aufenthalt in Zürich lebt er inzwischen seit über 20 Jahren in Chiasso. Er ist mit einer Tessinerin verheiratet und Vater eines Sohnes.
Als unabhängiger Kandidat wurde er Anfang April auf der Links-Grünen-Liste in den Gemeinderat der Grenzstadt gewählt. Damit ist er der erste bekennende Muslim, der in einer Legislative in der Schweiz einsitzt.
Der 50-jährige El Araby leitet seit 1999 das lokale Islamische Zentrum.
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