Presseschau: Schächtverbot aufheben?
In der Schweiz lancierte der Tierschutz am Dienstag eine Initiative, die unter anderem am Schächtverbot festhalten will. Die Zeitungen kommentieren.
Da kommt eine heikle Geschichte auf die Schweizer Stimmberechtigten zu. Die Regierung will das Schächtverbot – das Töten von Tieren ohne sie zu betäuben – wieder erlauben. Es wurde in der Schweiz vor 110 Jahren in einer Volksabstimmung verboten. Das Ja der damals stimmenden Schweizer Männer sei antisemitisch angehaucht gewesen. Der Tierschutz lancierte jetzt – 2002 – eine Volksinitiative. Sie soll verhindern dass das Verbot fällt, so wie das die Regierung möchte. Die welsche LE TEMPS meint:
«Es ist augenfällig, dass der Bundesrat hier die Büchse der Pandora geöffnet hat. Schon bevor er einen Gesetzestext vorbereitet hat, kommt die Opposition der Tierschützer.»
Es gehe eben um mehr als um Tierschutz, schreiben alle Zeitungen. Es geht um Religion. Schächten tun Juden und Moslems. Und da liegt das grosse Problem. Der BLICK:
«Merken die Tierfreunde nicht, in welche üble rassistische Ecke sie hier abdriften?»
Offensichtlich nicht, meint der BLICK sonst hätte man der Gesetzesarbeit eine Chance gegeben und den Dialog mit den jüdischen Kreisen suchen müssen.»
Für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist Schächten mehr als eine Tierschutzfrage:
«Dies gilt für die Initiative, die mit der antisemitischen Belastung des Themas etwas sorglos umgeht, wie auch für den Versuch der Behörden, die Zulassung des Schächtens gewissermassen kompromissweise in einem Paket unterzubringen.»
Das ST. GALLER TAGBLATT gibt zu bedenken, dass die Initiative nicht nur das Schächtverbot erhalten will, sondern darüber hinaus ein Importverbot für geschächtetes Fleisch verlangt:
«Doch der Tierschutz darf nicht dafür missbraucht werden, Minderheiten für ihren Glauben zu bestrafen. Der Respekt vor den Tieren darf nicht dafür herhalten, den Respekt vor den Menschen anderer Religionen zu missachten.»
Doch genau das wird die Frage sein, sollte die Initiative je zustande kommen und die Schweizerinnen und Schweizer zu dieser Frage zur Urne rufen. Für den Berner BUND beginnt das leiden der Nutztiere nicht erst in den Minuten vor der Tötung:
«Unser Hunger nach billigem Fleisch ist nur dank einer Tierhaltung zu stillen, die wir beim Einkaufen verdrängen.»
Und doch bleibt die Frage, sollen grausame und altertümliche Rituale erlaubt sein, und ist man untolerant einer Religion gegenüber, wenn man solche Rituale ablehnt? In der AARGAUER ZEITUNG stellt sich der bekannte Schweizer Journalist und Islamkenner Erich Gysling diese Frage in genau diesen Worten und Gysling gibt auch die Antwort:
«Das mag sehr radikal tönen, aber im Prinzip gebe ich den Kritikern recht: Toleranz gegenüber andern Kulturen darf nicht dazu führen, dass wir bei uns Rückschritte auf Kosten wehrloser Wesen akzeptieren. Gut, dass sich in der Schweiz die Tierärzte zum Thema des Schächtens zu Wort gemeldet haben und ein eindeutiges Nein ausgesprochen haben.»
Der Zürcher TAGES ANZEIGER beschreibt den Videofilm, der an der Lancierung der Initiative gegen die Lockerung des Schächtverbotes gezeigt wurde. Es sei «unschön» gewesen, dem langsamen Tod und der Qual des Tieres beizuwohnen. Und so findet der Tagi auch, wo Tiere zum Verzehr getötet werden, soll dieses Töten so schonend wie möglich geschehen:
«Genau das tut das Schächten nicht, wie jeder Augenschein der anachronistischen Schlachtprozedur sofort zeigt. Wenn das unter anderem auch die politisch unverdächtige Gesellschaft der Schweizer Tierärzte einhellig feststellt, hat das mit Antisemitismus rein gar nichts zu tun.»
Urs Maurer
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