Jeden Karfreitag findet in Romont, einer mittelalterlichen Kleinstadt im Kanton Freiburg, ein seltsames, wenn nicht gar etwas unheimliches Spektakel statt: Ganz in Schwarz verhüllte Frauen trauern um den gekreuzigten Jesus Christus.
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Spezialist für Bundespolitik. Vorher Journalist bei der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) und bei Radio Fribourg.
Thomas Kern wurde 1965 in der Schweiz geboren. Er wurde in Zürich zum Fotografen ausgebildet und begann 1989 als Fotojournalist zu arbeiten. 1990 Mitbegründer der Schweizer Fotografenagentur Lookat Photos. Thomas Kern hat zweimal einen World Press Award gewonnen und wurde in der Schweiz mit mehreren nationalen Stipendien ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden vielfach ausgestellt und sind in verschiedenen Sammlungen vertreten.
Das moderne westliche Theater hat seine Ursprünge in den Mysterien des Mittelalters. Damals wurden Episoden aus der Bibel vorgespielt, damit die Gläubigen dieses Buch verstehen. In Romont kann man am Karfreitag noch einen Teil dieser Tradition sehen. Die ältesten Erwähnungen dieses Passionsspiels gehen auf das Jahr 1456 zurück.
Die Klagefrauen von Romont erinnern an die Frauen von Jerusalem, die Christus bei seinem Aufstieg zur Kreuzigung auf den Hügel Golgatha begleiteten. Die Zeremonie findet in der Stiftskirche Romont und darum herum statt.
Der Ablauf der Zeremonie ist immer gleich: Mit einer Art Rätschen – sie ersetzen die Glocken, die nach volkstümlicher Tradition zu Ostern symbolisch in Rom sind – werden die Gläubigen zur Karfreitags-Messe gerufen, die um 15 Uhr beginnt. Der Anfang der Zeremonie unterscheidet sich nicht von jenem in anderen Kirchen: zuerst wird die Johannes-Passion gelesen.
Sobald aber an den Kreuzweg erinnert wird, verändert sich in Romont die Zeremonie: Zwischen zehn und fünfzehn ganz in Schwarz gekleidete Frauen verlassen dann die Stiftskirche und beginnen eine kleine Prozession um das Gebäude herum.
Zuvorderst läuft ein Kreuzträger mit schwarzer Kapuzenmaske, der Christus symbolisiert. Ihm folgt eine Frau, welche die Jungfrau verkörpert. Dann marschieren die Klagefrauen los, gefolgt von den Priestern, den Kindern und schliesslich den Gläubigen.
Die Klagefrauen tragen auf roten Kissen verschiedene Gegenstände, welche die Passion Christi symbolisieren: ein Hammer, Nägel, eine Dornenkrone, Lanze und Schwamm und eine Peitsche.
Eine der Frauen trägt ein weisses Tuch mit dem Kopf Christi aufgedruckt. Die Gläubigen erkennen in ihr die heilige Veronika, die Christus ihr Tuch gegeben hatte, damit er Schweiss und Blut von seinem Gesicht abwischen konnte.
Nachdem die verschiedenen Stationen des Kreuzwegs abgelaufen sind, kehren alle wieder in die Stiftskirche zurück, um die Karfreitags-Feier abzuschliessen. Die Klagefrauen bewegen sich in absoluter Stille, um den heiligen Charakter der Zeremonie zu bewahren und diese nicht in ein Spektakel zu verwandeln. Auch ihre Anonymität wird streng respektiert. Es ist einzig bekannt, dass es junge Frauen aus Romont sind.
In den 1970er-Jahren war dieser Brauch fast verschwunden. Heute aber ist er lebendiger denn je. Man muss jedoch darauf hinweisen, dass er heute fast so sehr eine Touristenattraktion wie eine religiöse Zeremonie ist. Das zeigt die grosse Zahl der jedes Jahr anwesenden Journalisten und Hobby-Fotografen.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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